"Geboren bin ich am Karsamstag, dem 16. April 1927, zu Marktl am Inn. Dass der Geburtstag der letzte Tag der Karwoche und der Vorabend von Ostern war, wurde in der Familiengeschichte immer vermerkt, denn damit hing es zusammen, dass ich gleich am Morgen meines Geburtstages mit dem eben geweihten Wasser in der zu jener Zeit am Vormittag gefeierten ‚Osternacht’ getauft worden bin: Der erste Täufling des neuen Wassers zu sein, wurde als eine bedeutsame Fügung angesehen.
Dass mein Leben so von Anfang an auf diese Weise ins Ostergeheimnis eingetaucht war, hat mich immer mit Dankbarkeit erfüllt, denn das konnte nur ein Zeichen des Segens sein. Freilich – es war nicht Ostersonntag gewesen, sondern eben Karsamstag. Aber je länger ich nachdenke, desto mehr scheint mir das dem Wesen unseres menschlichen Lebens gemäß zu sein, das noch auf Ostern wartet, noch nicht im vollen Licht steht, aber doch vertrauensvoll darauf zugeht.
Da wir Marktl bereits zwei Jahre nach meiner Geburt – 1929 – verlassen haben, ist mir keine eigene Erinnerung daran geblieben, nur die Erzählungen meiner Eltern und Geschwister. Sie haben mir von dem tiefen Schnee und der klirrenden Kälte berichtet, die an meinem Geburtstag herrschten, so daß die beiden älteren Geschwister zu ihrer großen Betrübnis nicht mit zu meiner Taufe kommen durften, um der Erkältungsgefahr entgegenzuwirken."
Aus: Joseph Ratzinger: Aus meinem Leben. Erinnerungen (1927-1977)
Das Foto zeigt die Pfarrkirche St. Oswald in Marktl, in der Joseph Ratzinger getauft wurde.