Statue "Hiob" von Gerhard Marcks (1957)
Obwohl das Buch 42 Kapitel lang ist, ist es schnell erzählt: Ijob, ein von Grund auf gerechter Mensch, wird von jeder Art Leid heimgesucht. Zunächst fügt er sich geduldig, doch bald beginnt er zu klagen, mit seinem Schicksal zu hadern und nach dem „Warum“ zu fragen. Seine Freunde kommen und versuchen, ihm dieses „Warum“ zu erklären. Doch Ijob gibt sich nicht zufrieden. Diese theologische Auseinandersetzung geht über 34 Kapitel. Bis endlich Gott selbst ihm antwortet. Diese Antwort hilft Ijob offenbar als einziges. Beachtenswert ist eine Bemerkung am Ende (42,7): Die Freunde, die versucht haben, Ijobs Leid zu erklären, haben „nicht recht von Gott gesprochen“, wohl aber Ijob selbst (der
mit Gott gesprochen und durchaus auch mit ihm gehadert hat). Das Buch hat ein „Happy End“: Ijobs Schicksal wendet sich zum Guten.
Die poetische Sprache mit ihren unzähligen Bildern ist oft nicht leicht verständlich. Probleme kann das Auftreten Satans im Kreis der „Gottessöhne“ zu Beginn machen. Diese Versammlung lässt sich verstehen als Personifikationen von göttlichen Eigenschaften, wobei „Satan“ (wörtlich „Störer, Widersacher, Feind, Ankläger“) eine Art himmlischen Staatsanwalt darstellt. Seine Funktion ist es, alles und jeden genau zu überprüfen, auf die Probe zu stellen. Auf diese Weise vermeidet die Erzählung, dass Gott selbst es ist, der Ijob Schaden zufügt.
Die ersten drei kurzen Texte stammen aus dem Disput Ijobs und seiner Freunde. Sie begründen Ijobs Leid vor allem auf zweierlei Weise: als Strafe für seine Schuld (4,7-8) oder als „Erziehung“ (5,17). Doch Ijob kann mit diesen „schönen Worten“ (16,4) nichts anfangen.
Text Ijob 38,1-40,1 (Kurzfassung 38,1-18):
Einheitsübersetzung 2016 |
Lutherbibel 2017 Gott nimmt Ijob sozusagen mit auf eine Wanderung durch die ganze Schöpfung. Der Text erinnert ein wenig an das Schöpfungslied Gen 1. Er ist wohl auch etwa zur selben Zeit entstanden (während des Babylonischen Exils im 6. Jh. v. Chr.) und antwortet auf dieselbe Frage: Herrschen in der Welt Chaos und purer Zufall, oder gibt es eine göttliche Ordnung?
Gott zeigt dem Ijob: Er lässt den wilden Tieren und den Naturgewalten ihre Freiheit, aber er setzt ihnen Grenzen. Die Fragen Gottes an Ijob wirken auf heutige Bibelleserinnen und -leser vielleicht ironisch, so als wolle Gott Ijob zurechtweisen, da er doch von nichts eine Ahnung habe. Sie sind jedoch wohl ernstgemeint, in dem Sinne: Ijob kann die Gesetzmäßigkeiten, die in der Welt am Werk sind, nicht begreifen, aber er darf darauf vertrauen, dass Gott die Welt noch im Griff und dass deshalb alles seinen Sinn hat – auch sein eigenes Schicksal. Selbst wenn er es nicht einzusehen vermag.
Text Ijob 40,15 – 42,6 (Kurzfassung 40,15-31; 42,1-6):
Einheitsübersetzung 2016 |
Lutherbibel 2017 Auf den ersten Blick eine Fortsetzung der beiden letzten Kapitel, nur eben mit zwei neuen Tieren: Nilpferd und Krokodil. Doch genau darauf kommt es an: Nilpferd und Krokodil sind Inbegriff chaotischer, bedrohlicher, lebensfeindlicher, ja gottfeindlicher Mächte. Ägyptische Darstellungen zeigen, wie ein Pharao in einem Ritual Nilpferd- und Krokodilfiguren mit einem Speer bedroht, also Unheil von seinem Volk abwendet:
Wandrelief am Tempel von Edfu: Horus tötet Seth (in Gestalt eines Nilpferds) Seth in Gestalt eines NilpferdsÄgyptischer Krokodilgott Sobek Noch eindringlicher also zeigt dieser Text: Es gibt Lebensfeindliches, Chaotisches in dieser Welt. Es gibt Leid und es gibt Böses. Aber diese Mächte werden nie die Oberhand gewinnen – dafür steht Gott. Das Chaos wird nicht vernichtet, aber in Schach gehalten. (Vgl. Ps 74,13-14; Ps 104,26; Jes 27,1)
Gott führt Ijob die Grenzen menschlichen Erkennens und Könnens vor Augen. Der Mensch kann das Chaos, das Dunkle in seinem Leben, nicht besiegen. Er muss es aber auch nicht. Er darf darauf vertrauen, dass Gott dieses Dunkle nie die Oberhand gewinnen lässt.
Ein Schlüsselsatz des Buches ist 42,5. Ijob ist vom „Hören“ (dem Gottes
wissen, der Theologie, die seine Freunde betrieben haben) zur Gottes
erfahrung gekommen. Er hat keine Antwort bekommen auf seine drängenden Fragen nach dem „Warum“. Aber er braucht sie offenbar gar nicht mehr. Er kann seine Situation annehmen und damit leben.