6. Ortswechsel zum Deuteronomium: Die Fortschreibung des Bundesbuches Texte Deuteronomium 6:
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Lutherbibel 2017 Deuteronomium 9-10:
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Lutherbibel 2017Deuteronomium 15:
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Lutherbibel 2017 Deuteronomium 19:
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Lutherbibel 2017 Deuteronomium 24:
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Lutherbibel 2017 Deuteronomium 27-28:
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Lutherbibel 2017 Das Buch Deuteronomium mit seinen Unterweisungen ist nicht in das Narrativ der Tora eingeflochten worden, sondern steht an seinem Ende. Bereits in Num 22,1 erreichen die Israeliten nach vierzigjähriger Wüstenwanderung das Ostjordanland, die „Steppen von Moab, jenseits des Jordan bei Jericho“. Dort werden sie bleiben, bis der Befehl Gottes an Josua ergeht, das Volk über den Jordan in das verheißene Land zu führen (Jos 1,1-2). In den letzten Kapiteln des Buches Numeri werden noch Ereignisse an dieser letzten Station der Wüstenwanderung berichtet – die Verbindung der Israeliten mit Moabiterinnen und Midianiterinnen und der daraus resultierende Abfall an deren Gott, den Baal Pe’or (Num 25), die Volkszählung (26), der Krieg gegen die Midianiter (31), die Landnahme der Stämme Ruben und Gad sowie des halben Stammes Manasse im Ostjordanland (32) – aber im Buch Deuteronomium geschieht nichts mehr. Es ist eine einzige große Abschiedsrede des Mose, der das verheißene Land nicht betreten wird. Er rekapituliert die wesentlichen Ereignisse der Wüstenwanderung und schärft den Israeliten die Unterweisungen Gottes ein, voller Sorge, dass sie, die schon immer wieder gegen ihn gemurrt haben, sich nach seinem Tod erst recht von der von ihm vermittelten Tora abwenden werden. Mose hat bereits den Verlust des Landes und das Exil als Strafe für die Untreue im Blick.
Bei der Einschärfung der göttlichen Unterweisungen tauchen viele Gedanken des Bundesbuches in Weiterverarbeitung auf.
Lesen Sie dazu die Ausweitung des Schutzes vor Blutrache im Falle unbeabsichtigter Tötung Ex 21,12-14; Dtn 19,1-13; die Spezifizierung der Rechte der Schwachen Ex 22,20-26; Dtn 24,10-22; die Anwendung des landwirtschaftlichen Brachjahres, bei dem man in jedem siebten Jahr auf seine Besitzansprüche auf Grund und Boden verzichtet, auf ein finanzielles Brachjahr, in dem man auf die Rückzahlung von Darlehen verzichtet Ex 23,10-11; Dtn 15,1-11. Aber während die Warnung vor Untreue gegenüber dem Gott, der Israel befreit hat, im Bundesbuch eher am Rand steht, wird sie im Deuteronomium zu einer wahren Obsession. Es wird eingeschärft, nur diesen Gott zu lieben, wie es prägnant im
Shema‘ Israel („Höre Israel“) formuliert wird: „Höre, Israel! Der HERR, unser Gott, der HERR ist einzig. Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft.“ (Dtn 6,4-5)
Praktizierende Juden und Jüdinnen sprechen diesen Text täglich beim Morgen- und Abendgebet, und wenn möglich, sind dies die letzten Worte der Sterbenden. Von Rabbi Akiva, dem großen Toragelehrten, der nach dem Bar-Kochba-Aufstand 132-135 entgegen des Verbotes der römischen Besatzungsmacht weiterhin öffentlich Tora lehrte und dafür hingerichtet wurde, wird erzählt, dass er diese Verse zitierte, während er zu Tode gefoltert wurde. Seine Schüler fragten ihn, wie er noch in dieser Situation an seiner Liebe zu Gott festhalten könne, aber er erwiderte, dass es ihm erst jetzt, wo er für seinen Gott sein Leben gibt, gelingt, das Gebot der unbedingten Gottesliebe zu erfüllen (Babylonischer Talmud, Traktat Berakhot 61b).
Die obsessive Beschäftigung des Deuteronomium mit der Untreue gegenüber Gott äußert sich auch in einer Bundeskonzeption, die Segen für Treue und Fluch für Untreue ankündigt. Vor allem der Fluch wird in immer neuen furchtbaren Bildern ausgemalt.
Lesen Sie dazu Dtn 27,9-26 (und, wenn Sie tiefer in diese Bilder einsteigen wollen, Dtn 28 – im Rahmen der jährlichen Toralesung in der Synagoge werden die Fluchtexte bewusst mit leiser Stimme vorgetragen). Dies ist eine Pädagogik der Angstmache und Abschreckung, die die meisten von uns nicht mehr akzeptieren werden. Um dennoch dem Text gerecht werden zu können, ist es wichtig zu verstehen, auf welchem Hintergrund er gewachsen ist.
Modernen Bibelforschern, denen eine Fülle von Texten aus den Nachbarkulturen Israels zum Vergleich mit der Tora zur Verfügung steht, ist aufgefallen, dass die Verpflichtung auf die Gottesliebe ebenso wie die Fluchandrohungen Formulierungen in den Treueeiden, die die Assyrer von ihren Vasallen verlangten, entsprechen. Das auf Waffengewalt und Massendeportationen aufgebaute assyrische Reich wurde im 9. Jh. v. zum ersten Imperium des Vorderen Orients. 722 fiel ihm das Nordreich Israel zum Opfer, ein großer Teil der dort lebenden zehn Stämme wurde deportiert und ging unter anderen Völkern auf (vgl. 2 Kön 17). Das Südreich Juda entging nur knapp demselben Schicksal.
Die Bibel stellt die wunderbare Rettung Jerusalems vor der assyrischen Belagerung im Jahre 701 in den Vordergrund (vgl. 2 Kön 18-19), aber auch wenn die Hauptstadt nicht eingenommen wurde und die davidische Dynastie weiterregierte, so waren die Könige Judas doch Vasallen des assyrischen Großkönigs und wurden auf die erwähnten Treueeide verpflichtet. Noch beim Regierungsantritt des unmündigen Königs Joschija 639 stand das assyrische Großreich in der Fülle seiner Macht und seines Schreckens dar. Als Joschija im achtzehnten Jahr seiner Herrschaft die Renovierung des Jerusalemer Tempels anordnet, wird dort ein Buch gefunden, das furchtbare Strafen für die Nichteinhaltung der göttlichen Gebote androht und den König zu der entsetzten Folgerung bringt:
Der Zorn des HERRN muss heftig gegen uns entbrannt sein, weil unsere Väter auf die Worte dieses Buches nicht gehört und weil sie nicht getan haben, was in ihm niedergeschrieben ist (2 Kön 22,13). Um das drohende Gericht abzuwenden, führt Joschija Reformen durch, in deren Mittelpunkt die Zentralisierung des Kultes einzig und allein auf den Jerusalemer Tempel steht.