Domenichino, Opferung Isaaks (17. Jh.)
Kaum eine biblische Geschichte stößt bei heutigen Leserinnen und Lesern auf so viel Ablehnung und Empörung wie Gen 22; gerade heute, in Zeiten des Missbrauchs, erntet die „Bindung Isaaks“
(16) oft blankes Entsetzen oder zumindest Kopfschütteln, wenn Menschen/Kinder („im Namen der Kirche“?) zum „Opfer“ gemacht wurden. Wagen wir es dennoch, der Aussageabsicht der Verfasser auf die Spur zu kommen!?
Der entscheidende Vers 22,12 („…tu ihm nichts zuleide!“) ist auch der Schlüssel zum Verständnis:
Gott will keine Menschenopfer! – Aber steht da nicht in Vers 2 das Gegenteil („… bring ihn als Brandopfer dar“)? Ist Gott also widersprüchlich, willkürlich, unberechenbar?
Wie „ist“ Gott? Darüber sagt die Bibel (strenggenommen) nichts aus; sie kann nur etwas darüber sagen, welche Erfahrungen Menschen mit Gott gemacht haben. Wie Gott „gehandelt“ hat, offenbart sich oft erst am Ende. Auch bei dieser Geschichte kann Abraham erst am Ende sagen: Puh! Das ist noch einmal gutgegangen! Das war eine echte Bewährung! – Nur der Betroffene selbst kann diese Geschichte nachträglich als „Bewährungsprobe deuten“.
(17) Aber hat Abraham nicht Gott selbst gehört? Vielleicht beneiden manche Abraham darum, dass Gott mehrfach „einfach so“ mit ihm sprach. Das dürfte jedoch eine naive Vorstellung sein. Was wir (inkl. Abraham) manchmal für die „Stimme Gottes“ halten, entpuppt sich bisweilen als ganz andere „Einflüsterungen“. Erst viel später zeigt sich, ob Gott am Werk war … War es mit dem „Befehl Gottes“, Isaak zu opfern, vielleicht ähnlich zweideutig?
Historisch ist festzuhalten, dass es in und um Israel Menschenopfer gab; in extremen Krisensituationen versuchte man, die Gottheit milde zu stimmen, indem man ihr das Kostbarste opferte – das eigene Kind. Doch in der Bibel werden Kindesopfer strengstens verurteilt – z.B. in Dtn 12,29-31! Wenn Propheten wie Jeremia dagegen zu Felde ziehen (Jer 7,31;19,5;32,35), dann bedeutet dies, dass es auch in Israel Menschenopfer gegeben hat, dass also der „Wille Gottes“ nicht für alle eindeutig war …
Hat vielleicht auch Abraham etwas für die „Stimme Gottes“ gehalten, was ganz woanders herkam? Erst im Nachhinein, im Nachdenken darüber, welchen Sinn diese Episode in seinem Leben gehabt haben soll, kommt er zu der Überzeugung, dass Gott ihn in diese Krise geführt und hindurchgeführt hat, um endgültig klarzumachen: Er will keine Menschenopfer!
Wie Abraham dazu gekommen ist, die „Opferung Isaaks“ als „Willen Gottes“ zu sehen, wissen wir nicht. Abraham macht das anscheinend ganz mit sich allein aus: Kein Wort zu Sara, kein Wort zu Isaak oder den Knechten – die Spannung auf diesem Weg wird beinahe unerträglich! Nichts deutet darauf hin, dass Abraham gezögert hätte. Er hätte es wohl getan – wenn nicht Gott selbst eingegriffen hätte!
An dieser Geschichte haben sich schon viele (Miss)Deutungen versucht: Wollte Gott in diese Krise führen? Führt Gott in Versuchung? Ist er ein „Versucher“? – Auch hierzu nimmt die Bibel Stellung: Gott führt niemanden in Versuchung (Jak 1,13f).
Gott bietet dem opferwilligen Abraham eine Alternative: Er darf opfern – nicht seinen Sohn, sondern ein Tier. In einer Welt, in der Opfer gang und gäbe sind, darf er seinen Glauben und seine Dankbarkeit in einem Opfer erweisen. Es wird noch lange dauern, bis auch die Tieropfer abgeschafft sind, bis die Menschen erkennen, dass der liebende Gott keine Opfer will, sondern Barmherzigkeit.
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