Reise durch die Bibel - Etappe 13
Urkirche - die Apostelgeschichte

Christian Düfel

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Wie entstand die Kirche? Diese Frage ist ohne die Apostelgeschichte kaum beantwortbar. Die Zeit der frühesten Entwicklungen in den ersten Gemeinden nach Pfingsten, die Organisation, Problemstellungen und die Ausbreitung des Christentums, besonders durch die Missionsreisen des Apostels Paulus, werden in diesem Buch geschildert. Eine spannende Lektüre, aber: ist es möglicherweise ein stark idealisiertes Bild der Urkirche?

 
1. Einstieg
 
Die drei Frauen am Grab, Monreale (Sizilien) Kreuzgang
Die drei Frauen am Grab, Monreale (Sizilien) Kreuzgang
Die Apostelgeschichte (entstanden um 90 n. Chr.) ist die erste urchristliche „Kirchengeschichte“ – durchaus in der Tradition antiker Historiographie. Sie schließt an das Lukasevangelium an und wird auch traditionell dem Evangelisten Lukas als Autor zugeordnet. Lukas zeichnet in diesem Buch ein ideales Bild von der Ausbreitung des Evangeliums und der Entstehung der ersten christlichen Gemeinden. Die Apostelgeschichte beginnt mit dem Rückverweis auf das Evangelium, in dem Lukas beschrieben hatte, was Jesus tat und lehrte bis zu seiner Himmelfahrt, mit der die Apostelgeschichte auch wiederum einsetzt. In den 40 Tagen zwischen Auferstehung und Himmelfahrt hatte sich Jesus den Aposteln als lebend erwiesen und mit ihnen über das Reich Gottes gesprochen. Die Apostelgeschichte beschreibt dann (Kap. 2) das Pfingstwunder.
 
Titelseite, Apostelgeschichte, Lutherbibel 1590
Titelseite, Apostelgeschichte, Lutherbibel 1590
Diese biblische Schrift kann für diejenigen, die sie lesen, eine Entdeckungsreise zu den Wirkungen des Heiligen Geistes sein: Von der Entstehung der christlichen Gemeinde in Jerusalem und von ihrer Organisation (bis Kap. 7) wird berichtet. Es folgt die Ausbreitung des Evangeliums in Judäa und Samaria durch die Apostel Philippus und Petrus (Kap. 8-12), schließlich über deren Grenzen hinaus im ganzen Römischen Reich.

Im zweiten Teil der Apostelgeschichte beschreibt Lukas die Reisetätigkeit und Mission des Paulus. Dabei stellt sich das Verhältnis zwischen jüdisch (z.B. Gemeinde in Jerusalem) und heidnisch (z.B. Gemeinde in Antiochia) geprägten Christen als spannungsreich dar. Die Vereinbarung im so genannten Apostelkonzil (Kap. 15) macht den Weg frei für ein weiteres Ausbreiten des Christentums in „heidnische“ Gebiete. Antiochien, Kleinasien, Griechenland sind Stationen der Missionstätigkeit. Auf dem Areopag in Athen konfrontiert Paulus das Evangelium mit der griechischen Philosophie (Kap. 17). Nach nochmaliger Reise durch Kleinasien und Griechenland (18,23-21,14) kommt Paulus nach Jerusalem, wird dort verhaftet und als Gefangener nach Rom (Kap. 21) gebracht. Auf diese Weise gelangt das Evangelium in die damalige Welthauptstadt.

Der gewaltsame Tod des Paulus fehlt. Er hätte nicht in die optimistische, glaubensorientierte lukanische Konzeption gepasst.


3. Die erste Gemeinde

Text
Apg 2: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017

Wo alles begann … Schauen Sie sich doch bitte einmal eine Karte an und verschaffen Sie sich einen geographischen Überblick.

Jesus ist vermutlich im Frühjahr des Jahres 30 gekreuzigt worden. Damit ist auch das Jahr der Entstehung der Urgemeinde in Jerusalem genannt. Die Apostelgeschichte selbst wird wohl um das Jahr 90 n. Chr. entstanden sein.
 
Die 50 Tage als Zeitraum zwischen Ostern und Pfingsten, dem „Geburtstag der Kirche“, (Apg 2,1) sind aber symbolisch zu verstehen. Wann sich die ersten Anhänger Jesu aufgrund der erfahrenen Erscheinungen zur Urgemeinde zusammengefunden haben, ist nicht genau auszumachen. Zuerst haben sich wohl die Jünger zerstreut.
 
Eine Reflexion des Vorgangs der Zerstreuung und Neuformierung findet sich in einer außerchristlichen (und daher besonders wertvollen) Quelle. In seinen Annalen, einer Geschichte des römischen Reichs der Jahre 14 bis 68 n. Chr. berichtet der römische Geschichtsschreiber Tacitus über die Christen, die der Brandstiftung Roms beschuldigt werden sollen:
 
„Ihr Name leitet sich von Christus her, welcher unter Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war; für den Augenblick unterdrückt, brach der verderbliche Aberglaube wieder aus, nicht nur in Judäa, von wo das Unheil ausgegangen, sondern auch in Rom, wo sich ja die Greuel und Gemeinheiten aus aller Welt ein Stelldichein geben und begeisterten Anklang finden“ (15,44,3).
 
Über die konkrete Gestalt der entstehenden Urgemeinde wissen wir sehr wenig, da die Berichte der Apostelgeschichte ein ideales Bild zeichnen, das erst von Lukas redaktionell gestaltet wurde. Petrus hat dabei eine besondere Rolle gespielt.

Ein Aspekt: Gütergemeinschaft
 
Text
Apg 4,32-37: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
 
Ein Kennzeichen der Urgemeinde in Jerusalem war die in Apg 2 beschriebene Gütergemeinschaft der ersten Christinnen und Christen. Diese wird in der Neutestamentlichen Wissenschaft unter der Annahme der nahen Wiederkunft von Christus als historisch angesehen. Wie weit die Gütergemeinschaft verbreitet war, ist aber schwer zu sagen. Interessant ist es zu fragen, ob diese von Jesu radikalem Lebensstil inspirierte Lebensform, die sich in den monastischen Traditionen bis heute widerspiegelt, heute noch Bedeutung für die Christinnen und Christen hat. Ist die Idee der Gütergemeinschaft ein gutes Modell für ein christliches Leben? War es etwa die revolutionäre Idee der Gleichheit aller Menschen, mit der die frühchristliche Bewegung durchstartete? Und ist die uneingeschränkte und radikale Gütergemeinschaft, von der die Apostelgeschichte berichtet, fast wie ein Kommunistisches Manifest? Die Schilderung des Lukas in der Apostelgeschichte sollte den Leser sicherlich zur Nachfolge anregen. Die Leserinnen und Leser heute sollen sich Gedanken machen, wie christliches Leben eine Gesellschaft prägen sollte. Überlegen Sie doch mal? Eine Frage ist auch, ob die urchristliche Zeit als ideale Zeit des Christentums bezeichnet werden kann, in der noch keine Kompromisse durch die Verbindung der Religion mit staatlicher Macht vorhanden waren. Eine These, die immer wieder diskutiert worden ist.
 
Wie soll sich Gemeinde organisieren?
 
Text 
Apg 6,1-7: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
Probleme treten auf, wo Menschen zusammenleben. Leitung scheint nötig. Wer hat das Sagen, wie soll Gemeinde organisiert sein. Im vorliegenden Abschnitt wird die Wahl eines Siebenergremiums beschrieben.

Zum Weiterdenken
  • Was in der Beschreibung der Urgemeinde kommt mir bekannt vor, was ist mir fremd?
  • Wie soll sich Gemeinde organisieren?
  • Von Diakoninnen und Diakonen – die Genderfrage
  • Wie ist die Ämterstruktur der ersten Gemeinden aufgestellt?

Exkurs: Volksgruppen und Identitäten: Die „Hellenisten“
 
Die „Hellenisten“ waren wohl ein eigenständiger, analog zu den landsmannschaftlichen Synagogenverbänden organisierter Kreis in der Urgemeinde. Vermutlich wurde er von dem überlieferten Siebenergremium geleitet. Die folgende Anklage gegen Stephanus macht wahrscheinlich, dass die Hellenisten das Kultgesetz für Christen als nicht mehr verbindlich erachteten. Damit knüpften sie an die Stellung Jesu zur Tora an. Auch der von Lukas bewusst heruntergespielte Konflikt zwischen Hebräern und Hellenisten und die Verfolgung, der Stephanus zum Opfer fällt und die zur Vertreibung der Hellenisten aus Jerusalem führt, zeigen, dass diese Gruppe eigene Wege ging. Die historische Folge der Vertreibung der Hellenisten war die Ausbreitung des Christentums außerhalb von Judäa und Galiläa. Die Apostelgeschichte nennt exemplarisch Samaria und die Städte der Küstenebene.

Zum Weiterlesen
  • Lesen Sie die Geschichte von der Bekehrung des Hauptmanns (Apg 10,24-47)

4. Die Gemeinde im syrischen Antiochia

Text
Apg 11,19-26: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
 
Ein wichtiges christliches Zentrum entsteht in der Großstadt Antiochia in Syrien. Hier geht die von den Hellenisten getragene Mission dazu über, auch Heiden („Griechen“) in die Gemeinde aufzunehmen. Vermutlich stammten die ersten Heidenchristen aus dem Kreis der Gottesfürchtigen, d.h. nichtjüdischen Sympathisanten des jüdischen Monotheismus. Damit trat eine christliche Gemeinde erstmalig als eigenständige Größe neben dem Judentum in Erscheinung. Ihre Mitglieder werden deshalb (offensichtlich von Außenstehenden) als „Christen“ (Apg 11,26) bezeichnet.
 
An der Spitze der antiochenischen Gemeinde stand ein Leitungsgremium von fünf „Propheten und Lehrern“ (Apg 13,1), zu dem auch der aus Tarsus stammende Saulus/Paulus gehörte. Mit ihm wurde die Frage nach der Verbindlichkeit der Tora für die Christen brennend. Paulus predigte die Freiheit vom Gesetz und beschnitt „Heidenchristen“ nicht. Diese Auffassung des Evangeliums wurde von anderen „Judenchristen“ vehement bestritten (Apg 15,1).

5. Das „Apostelkonzil“ – vom Umgang mit Konflikten
 
Text
Apg 15,22-29: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
 
Zur Lösung des Konflikts haben sich ca. 48/49 Barnabas und Paulus, die führenden Leute der Heidenmission, mit dem unbeschnittenen Heidenchristen Titus nach Jerusalem begeben. Diese Zusammenkunft mit den Köpfen der Urgemeinde wird meist als „Apostelkonzil“ bezeichnet. Über den Verlauf und die Ergebnisse liegen uns die Berichte in Apg 15 und Gal 2 vor, die sich in wesentlichen Punkten widersprechen und beide von einem parteilichen Standpunkt aus geschrieben worden sind. Die weiteren Ereignisse der Geschichte des Urchristentums sprechen dafür, dem Bericht des Paulus in wesentlichen Punkten zu folgen. Danach wurde per Handschlag festgelegt, dass die Jerusalemer Autoritäten, namentlich Petrus, ihre Aufgabe unter den Juden sahen, während die Antiochener, namentlich Paulus, zur Heidenmission berufen seien. Den Heidenchristen wurden keine Auflagen erteilt außer der, „der Armen zu gedenken“ (Gal 2,10), d.h. eine Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde zu sammeln.

Zum Weiterlesen
  • Vergleichen Sie die beiden Darstellungen des Apostelkonzils in Apg 15,22-29 und Gal 2,1-10. Was fällt Ihnen auf?

6. Die paulinische Mission

Der Weg der Mission des Paulus lässt sich nur durch eine Kombination aus den Erzählungen der Apostelgeschichte und gelegentlichen Bemerkungen des Apostels in seinen Briefen rekonstruieren. Paulus konzentriert sich bei seiner Mission auf die Großstädte und Provinzzentren. Dort wirkt er so lange, bis die entstandene Gemeinde selbständig existieren kann. Zeitweise hält er sich länger an einem Ort auf, benutzt ihn gleichsam als Stützpunkt (Korinth, Ephesus). Auf diese Weise entsteht schnell ein Netzwerk von Gemeinden, die nun ihrerseits in die Umgebung wirken können. Den Kontakt zu den Gemeinden hält Paulus durch Briefe und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch die Gemeinden selbst schicken Boten zu Paulus, die dann teilweise länger bei ihm bleiben und ihn unterstützen. Innerhalb der Gemeinden bildet sich eine „Ämter“struktur – Apostel, Propheten, Lehrer (1 Kor 12,28) bzw. Bischöfe und Diakone (Phil 1,1) –, die charismatisch bestimmt ist. Der Geist befähigt einzelne Gemeindeglieder dazu, diese Aufgaben zu übernehmen. Bei der konkreten Gestaltung der „Ämter“ spielen auch Vorbilder aus der städtischen Umwelt der Gemeinden eine Rolle.
 
7. Zum Schluss: Ad fontes? – Die Idealisierung der Urkirche
 
Fazit: "DAS frühe Christentum gab es in den ersten drei Jahrhunderten nach Jesu Tod nicht. Was es gab, war eine Vielzahl von Christentümern. Die Entwicklungen der Gemeinden und die Wege ihrer Mitglieder konnten kaum unterschiedlicher sein. Die frühen Christen rangen mit der Frage, wie ein wahrhaft christliches Leben aussehen könnte, und gelangten dabei zu verschiedenen Antworten. Unter diesen Bedingungen entstand eine Vielfalt von Glaubensvorstellungen und christlichen Werthaltungen, die unmittelbare Auswirkungen auf die Lebenspraxis des Einzelnen hatten ... Empfand man sich als Christ, als Jude – und wer war eigentlich ein Heide? Auf welche Autoritäten sollte man in einer Welt hören, die so reich an Irrwegen und Verführungen war? Wie sollte man für sich selbst und für seinen Nächsten sorgen, auf dass Gott ein Wohlgefallen daran fand? Und welcher Weg führte über all die irdischen Zwänge, denen man im Imperium Romanum kaum entgehen konnte, hinweg zum ewigen Heil?“ (Verlagstext zu: Hartmut Leppin, Die frühen Christen, München 2018)