Reise durch die Bibel - Etappe 12
Paulus

Christian Düfel

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Welche Autorität: Der Apostel Paulus. Wir hören ihn oft in den Epistellesungen unserer Gottesdienste. Doch zugleich kommt er uns oft auch sperrig, unverständlich, widersprüchlich vor. Ja, man hat es nicht leicht mit diesem wichtigen Theologen. Viele Fragen könnte man aufwerfen. Inhaltlich und äußerlich. Was stammt von ihm, was läuft nur unter seinem Namen? Reisen Sie für einige kurze Momente mit in die Welt des Paulus und lassen Sie sich anregen, mehr über ihn zu erfahren. 

1. Einstieg
 
Paulus, Mosaik, Oratorium S. Andrea Ravenna, 5. Jh.
Paulus, Mosaik, Oratorium S. Andrea Ravenna, 5. Jh.
Paulus von Tarsus ist durch die Apostelgeschichte und vor allem durch seine Briefe eine bekannte bedeutende Gestalt der neutestamentlichen Literatur. Er bezeichnet sich selbst als berufener Apostel Jesu Christi und seine „Mission“ ist es, die Botschaft von Jesus Christus zu verkündigen. Der Ehrentitel Apostel war für den einflussreichsten Theologen im ersten Jahrhundert umstritten. Denn nach urchristlicher Auffassung konnten nur die Jünger Jesu diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen. Seine Rolle für die Entstehung des Christentums ist aber so groß, dass dieser Ehrentitel in der Rückschau durchaus angemessen ist.

Paulus war wohl kein einfacher Mensch, und er ist bis heute kein leicht verständlicher Theologe. Er schreibt meist in Reaktion auf konkrete Gemeindesituationen. Eine einheitliche Theologie des Paulus gibt es daher nicht. Es lohnt sich aber, seine Gedanken nachzudenken und seine theologischen Impulse aufzugreifen und zu reflektieren. Man kann nur eine relative Chronologie für ihn erschließen. Sein Wirken ist aber von Anfang der 30er Jahre (Berufung) bis zum Verfassen des Römerbriefes (um 55 n. Chr.) anzusiedeln.

Paulusbriefe

Den Apostel Paulus verbindet man im Neuen Testament mit seinen Briefen. Er pflegte eine rege briefliche Korrespondenz mit seinen Gemeindegründungen in Thessaloniki, Korinth, Philippi und Galatien. Auch nutzte er das Genre Brief, um mit der ihm noch unbekannten römischen Gemeinde zu kommunizieren. Mit dem Philemonbrief ist zudem ein Brief erhalten, der an eine Einzelperson gerichtet ist. Die Paulusbriefe geben einen Einblick in die Denkwelt und Persönlichkeit des Apostels, in sein Selbstverständnis und seine Missionstätigkeit. Sie markieren den Beginn der christlichen Literatur und Theologie. In der neutestamentlichen Forschung hat sich ein relativer Konsens herausgebildet, was die Frage der Echtheit der paulinischen Briefe angeht. Den Briefen 1 Thessalonicher, 1 und 2 Korinther, Galater, Römer, Philipper und Philemon werden die Abfassung durch Paulus gewöhnlich nicht bestritten; dagegen gelten 2 Thessalonicher, Kolosser und Epheser als nicht von Paulus verfasst (Deuteropaulinen), ebenso sind 1 und 2 Timotheus und Titus (sog. Tritopaulinen bzw. Pastoralbriefe) von späteren Autoren unter dem Namen des Paulus geschrieben. Zu den Fragen der Echtheit und möglichen Teilungen oder Hinzufügungen gibt es immer wieder detaillierte Untersuchungen und neue Hypothesen.
 
Reisetätigkeit
 
Das Reisen wurde das Markenzeichen von Paulus. Nach einer wenig erfolgreichen Missionsexpedition nach Arabien war Paulus in der Leitung frühchristlicher Gemeinde in Antiochia am Orontes (heute Antakya) tätig. Es war die erste Gemeinde außerhalb Palästinas und die erste, bei der um 40 n. Chr. die Bezeichnung „Christen“ auftaucht. Die Gemeinde nahm auch Nichtjuden in ihre Gemeinschaft auf, Ursache für Konflikte mit der Jerusalemer Urgemeinde. Denn es wurde unterschieden zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Judenchristen waren Jesus-Anhänger, die beschnitten waren und die jüdischen Gesetze (Fasten, Sabbat, Reinheitsgebot) achteten, sog. Heidenchristen waren dagegen nicht an die jüdischen Gesetze gebunden.
 
Basilika St. Paul vor den Mauern in Rom
Basilika St. Paul vor den Mauern, Rom
Von Antiochia reiste Paulus durch Kleinasien, Griechenland und Makedonien. Über die Reisen wird nur in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments berichtet. In Galatien, Philippi, Thessaloniki, Kolossä, Ephesus und an anderen Orten gründete Paulus christliche Gemeinden. Ein besonderes Verhältnis hatte er zur Gemeinde in Korinth. Auch in Athen trat er auf und diskutierte mit Philosophen (Apg 17,16-34). Ziel war für ihn als „berufener Apostel“, das Christentum in die damals bekannte Welt zu bringen, damit nach der Vollendung das Reich Gottes kommen könne. Doch Paulus kam nicht bis ans Ende der Welt (im Westen Spanien), und Rom hat er nur als Gefangener betreten. Denn in Jerusalem wurde er von den römischen Besatzern beim Überbringen der gesammelten Kollekten inhaftiert und nach mehreren Jahren Haft nach Rom geschickt. Vermutlich erlitt Paulus – wie Petrus – bei der ersten römischen Christenverfolgung den Märtyrertod.


3. Vom Saulus zum Paulus

Texte
Apostelgeschichte 9,1-20: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
Galater 1,10-16: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017

Paulus stammte aus Tarsus, einer damals weltoffenen Hafenstadt an der südöstlichen Mittelmeerküste Kleinasiens. Er war ein griechisch sprechender Jude, der seine jüdisch-hellenistischen Traditionen pflegte: Das Alte Testament kannte er nur in der griechischen Übersetzung. Er tat sich nach eigenem Bekunden als Christenverfolger hervor, bis ihm Gott „seinen Sohn Jesus in mir“ offenbarte. In der Apostelgeschichte und an einzelnen Briefstellen wird mehrfach darauf eingegangen.

Sich „vom Saulus zum Paulus“ zu wandeln ist sprichwörtlich geworden. Wenn ein Mensch eine 180-Grad-Wende vollzogen hat, sich vom Schlechten ab- und zum Guten hinwendet, dann ist er sprichwörtlich vom „vom Saulus zum Paulus“ geworden Die Redewendung beruht auf aber auf einem Missverständnis. Denn eine solche Namensänderung hat es beim richtigen Paulus gar nicht gegeben.

Wenn man die Geschichte in der Bibel nachliest (Apg 1-13), merkt man: Von einer Namensänderung ist dort keine Rede. Durchweg bleibt Saulus auch Saulus. Und auch in den folgenden Kapiteln ist das der Fall. Der Name Paulus taucht nicht auf. Erst vier Kapitel später heißt es lapidar: „Saulus aber, der auch Paulus heißt, ...“ – und fortan wird nur noch von Paulus gesprochen. Das heißt: Saulus bleibt Saulus, ob als Christenverfolger oder Christ. Es ist wohl so, dass Saulus zeitlebens auch auf den Namen Paulus hörte. „Saulus“ ist schlicht sein hebräischer Name, den er in seinem jüdischen Umfeld benutzte. Es war damals für Juden nicht unüblich, im hellenistisch-römischen Umfeld einen weiteren Namen zu benutzen, der dem hebräischen ähnelte, für andere aber sofort verständlich war. Bei Saulus war das: Paulus. Er selbst erwähnt in seinen Briefen an keiner Stelle seinen hebräischen Namen Saulus, sondern bezeichnet sich immer als Paulus. Mit seiner Bekehrung bringt auch der Apostel seinen Namenswechsel nicht in Verbindung.

4. Die Korinther, die Liebe und der Glaube an Christus und den dreieinigen Gott

Texte
1 Korinther 13: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
1 Korinther 15,3b-7: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
2 Korinther 13,11-13: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017

Im Korintherbrief lässt sich keine den ganzen Brief durchziehende einheitliche Gedankenführung feststellen. Es geht hier um aktuelle Themen der Gemeinde (u.a. Ehe und Ehelosigkeit, Götzenopferfleisch, Geistesgaben, Kollekte für Jerusalem), besonders aber um die Parteienbildungen in der Gemeinde. Der Brief ist als Aufruf zur Eintracht und Einheit bezeichnen.

Grundmelodie: Für Paulus gibt es verschiedene Geistesgaben in der Gemeinde, die alle aus dem Geist Gottes kommen. Durch die Taufe sind alle Christen Glieder des Leibes Christi. Wie kein Glied des Leibes allein existieren kann, so kann kein Charisma für sich existieren und sich über andere erheben. Jeder hat seine spezielle Gnadengabe und Funktion in der Gemeinde. Der höchste Weg aber ist der der Liebe.

Die Basis für Paulus ist immer der Glaube an Jesus Christus. Die frühesten „Bekenntnisse“ finden sich bei Paulus – seine Briefe sind ja vor den Evangelien geschrieben. Den Korintherbrief datiert man z.B. ca. auf das Jahr 54.

Zum Weiterdenken
  • Sehen Sie sich 1 Kor 15,3b-7 an und vergleichen sie den Text mit unserem heutigen apostolischen Glaubensbekenntnis.
  • Interessant ist auch, dass z.B. in Briefschlüssen trinitarische Formeln enthalten sind, die heute noch in den liturgischen Formeln der Kirchen verwendet werden (schauen Sie auf 2 Kor 13,11-13). Die Trinitätslehre als Dogma entwickelte sich allerdings erst später und reagiert meist auf Aussagen, die als problematisch („häretisch“) empfunden werden – ein hochkomplizierter, aber hochspannender Prozess. Die Dreiheit Vater/Sohn/Geist ist aber, wie gesehen, schon bei Paulus angelegt.

5. Die Thessalonicher und die Auferstehung

Text
1 Thessalonicher 4,13-18: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017

Thessalonich (das heutige Thessaloniki in Griechenland) war zur Zeit der Abfassung des Briefes Hauptstadt der kaiserlichen Provinz Mazedonien und Sitz des Prokonsuls. 1 Thessalonicher ist der älteste uns erhaltene Paulusbrief (wohl 50/51). Da in ihm Kreuzestheologie oder Rechtfertigungslehre keine Rolle spielen, wird er öfters als Frühwerk in der theologischen Entwicklung des Apostels angesehen.

Im ersten Brief an die Thessalonicher kommt Paulus aber auf eine zentrale Glaubensfrage zu sprechen. Es ist die Frage, was bei der Wiederkunft Jesu Christi mit den Toten geschehen wird. Paulus und seine Begleiter wollen die Adressaten darüber aufklären. Die Gemeindeglieder sind in Sorge, was mit den verstorbenen Gemeindegliedern bei der Wiederkunft Christi geschehen wird. Denn die Thessalonicher erwarteten, dass das Ende bald kommen werde. Manche heirateten deswegen nicht und konzentrierten ihr ganzes Leben auf das Ende. Doch eine Frage wurde virulent: Was ist mit denen, die schon gestorben sind?

Paulus argumentiert mit einem „Wort des Herrn“, also Jesu selbst, auf die Sorge der Thessalonicher, dass die vor der Wiederkunft Christi Gestorbenen nicht daran teilhaben könnten. Er verweist in seiner Antwort auf Tod und Auferstehung Jesu Christi als den Grund christlicher Hoffnung. Dann darauf, dass das Ziel die endgültige Vereinigung aller Christen mit dem Herrn ist. Über den Zustand der Entschlafenen sagt die wörtliche Übersetzung "Schlafende“ viel aus: Es handelt sich nicht um den Tod im eigentlichen Sinne, sondern um Schlaf, aus dem der Mensch jederzeit geweckt werden kann. Dies wird am Ende der Tage geschehen. In dieser Hoffnung sollen die Thessalonicher einander trösten.

Zum Weiterdenken
  • Bis heute eine drängende Frage: Was geschieht mit uns nach dem Tod? Gibt es ein Leben nach dem Tod, und wenn ja: Wie gelangt man in dieses Leben? Was denken Sie? Sicher es ist eine Antwort des Glaubens, nicht des Wissens.

Nach Paulus bezeugt Jesus durch seine Auferstehung Gott und sein neues Leben. Darauf aufbauend resultiert der Glaube, dass Gott auch alle, die zu Jesus gehören, als ihm Nachfolgende ebenso auferwecken wird, wenn sie gestorben sind. Paulus spendet Trost, dass die Lebenden den Verstorbenen in dieser Hinsicht nichts voraushaben, dass alle gleichgestellt sind. Sie werden mit jenen zusammen seine Ankunft (Parusie) erleben und mit ihm und untereinander in Gottes Welt Gemeinschaft haben.

6. Die Rechtfertigung allein aus Glauben

Texte
Römer 1,16-17: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
Römer 3,21-24: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017

Die Rechtfertigung bei Paulus hat ihre Grundlage in der Christologie, da Gott im Tod Christi seine Gerechtigkeit erweist, indem er Sündenvergebung und Rechtfertigung schenkt, die im Glauben angenommen werden. Voraussetzung dieser in vielfacher Weise zum Ausdruck gebrachten christologischen Fundierung ist die grundlegende Einsicht, dass Gott in Christus offenbar geworden ist und gehandelt hat.

Die Botschaft von der Rechtfertigung besteht dabei aus drei Elementen: Die Initiative geht allein von Gott aus, Gottes Handeln ist nicht an Vorbedingungen geknüpft, und der Glaube ist die Antwort des Menschen im Sinne eines rückhaltlosen Vertrauens.

Für den Beginn der Reformation war die Rückbesinnung auf das paulinische Rechtfertigungsverständnis wichtig. Martin Luther erkannte durch seine Beschäftigung mit dem Römerbrief die befreiende Wirkung der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade und stellte sich gegen eine ausufernde „Werkgerechtigkeit“. Sie wurde für ihn zur Grundlage des evangelischen Verständnisses der Rechtfertigung.
 
Rechtfertigungslehre und Ökumene
 
Petrus und Paulus, Gravur aus der Hippolyt-Katakombe (4. Jh.),Vatikanische Museen
Petrus und Paulus, Gravur aus der Hippolyt-Katakombe (4. Jh.), Vatikanische Museen
Die Rechtfertigung des Menschen ist ein zentrales Thema christlicher Theologie. Unterschiedliche Auffassungen von Rechtfertigung führten maßgeblich zur Kirchenspaltung im 16. Jahrhundert. Seitdem wurde das Trennende zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche vor allem in der Rechtfertigungslehre gesehen. Im 20. Jahrhundert gab es in Deutschland zahlreiche Bemühungen, das Trennende zwischen den beiden Kirchen zu überwinden.

1999 wurde nach langjährigem Dialog die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche“ von Vertretern beider Kirchen in Augsburg unterzeichnet. Dort heißt es: „Es ist unser gemeinsamer Glaube, daß die Rechtfertigung das Werk des dreieinigen Gottes ist. Der Vater hat seinen Sohn zum Heil der Sünder in die Welt gesandt. Die Menschwerdung, der Tod und die Auferstehung Christi sind Grund und Voraussetzung der Rechtfertigung. Daher bedeutet Rechtfertigung, daß Christus selbst unsere Gerechtigkeit ist, derer wir nach dem Willen des Vaters durch den Heiligen Geist teilhaftig werden. Gemeinsam bekennen wir: Allein aus Gnade im Glauben an die Heilstat Christi, nicht auf Grund unseres Verdienstes, werden wir von Gott angenommen und empfangen den Heiligen Geist, der unsere Herzen erneuert und uns befähigt und aufruft zu guten Werken.“ (Nr. 15)

7. Der Ausgangspunkt des Paulus: Das Kreuz als Kern

Texte
Philipper 2,6-8: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
1 Korinther 1,18: Einheitsübersetzung 2016 | Lutherbibel 2017
 
Für Paulus ist die Kreuzestheologie das Wichtigste. Er wehrt sich dagegen, das Kreuz von der Auferstehung her zu nivellieren: Nur am Kreuz hat sich Gott als der Gott erwiesen, der gerade in der Niedrigkeit der Welt Retter der Menschen sein will. Die Christinnen und Christen leben in der Gemeinschaft der Glaubenden. Diese Gemeinschaft muss für Paulus den Anspruch erfüllen, Sünden keinen Raum zu geben. Das beschreibt er immer wieder. Da die Christen durch die Taufe mit Christus gestorben sind, werden sie mit ihm und durch ihn leben. Das Kreuz (und das „für uns gestorben“) ist der Angelpunkt des Glaubens, der durch Paulus wesentlich beeinflusst die Grundlage des Christentums bildet.

Inspirationen für weitere Entdeckungen

Sehen Sie sich auf einer Landkarte – zu finden z.B. hier – die Reisewege des Paulus an.