Auf weiblichen Spuren durch die Münchner Innenstadt - Teil 1 Kirchenhistorischer Rundgang beleuchtet die "Frauen im Hintergrund"

Frauen spiel(t)en in der Kirchengeschichte Münchens oft eine bedeutende Rolle. Dennoch muss man heute schon recht genau hinschauen, um im Stadtbild ihre Spuren zu entdecken. Ein Stadtrundgang mit Dr. Roland Götz vom Archiv und der Bibliothek der Erzdiözese tut genau dies: Jeweils vor Ort entstehen vor dem geistigen Auge kurze Frauen-Geschichten, traurige, halbkomische und erstaunliche – von der namenlosen unehelichen Mutter, die ihr Baby aussetzt, bis zur Kaiserin-Witwe und natürlich zur stärksten Frau Bayerns. Wir sind mitgegangen und stellen in drei Teilen 15 Frauenfiguren vor.
 
Dr. Roland Götz mit sechs Teilnehmerinnen des Kirchenhistorischen Rundgangs durch die Münchner Innenstadt vor der Dreifaltigkeitskirche
Dr. Roland Götz mit sechs Teilnehmerinnen des Kirchenhistorischen Rundgangs durch die Münchner Innenstadt vor der Dreifaltigkeitskirche

Station 1 - Frauenplatz am Dom: Petronella Stromair

Grabstein von Petronella Stromair in der Mauer der Liebfrauenkirche am Frauenplatz
Wenn eine Frau wie Petronella Strohmair um die Wende des 16./17. Jahrhunderts abgebildet werden wollte, dann geschah das - was selten genug der Fall war - wie hier anno 1601 auf einem Grabstein. Die Grabplatte aus Rotmarmor des Friedhofs an der Frauenkirche ist inzwischen Teil des nördlichen Mauerwerks des Doms. Die Inschrift auf dem Stein lautet "Petronella Stromairin wit:/ frau Starb Anno 1601 den 8./April d[er]. g[ott] g[enad]." Abgebildet ist sie mit Halskrause und Rosenkranz, vor einem verlöschenden Leuchter und gestützt auf einen Totenschädel - Todes- und Vergänglichkeitssymbole.

Das "wit" steht für "Witwe". Als solche wollte sich Petronella wieder neu vermählen, musste sich aber - weil ihr begüteter Lebensumstand kein Geheimnis war - falscher Bewerber erwehren. Die Spreu vom Weizen trennte die offenkundig pfiffige Frau laut der 1864 von Franz Trautmann aufgeschriebenen Geschichte in den  "Alt-Münchner Wahr- und Denkzeichen", indem sie erklärte, dass im Falle ihres Ablebens ihr Vermögen zu halben Teilen an ihre treue Wirtschafterin und die Armen ihrer Heimatstadt Nürnberg gehen werde. Das ließ zwei Möchtegern-Bewerber erst erbleichen und dann verschwinden. Frau Strohmaier aber lebte noch froh für "ein ganzes Halbdutzend Jahre".

Station 2 - Frauenplatz am Dom: Fanni von Ickstadt

Kupferstich "Todessturz der Fanni van Ickstadt" von 1785
Kupferstich "Todessturz der Fanni von Ickstadt" von 1785
War es ein Unfall? Oder ein Freitod? Es wird wohl nie zweifelsfrei zu klären sein, was sich am 14. Januar 1785 auf dem Nordturm der Frauenkirche zugetragen hat. Der Türmer und das Stubenmädchen von Fanny von Ickstadt bestätigten den Freitod, denn die 17-Jährige habe sich vor dem Heraufsteigen auf den Turm verabschiedet. Doch Bischof, Polizei und Kurfürst bestanden auf der Unfallversion und ermöglichten so das kirchliche Begräbnis.

Obwohl die Zeitungen damals nichts von dem Vorfall berichteten, wurde er zum Münchner Stadtgespräch - wie auch zuvor schon die mutmaßlichen Ereignisse im Haus der von Ickstatts, in dem Fannys Mutter Maria der Tochter untersagte, eine Verlobung mit dem jungen Offizier Franz von Vincenti einzugehen. Trieb dieser emotionale Tumult die junge Fanny zu ihrer Verzweiflungstat? Ein Jahr nach der Veröffentlichung von Johann Wolfgang von Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" war die Versuchung groß, eine Liebeskummer-Handlung zu unterstellen.

Fanny von Ickstatt erhielt denn auch den Ruf einer "weiblichen Werther", und selbst Goethe kam die Geschichte zu Ohren. Nach einem München-Besuch im folgenden Jahr schrieb er an Charlotte von Stein: „Ich stieg auf den Turm von dem sich die Fräulein herabstürzte.“

Station 3 - Frauenplatz: Namenlose Mutter eines Findelkindes

Zettel mit Angaben zu dem am 8. Oktober 1807 aufgefundenen Kind Joseph Stiegler
Zettel mit Angaben zu dem am 8. Oktober 1807 aufgefundenen Kind Joseph Stiegler
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts muss die soziale Situation in München angespannt gewesen sein. Ein Indikator dafür sind laut Roland Götz die vermehrten Kindesaussetzungen - innerhalb der Stadtmauern, also des heutigen Altstadtrings, jährlich rund zwei Dutzend. Damit die Babys schnell aufgefunden wurden, setzten die verzweifelten, oft vermutlich unverheirateten Mütter diese auch an Kirchentüren ab.

Für die Kirche stellte sich bei solchen Kindern die Frage, ob diese getauft waren. Das ließ sich eigentlich nur dann klären, wenn die Mutter ihrem Kind einen Zettel beigab, auf welchem sie dies erklärte. Solch ein Zettel wurde dann jeweils im Taufbuch erwähnt. Im Zweifel wurde das Findelkind getauft. "So sehr die Kirche Zweittaufen ablehnt, gibt es im Kirchenrecht die Möglichkeit zur ‚bedingungsweisen Taufe‘", erklärt dazu Roland Götz.

Im Pfarrarchiv des Doms finden sich einige der Zettel von ausgesetzten Kindern. Auf einem vom 8. Oktober 1807 steht in Bleistift geschrieben: "Ich bitte um Gottes willen, diesem armen Kind an Kindsstatt anzunehmen. Er hat den heiligen Tauf auf der Kindsstuben empfahen. Joseph heißt er. Ich weiß keinen Vater. Der Winter ist vor der Thür. Ich weiß mir auß Armut nicht zu helfen. So bite ich, um Gottes willen, eß kristlich zu erzihen, wovor ich lebenslängig biten wolle, vor tausent mahl Vergeltsgott sage. 9 Tage ist er alt."

Zu seinem Nachnamen Stiegler kam der kleine Joseph durch eine pragmatische Herangehensweise in solchen Fällen. Die Kinder wurden nach ihrem Fundort benannt, in seinem Fall war dies das Stiegenhaus, das Treppenhaus, gelegen in einem Haus neben dem Dom.

Station 4 - Liebfrauendom: Magdalena Scharfzandt

Ausschnitt aus dem Domfenster
Ausschnitt aus einem Domfenster
Eine gigantische Kirche wie der Dom Zu unserer lieben Frau konnte im Mittelalter nur durch ein Zusammenwirken von Stadt, Pfarrei, Bistum und vielen privaten Spendern entstehen - "das, was man heute Sponsoring nennt", so Roland Götz. Hier kamen die reichen Patrizierfamilien ins Spiel, die jeweils ein Patronat über die Seitenkapellen des Doms übernahmen. Sie zahlten für Bau und Ausstattung und erhielten dafür das Recht, dass Gottesdienste für ihre verstorbenen Familienangehörigen an den Altären abgehalten wurden und sie dort Familiengruften erhielten. Auf Gegenständen in den Kapellen durften sie zudem ihr "Logo" hinterlassen, ihr Wappen.

Aber auch ihre Konterfeis wurden verewigt, was eine der wenigen Möglichkeiten war, sich abbilden zu lassen. So sieht man seit 1955 in dem Glasfenster der Kapelle der Erzbruderschaft Unserer Lieben Frau zu Altötting in der Chorhauptkapelle inmitten dreier Szenen aus dem Leben Marias auch das Ehepaar Magdalena und Wilhelm Scharfzandt, der 1473 einen Altar für die Rupertuskapelle gestiftet hatte, in der das Fenster des Künstlers Peter Hemmel von Andlau  aus dem Jahr 1493 ursprünglich zu sehen gewesen war.

In den beiden ersten Zeilen des Fensters steht in der Mitte Christus als Schmerzensmann, rechts kniet der Stifter Wilhelm Scharfzandt vor dem Heiligen Matthias, am Rand ist sein Wappen zu sehen. Links kniet vor dem Heiligen Thomas die mit einem Rosenkranz betende Magdalena, links am Rand ist wiederum ihr Wappen abgebildet. "Die Sponsoren werden hier in einem Akt der Frömmigkeit dargestellt", erläutert Roland Götz.

Station 5 - Liebfrauendom: Frauen der Familie Sänftel

Schutzmantelbild von Jan Polack aus dem Jahr 1510
Schutzmantelmadonna-Bild von Jan Polack aus dem Jahr 1510 mit den Frauen der Familie Sänftel (rechts unten)
Nicht nur auf Glasfenstern, sondern auch auf Gemälden ließen sich die Stifterfamilien verewigen und damit in einem Fall auch die Frauen der Familie Sänftel. An der linken Wand der Kapelle der Erzbruderschaft Unserer Lieben Frau zu Altötting hängt das Bild einer Schutzmantelmadonna. Das Gemälde von Jan Polack stifteten die Sänftels um 1510. Hier breiten Engel Marias weiten Mantel mit Ährenmuster über die darunter kniende Menschheit. Auf der rechten Seite kniet der geistliche Stand, den Priester, Ordensmänner, Bischöfe und Kardinäle darstellen, und auf der linken Seite die weltlichen Stände wie Bürger und Patrizier. In der rechten Bildecke ist das Stifterehepaar mit seinen vier Kindern - zwei Töchter und zwei Söhne - und neun Enkelkindern sowie den Familienwappen zu sehen.
 
Teil 2 "Von Klosterschwester, Kurfürstin und Königin" finden Sie hier.

Teil 3 "Frauen im Vorder- und im Hintergrund" finden Sie hier.

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