Bereits am 12. September 1944 hatte die US-Armee die deutsche Grenze bei Aachen überschritten und dieses als erste deutsche Großstadt am 21. Oktober erobert. Doch sollte noch ein halbes Jahr schwerer Kämpfe bis zur Kapitulation am 7. und 8. Mai 1945 vergehen. In Bayern marschierten die Amerikaner im April 1945 ein und besetzten unter anderem am 11. April Würzburg, am 20. April Nürnberg, am 30. April München, am 1. Mai Landshut, am 2. Mai Rosenheim und am 4. Mai Bad Reichenhall. In einer fortlaufenden Reihe veröffentlichen wir Tag für Tag Auszüge aus den Kriegs- und Einmarschberichten der Pfarrer aus dem Jahr 1945 - ein eindrückliches Zeitdokument.
Zerstörter Kirchenraum von St. Michael in München im Jahr 1945 nach Bombentreffern
8. Januar 1945:
Pfarrei München-St. Sebastian; Berichterstatter: Stadtpfarrer Otto Breiter
"Die Pfarrei erhielt noch am [Tag des Bombenangriffs am 31. Juli 1944] von der Wehrmacht die Erlaubnis, den unteren Turnsaal der Hohenzollernschule, die als Reservelazarett verwendet wird, als Notkirche zu benützen. Er wurde zu diesem Zwecke eingerichtet und diente der Pfarrei St. Sebastian, St. Josef (im August) und der evangelischen Gemeinde, der Kreuzkirche, die am gleichen Tag auch ihre Kirche durch Feuer verloren hatte, als sehr guter Behelfsraum, bis er am 17. Dezember 1944 an Türen und Fenstern schwer geschädigt wurde. Bis zum 24. Dezember wurde die Notkirche im Turnsaal wieder völlig hergestellt. Am 7./8. Januar 1945 wurde dieser Kirchenraum durch mehrere Bombentreffer in den Schulhof völlig demoliert. Der Saal hatte in den Weihnachtsfeiertagen bis zu 700 Personen Raum geboten. Bis zum 14. Januar 1945 wurde als 2. Notkirche der Lehrsaal Nr. 12 im Erdgeschoß des gleichen Schulhauses eingerichtet. Die 6 Sonntagsgottesdienste haben durch die Terrorangriffe während der ganzen Katastrophenzeit keine Unterbrechung erlitten."
Die am 7. Januar 1945 zerstörte Notkirche der Pfarrei München-St. Sebastian in einem Turnsaal der Hohenzollernschule. Photographie von Stadtpfarrer Otto Breiter.
7. Januar 1945:
Kuratie der I. Universitäts-Frauenklinik München, Berichterstatter: Pfarrer Dr. Johann Baptist Hartmann
"Wir begingen noch ganz feierlich Epiphanie mit Festamt und feiner Musik und abends dreiviertel 8 Uhr begann der Doppelterrorangriff, bei dem die Klinik einmal gleichzeitig an 6 Stellen brannte. Auch der schöne Kirchenturm sank zusammen. Eine Bombe durchschlug den Löschteich, der auslief. Zudem fror der Motor unserer mutigen Hausfeuerwehr immer wieder ein. Nach dem ersten schrecklichen Angriff eilte ich trotz Abratens in meine Wohnung durch den Südfriedhof, der taghell erleuchtet war durch den Brand des Gesundheitsamtes und benachbarter Häuser. In meiner Wohnung hatte der Luftdruck das seinige getan und die inneren Mauern, Fenster und Türen umgeworfen bzw. zersprengt. Aber es war keine Zeit zum Beraten.
Gegenüberliegende Brände trieben unsere Hauseigentümer zum Löschen. Dort war kurz vor Beginn ein Inwohner nach Krankheit gestorben und mit dem Haus beim Angriff als Leiche verbrannt. Sonst gab es Gott sei Dank dort keine Toten. Neuer Alarm. Ich eilte in die Klinik und kam gerade noch unter Dach, als die zweite Angriffsserie begann, die noch ärger war als die erste. Ich lief nach Vorentwarnung trotz Warnung vor Zeitzündern wiederum nach meiner Wohnung. Aber welches Bild auf dem Querweg durch den Südfriedhof! Vom Eingang bis zum Ausgang lag Baum an Baum über dem Weg, so daß man weite Umwege machen mußte, um hinaus zu kommen. Man durfte an die Gefahr der Zeitzünder nicht lange denken, die besonders groß war. Dazu die grimmige Kälte.
Als ich spät nach Mitternacht wieder in die Klinik kam, brannte sie noch an verschiedenen Stellen. Die Feuerwehr brachte wegen der großen Kälte den Motor nicht in Gang. Man mußte weiterbrennen lassen. Es war eine Situation zum Verzweifeln. Während des zweiten Angriffs kam binnen kurzer Zeit Welle auf Welle. Es war einfach fürchterlich. Ein Halbdutzendmal riß der Luftdruck die Eisentür zum Küchenvorraum auf. Ich zog sie immer wieder mit Beihilfe zu. Draußen heulte die Luft wie eine Meute Hunde. Es folgte Schlag auf Schlag, so daß der Boden und das ganze Haus zu wanken schien. Immer wieder neue Einschläge.
In der Pestalozzistraße standen Möbel an Möbel. Es wurden unter Lebensgefahr immer noch mehr herausgetragen, da oben brennende Stücke herabstürzten. Die dermatologische Klinik brannte oben, ebenso die pathologische Klinik und viele Häuser an der Waltherstraße. Meine Klinikzimmer Nr. 217/218 waren unbeschreiblich verwüstet und zerstört wie noch nie. Bücher hat es auf die Straße gerissen vom Schrank heraus. Fensterstockteile lagen über meinem Bett. Dazu überall unzählige Glassplitter. Die Schranktüren waren zerfetzt, die Zimmertüren zersprengt. Die Nacht war schlaflos. Ich lehnte mich im Rückraum der Notkapelle in einen Lehnstuhl und warf eine Decke übers Knie. Es war das Schrecklichste, was wir bisher erlebt hatten."