Tritt gegen das Schienbein Warum es heutzutage viel Mut braucht, sich als Christ zu erkennen zu geben

In seiner Biographie zu Georg Büchner schreibt Hermann Kurzke, dass Theologen leidenschaftlich Fragen diskutierten, die andere gar nicht hätten. Als Religionslehrer habe ich diese Erfahrung durchaus geteilt. Auch auf Feiern oder bei Dates wirkt es so, als herrsche Einigkeit darüber, dass man die Hälfte des Gesprächs über „Gott und die Welt“ angenehmerweise auslässt.

In einer säkularen Welt mit vielfältig nebeneinander laufenden und akzeptierten Wahrheiten ist die Diskussion über den Glauben oftmals viel zu sperrig, kontrovers und tiefgründig für einen angenehmen Abend. Manche finden es auch schlicht peinlich, in aufgeklärten Zeiten über Gott zu sprechen. Andere wiederum stehen fest in ihrer Meinung, ohne dabei vielleicht auch nur einmal mit einem aufrechten Christen ins Gespräch gekommen zu sein. Das mediale Bild, die eigenen Vorurteile oder das, was einmal der Pfarrer oder der Religionslehrer von früher gesagt haben, reichen ja für die nächsten 100 Jahre.

Und auch für manchen Christen ist es heute angenehmer, nicht auf den Glauben angesprochen zu werden. Wer will sich erstmal zehn Minuten für Missbrauch entschuldigen und sich zu einer Gruppe bekennen, die auf Außenstehende den Eindruck macht, als habe sie ihre besten Tage nun wirklich hinter sich?
fußballer hält sich sein schienbein
Ein Tritt vors Schienbein kann im Sport sehr schmerzhaft sein – im übertragenen Sinn aber auch ein Weckruf, der Gutes bewirken kann.
Für uns Christen ist das gerade an Pfingsten ein wenig ermutigender Befund – mal wieder. Lieber nicht als Außenseiter gelten. Lieber nicht Rechthaber sein. Lieber nicht als der argumentative Prügelknabe herhalten. Und auch im christlichen Umfeld geht es uns manchmal so, wenn wir Teil einer Gruppe sind, die andere Ansichten hat. Wer will sich schon im weltoffenen Umfeld als Liebhaber lateinischer Messen outen? 

Pfingsten ist dahingehend ein deutlicher Tritt gegen das Schienbein. Der Heilige Geist macht uns Mut, von unserer Hoffnung und unserem Glauben zu sprechen – in der Öffentlichkeit, mit Menschen, die nicht unseren Glauben teilen oder ihn gar nicht richtig kennen.

Nein, das ist kein Aufruf zur Mission auf Geburtstagsfeiern oder zur christlichen Zwangsbeglückung mit frommen Gedanken. Es geht darum, mutig Zeugnis abzulegen für den Glauben – in einer Zeit, die so orientierungslos und oberflächlich erscheint wie kaum eine andere. Die Menschen in unseren Tagen sind auf der Suche nach dem Sinn und dem Grund, wozu sie überhaupt da sind. Auch wenn theologische Bücher mittlerweile in Buchhandlungen neben Lebensberatung und Esoterik eingeordnet werden – wir Christen müssen Zeugnis dafür ablegen, dass die Botschaft Christi viel mehr ist: ein unermesslich wertvoller Schatz für jeden Menschen, der ihn hebt.

Es sind keine leichten Antworten, die Christen auf die großen Fragen des Lebens geben. Der Gott Jesu Christi ist kein postmoderner Verfassungsrichter oder Psychologe. Er schenkt uns seine Gnade, aber er fordert auch eine Menge von uns. Er stellt uns angesichts des Leides vor Rätsel. Er sichert uns seine Gegenwart zu und scheint manchmal doch auffällig abwesend zu sein. Es braucht Mut, um den Glauben offen zu bekennen, über ihn zu reden, im Sinne Jesu zu handeln, manchmal auch Zweifel zuzugeben. Zurückweisung, Desinteresse und Spott gehören zum Berufsrisiko der Arbeiter im Weinberg des Herrn. Aber bei all dem können wir darauf vertrauen, dass die Dinge noch in der Verantwortung von jemand anderem stehen, der größer ist als wir. Mutig sein wird belohnt werden – wie Hilde Domin es auf ihrem Grabstein festhalten ließ: „Wir setzten den Fuß in die Luft, und sie trägt.

Text: Martin Nieroda, Pfarrgemeinderat in St. Ulrich in Unterschleißheim und Vorsitzender des Dekanatsrates München- Feldmoching, entnommen aus Münchner Kirchenzeitung vom 9. Juni 2019, Nr. 20