Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wie hat Gott mich gedacht? Antworten auf die Fragen lassen sich bei einem „spirituellen Coaching“ finden. Die Nachfrage ist hoch: Rund 30 ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter umfasst das Team im Erzbischöflichen Ordinariat.
Spirituelle Begleiterin Susanne Schwarzenzböck (re.) und Renate Schmid (li.) bei einer Übung
„Ich amte ein. Und aus. Ich öffne mich. Komme bei mir an. Strecke mich weit nach oben und kehre zurück zur Erde. “ Mit einer Atem- und Körperübung beginnt Susanne Schwarzenböck ihren Qigong-Spaziergang. Ihr gegenüber steht Renate Schmid. Konzentriert folgt sie den Anweisungen. Hebt ihre Arme, senkt sie, geht in die Knie und streckt ihre Hände gen Himmel. Eine „gute Mischung aus Körper und Seele“, sagt sie. Die Übung hilft ihr, körperlich aktiv zu sein und innerlich zur Ruhe zu kommen.
Offenheit und Reflexionsvermögen
Zwei- bis dreimal im Jahr bietet Susanne Schwarzenböck ihren Qigong-Spaziergang an. Sie ist Pilgerbegleiterin, Wanderleiterin und spirituelle Wegbegleiterin. Seit einigen Jahren arbeitet sie für den Fachbereich „Spiritualität und Exerzitien“ des Erzbischöflichen Ordinariats. Ein Schwerpunkt dort ist die „spirituelle Begleitung“. Dr. Gabriele Grunden, die Leiterin des Fachbereichs, spricht allerdings lieber von „spirituellem Coaching“.
Das erklärte Ziel: Verschüttete spirituelle Ressourcen wieder zu heben. Die Begleitung findet in der Regel einmal im Monat statt und kann mehrere Jahre dauern. Dazu braucht es „Offenheit und Reflexionsfähigkeit“, so Grunden. Für sie das Schönste: Wenn an einem gewissen Punkt die Augen der Begleiteten zu leuchten beginnen, wenn „innere Quellen auf einmal wieder sprudeln“.
Renate Schmid (l.) zeigt Susanne Schwarzenböck ihre Kartenauswahl.
Die Nachfrage nach „spiritueller Begleitung“ ist groß
Susanne Schwarzenböck und Renate Schmid sitzen auf einer Bank mit Blick über den Seehamer See. Schmid hält drei Fotografien in der Hand. Sie soll auswählen, welche ihr am besten gefällt. Es wird die Karte mit dem türkisfarbenen Meer und den gelben Blumen auf den Dünen. Auf der Rückseite ein Gedankenanstoß. Sie liest laut vor: „Wie weit reicht mein Horizont?“ „Ja“, sagt Schmid, nach kurzem Nachdenken und lacht: „Manchmal nur bis zur Küche, wo das Geschirr wartet.“ Und dann, nach einer weiteren kurzen Pause: „Ich glaube, die meisten Grenzen setzt man sich im Innern selber“. Susanne Schwarzenböck fordert sie auf, über diese Frage ein wenig zu meditieren. Unterstützend spielt sie über ihr Handy ein ruhiges Stück von Beethoven ab.
„Der Bedarf nach spiritueller Begleitung ist groß“, hält Dr. Gabriele Grunden fest. Auch bei Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind. Aktuell sei die Nachfrage noch mal deutlich gestiegen, angesichts des Missbrauchsskandals in der Kirche. Viele Gläubige seien deshalb zutiefst verunsichert und suchten Hilfe.
Zertifizierte Ausbildung
Grunden stehen rund 30 ehrenamtliche Begleiterinnen und Begleiter zur Verfügung. Unter ihnen gibt es Priester, Pastoralreferentinnen, aber auch Juristen und einen Opernsänger. Sie alle haben eine zertifizierte Ausbildung hinter sich, nach den Standards der Deutschen Bischofskonferenz. Einmal jährlich müssen alle Begleiterinnen und Begleiter an einer Fortbildung teilnehmen und sich zudem um eine Supervision kümmern. Und ganz grundsätzlich braucht es ein gutes Einfühlungsvermögen.
"Die Ruhe mit allen Sinnen aufnehmen"
Innere Gelassenheit gewinnen
Am Seehamer See beschließt Susanne Schwarzenböck den Spaziergang mit einer letzten Qigong-Übung: „Ich nehme noch mal in der Ruhe, in der ich jetzt bin, mit allen Sinnen auf, was mich umgibt. Das Streicheln des Windes auf meiner Haut, das Vogelgezwitscher, die Sonnenstrahlen, die mich wärmen. Und ich bedanke mich bei mir selbst, den wichtigsten Menschen auf Erden“. Renate Schmid bedankt sich ebenfalls. Und freut sich auf das nächste Treffen und vor allem über ihre gewonnene „innere Gelassenheit“.
Text: Jochen Reiling, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, Oktober 2022