Mit Freising war Staat zu machen Das Bistum Freising gehörte lange Zeit nicht zu Bayern und war ein Global Player

Es gab sie in Istrien, der Steiermark, in Niederösterreich und Südtirol oder in Slowenien: Mittelbar gehörten zum Hochstift Freising verstreute, oft weit entfernte Besitzungen und Güter. Das Hochstift war ein eigener Staat und nur dem Kaiser verantwortlich. Jahrhundertelang waren Münchner in Freising Ausländer.
 
Kirche St. Thomas im slowenischen Skofja Loka
Ehemals im Besitz des Bistums Freising und heutige Partnergemeinde: St. Thomas im slownischen Skofja Loka
Wollten Münchner um das Jahr 1800 einen kleinen Auslandstrip machen, hatten sie nicht weit. Sogar zu Fuß konnten sie die Grenze erreichen: Einfach über die Isar und ein paar Kilometer flussabwärts – und schon waren die Wanderer am Schlagbaum. Ungefähr dort, wo heute das Klinikum Bogenhausen steht, begann das Hochstift Freising, eine Art kirchlicher Ministaat, immerhin größer als der heutige Vatikan. Weltlicher Herrscher und damit Fürst war der Bischof von Freising. Hauptsächlich zog sich sein Territorium an einem schmalen Streifen rechts der Isar entlang, inklusive einer kleinen Sommerresidenz für den Landesherrn in Ismaning. Im Wappen dieser Gemeinde prangt bis heute der so genannte Freisinger Mohr, das Hoheitszeichen der Fürstbischöfe.

Genauso wie in Škofja Loka im heutigen Slowenien, das früher auch Bischofslack hieß. Sogar auf den Autokennzeichen in der Stadt ist das Wappen zu sehen. Freisinger bekommen hier mit Recht Heimatgefühle, denn auch Škofja Loka gehörte einmal zum Streubesitz des Hochstifts. Es war eine kaiserliche Gabe an den Freisinger Bischof Abraham, der sie 973 entgegen nahm. Verwickelte Rechtsbeziehungen und Souveränitätsfragen gibt es aber nicht erst seit der Gründung der Europäischen Union. Škofja Loka lag im Herzogtum Krain, da hatten sich die Fürstbischöfe mit einem anderen Landesherrn zu arrangieren, etwa beim Strafrecht. In Freising konnte der Fürstbischof Todesurteile erlassen, in Škofja Loka nicht.

Trotzdem vernachlässigten die geistlichen Herrscher ihren weit von der Hauptstadt Freising liegenden Besitz keineswegs, verliehen dem Ort Marktrechte und ließen eine Stadtmauer bauen. Streubesitz hatte das Hochstift auch im heutigen Südtirol und in Österreich.
 
Dr. Roland Götz vor Kartenmaterial
Dr. Roland Götz
Zeitweise musste es sich sogar um ein paar Dörfer und Flecken auf der istrischen Halbinsel an der nördlichen Adria kümmern. Ein Urlaub dort wäre für die Freisinger Verwaltungsangestellten im Mittelalter kein Auslandsaufenthalt gewesen. Wenn sie denn hingekommen wären. Das passierte aber nur selten, höchstens um gelegentliche Eigentums- und Abgabenansprüche zu klären. Denn meistens waren Vögte eingesetzt. Ihr Name leitet sich von Advocatus ab, sie waren also Rechtsbeistände und Sachwalter. Sie kamen häufig aus dem lokalen Adel, der seine eigenen Interessen verfolgte. Manchmal so gründlich, bis fast vergessen war, unter welcher Herrschaft die kleinen Ortschaften eigentlich standen.

Die Verwaltung des weit entlegenen und verstreuten Besitzes war für die Eigentümer immer herausfordernd. „Man kann sich halt nicht aussuchen, was man von Herzögen, Königen oder Kaisern geschenkt bekommt und wo es liegt“, sagt Roland Götz. Der Kirchenhistoriker und Schriftführer des Vereins für Diözesangeschichte von München und Freising schlägt eine Karte des Hochstifts auf und gleich darauf einen Band mit Abbildungen aus dem sogenannten Fürstengang auf dem Freisinger Domberg.

Dort sind 32 Gemälde zu finden, auf denen die historischen Besitztümer des Bistums dargestellt sind. Es sind Kopien, die Originale aus der Zeit um 1700 befinden sich im Diözesanmuseum. Die hat ein gewisser Valentin Gappnigg gemalt und das dokumentiert auf künstlerische Weise die Beziehungen des Hochstifts zu seinen Ablegern. Denn Gappnigg lebte in Oberwölz in der Steiermark, und, Überraschung, das war Freisinger Besitz, zusammen mit einigen umliegenden Gütern.

Als Fürstbischof Franz Eckher von Kapfing und Lichteneck auf einer Reise durch seine entlegenen Herrschaften dorthin kam, schenkte ihm der ortsansässige Maler Gappnigg schlauerweise jeweils eine Ansicht der Stadt Oberwölz und der dazugehörigen Burg Rothenfels. Ein Türöffner für den großen Auftrag im Freisinger Fürstengang, wo der Bischof sich nun immer die weit entfernten Städte und Landschaften anschauen konnte, für die er verantwortlich war und die ihm Abgaben leisteten. Auch wenn es dazu keine genauen Forschungen gibt, trugen sie wohl einen erheblichen Teil zum Einkommen des Hochstifts bei.
 
Wappen des Bistums Freising
Wappen des Bistums Freising
Etwa das im Spätmittelalter wegen seiner Eisenerzindustrie reich gewordene Waidhofen an der Ybbs. Wie zufrieden die Untertanen mit ihrem geistlichen Herrn waren, ist schwer zu sagen. Immerhin gibt es den alten Sprach: Unterm Krummstab ist gut leben. „Das mag die Erfahrung zum Ausdruck bringen, dass Untertanen unter geistlicher Herrschaft etwas leichter gelebt haben als unter einer adlig-weltlichen“, sagt Roland Götz. Dennoch warnt er davor, „das zu romantisieren“, denn die Höhe der Steuern und Abgaben unterschieden sich nicht wesentlich, „und die wurden einem Fürstbischof genauso ungern abgeliefert wie einem anderen Grundherrn“.

Etliches kam davon in Form von Naturalien in Freising an: Etwa Wein aus Weißenkirchen in der Wachau, wo bis heute ein sieben Hektar großes Weingut den  Namen „Freisingerhof“ trägt. Transportiert wurden die Güter auf den „Autobahnen“ des vormodernen Zeitalters, den Wasserwegen von Isar, Inn und Donau. Gerade mit dem großen europäischen Strom waren viele Fernbesitzungen Freisings verbunden, wie Großenzersdorf bei Wien.

In den Napoleonischen Kriegen verfrachtete der Fürstbischof zweimal den Freisinger Domschatz und das Archiv auf Flöße, um es an diesem sicheren Ort vor französischen Plünderungen in Sicherheit zu bringen. Natürlich trägt auch Großenzersdorf den Freisinger Mohr im Wappen. An anderen Orten wie in Innichen in Südtirol ist es der großgemalte Bär an der Stiftskirche, der an die historischen Verbindungen mit Freising erinnert und der heute auch das Wappen der Isarstadt dominiert.

Der Bär ist das Attribut des Heiligen Korbinian, der, aus der Gegend von Paris kommend, das Bistum Freising gegründet hat und damit am Anfang von dessen europäischen Verbindungen steht. Die werden heute intensiver denn je gepflegt: Auf dem Korbiniansfest im November sind stets Vertreter aus den früheren Besitzungen Freising dabei, die teilweise auch zu offiziellen Partnergemeinden geworden sind. Die politischen Fernbeziehungen des untergegangenen Fürstbistums bestehen also fort, sogar mit mehr persönlichem Austausch als früher.
 
Text: Alois Bierl, Chefreporter beim Sankt Michaelsbund, September 2024