Gott macht keine halben Sachen Die Biographie eines Menschen wird nicht im Nichts versanden

Sonne in Wolken über Bergen
Gott weckt auf, Leben bleibt erhalten. In der unsichtbaren Welt dürfen wir schauen, was in der sichtbaren Welt unsichtbar war.
Was kommt danach? Wenn ich sterbe, was dann? Was erlebe ich, wenn die Sinne schwinden? Was passiert, wenn die Zeit geht – und mit ihr die Welt, das Universum? Gibt es ein wirkliches Ende überhaupt, geht es nicht vielmehr immerzu weiter? Fragen wie diese kommen auf. Das Ende des Kirchenjahres scheint eine Zeit zu sein, in der wir intensiv an eine Zukunft denken, die bildlich gar nicht ausmalbar ist – von der der Glaube aber sagt, dass es sie gibt. Der Allerseelentag ist Kundgabe gläubiger Hoffnung, dass die Verstorbenen leben.
 
Christen beten für Seelen, deren Leiber begraben wurden und der Auferstehung harren. In früheren Zeiten sang man beim Requiem: „Tag der Tränen, Tag der Wehen, da vom Grabe wird erstehen zum Gericht der Mensch voll Sünden; lass ihn, Gott, Erbarmen finden“ (Dies irae). Es ging darum, im Moment des Ankommens in der neuen Welt dem milden Jesus zu begegnen. Für die „Armen Seelen“ zu beten, bedeutet, zu bekennen, dass es nach dieser Zeit weitergeht, dass es nicht vorbei ist; es geht darum, um Nachsicht zu bitten für die, die drüben beladen eingetroffen sind. Die unsichtbare Welt ist ein Lebensraum, in den Lebende keinen Einblick erhalten, der deshalb vage, ja geheimnisumwittert bleibt.

Die sichtbare und die unsichtbare Welt

 
Genau diese andere, jenseitige Welt bekennen Christen – beispielsweise im Großen Credo; sie sagen, dass Gott, der Vater, „alles geschaffen hat, […] die sichtbare und die unsichtbare Welt“. In einer Präfation wird Gott angerufen als der, der „vor den Zeiten“ war: vor dem Urknall, vor der Evolution – der Ewige schlechthin. Von Christus, dem Sohn Gottes, heißt es bei Paulus, dass der Sohn vor der Zeit existierte, „vor aller Schöpfung“, in „ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare“ (Kol 1, 16 – 17).
 
Grundsätzlich sind biblisch orientierte Menschen hiervon überzeugt: Dass nämlich das von Gott Geschaffene gut und in sich stimmig ist, dass Gott keine halben Sachen macht. Das bekundete lange vor dem Auftreten Jesu das Alte Testament. Dort wird zum Herrn gesprochen: „Du liebst alles, was ist, und verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; denn hättest du etwas gehasst, so hättest du es nicht geschaffen. […] Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens“ (Weish 11,24.26). Diese Überzeugung gilt auch für die Lebensqualität der unsichtbaren Welt.
 
Das Gericht ist der Beginn des Heils

Gott hat also die unsichtbare Welt gut geschaffen, er liebt diesen Schöpfungsteil, weil er ein Freund des Lebens ist und zu dem steht, womit er den Menschen beschenken will. Diese biblische Wahrheit hilft beim Nachdenken über das Ende der Zeit ungemein. Denn Befürchtungen und Sorgen über ein Gericht greifen um sich, die dieses Gericht so fürchten lehren, als wäre es ein Inferno und keinesfalls der Beginn der Aufrichtigkeit, des Heils, der endgültigen Gerechtigkeit, eines Friedens, der im Diesseits oft ein Sehnsuchtsort war.
 
„Leben ruft hartnäckig nach Leben und kann nicht anders“ (Bertram Stubenrauch), weil sich erfahrene Liebe nach Liebe ohne Ende sehnt (vgl. 1 Kor 13,13). Die Vorstellung der jenseitigen Welt ist mit dem Angebot verknüpft, als einzigartige Person endgültig ganz und heil zu werden – so heil und versöhnt, dass der Schöpfergott auch als Vollender und Seelenarzt eines verletzten Lebens erfahren werden will. Denn Verletzungen, die im Leben erlitten werden mussten, werden in die Ewigkeit mitgenommen, der ganze Mensch wird überführt.
 
Gibt es am Ende eine Fortsetzung?

Wenn die Jahre voranschreiten, setzt sich im Bewusstsein auch dies fest: Im Todesmoment ist die Flucht unmöglich, der Zieleinlauf beginnt – für ihn gibt es keine Generalprobe. Jetzt tauchen sie erneut auf, die Fragen: Was kommt jetzt? Beginnt etwas Neues? Gibt es am Ende eine Fortsetzung: Leben – zweiter Teil?
 
Der Glaube sagt ja, weil Christus auferstanden ist. An ihm wurde der Beweis geführt: Die unsichtbare Welt hat Macht über die sichtbare hinaus. Gott weckt auf, Leben bleibt erhalten. Was im Diesseits erhofft und geglaubt wurde, wird drüben erkannt und geschaut. In der unsichtbaren Welt darf endlich geschaut werden, was in der sichtbaren Welt unsichtbar war. Der Glaube an „das Leben der kommenden Welt“ (Großes Credo) ist Resonanz auf das Versprechen Gottes, dass die Biographie nicht im Nichts versandet, sondern Reifung zur Ganzheit und Vollendung erfährt. Dieser Christkönig „wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal. Denn was früher war, ist vergangen.“ Er verspricht: „Seht, ich mache alles neu“ (Offb 21,4 – 5).
 

Text: Björn Wagner, Leiter des Pfarrverbands Trudering und der Münchner Pfarrei Christi Himmelfahrt, aus: Münchner Kirchenzeitung vom 24. November 2019

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