Am 15. Mai wird der 1942 im Konzentrationslager Dachau ermordete niederländische Theologe Titus Brandsma heilig gesprochen werden. An den entschiedenen Gegner der Nationalsozialisten erinnert in der Gedenkstätte KZ Dachau eine Steinplatte. Ein Rundgang mit Judith Einsiedel, Bischöfliche Beauftragte für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising.
Durch den Torbogen des sogenannten Jourhauses, in dem die SS-Mannschaft ihren Tagdienst verrichtete, muss er wohl gekommen sein. Dann passierte Titus Brandsma die Gittertür mit dem berüchtigten und zynischen Schriftzug „Arbeit macht frei“. Damit begannen für den Ordenspriester, Journalisten und Philosophieprofessor im Konzentrationslager Dachau die letzten Wochen seines Lebens.
Judith Einsiedel öffnet diese Tür behutsam. Die Theologin ist Bischöfliche Beauftragte für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising und hat sich deshalb auch mit dem Karmelitenpater befasst, der am 15. Mai in Rom seine Heiligsprechung erfährt. Judith Einsiedel deutet auf die weite und unwirtliche Fläche hinter dem Jourhaus und dem Gitter, es ist der ehemalige Appellplatz: „Hier ist Titus Brandsma wie viele tausend andere Gefangene wahrscheinlich entsprechend empfangen worden, mit einem Prügelspalier und viel Geschrei.“ Zeitweise haben die Wachmannschaften Priester etwas besser und dann wieder noch schlimmer als andere Gefangene behandelt. Das hing von politischen Erwägungen des Regimes ab, je nachdem ob die Nationalsozialisten die Kirche günstig stimmen oder sie unter Druck setzen wollten.
Der 1891 im niederländischen Oegeklooster als Bauernsohn geborene Titus Brandsma zählte jedenfalls zu ihren Todfeinden. Schon vor der Besetzung der Niederlande hatte er das Regime scharf verurteilt und diesen Widerstand auch in der einheimischen Kirchenpresse verankert. Als Koadjutor des Utrechter Erzbischofs Jan de Jong hatte er entscheidenden Einfluss auf die katholischen Medien. Als die niederländischen Oberhirten ihre Zeitungen anwiesen, selbst nach der deutschen Besatzung keine NS-Propaganda zu drucken, überbrachte Brandsma dieses Verbot persönlich in die Redaktionen.
Die Besatzungsmacht rächte sich: Sie nahm ihn zunächst fest und verschleppte ihn einige Monate danach ins Konzentrationslager Dachau, wo er am 19. Juni 1942 eintraf. Die Baracke, in die ihn die Wachmannschaft gestoßen hat, steht schon lange nicht mehr. Nach dem Krieg wurden die meisten Gebäude auf dem Gelände abgerissen. Judith Einsiedel kann Besucher heute nur noch zu einem langen, mit Betonschwellen einfassten Rechteck führen. Dort weist sie auf einen niedrigen Zementblock hin, auf dem die Zahl 28 zu lesen ist. „Hier war eine der drei sogenannten Priesterbaracken: auf dem Geviert 26 waren deutsche Priester untergebracht, auf Nummer 30 die besonders diskriminierten polnischen, dazwischen die anderen Geistlichen aus dem Ausland.“
Gedenktafel für Titus Brandsma
Titus Brandsma brachten die schwere Zwangsarbeit, die Misshandlungen und Folterungen sowie die chronische Unterernährung schon bald in eine Krankenbaracke, die heute rekonstruiert ist. Hier haben Lagerärzte den völlig entkräfteten Karmelitenpater wohl noch mit pseudomedizinische Experimenten gequält. Ob einer der KZ-Ärzte oder eine Krankenschwester ihm hier am 26. Juli 1942 die endgültige Todesspritze gesetzt hat, ist nicht ganz sicher. „Es existiert aber das Zeugnis einer KZ-Krankenschwester, dass ihr Brandsma besonders Erinnerung geblieben ist und er seinen Mördern auf dem Sterbebett verziehen hat“, erklärt Judith Einsiedel.
Seine Landsleute haben ihn bereits nach dem Krieg als Märtyrer verehrt und ihm eine Gedenktafel im Hof des Karmeliterklosters gewidmet, das an die KZ-Gedenkstätte angrenzt. Besuchern, die danach fragen, hilft Schwester Elija Boßler, die unauffällige Steinplatte zu finden. Die Ordensfrau, die seit 56 Jahren im Dachauer Karmel lebt, vermutet, dass es das einzige Denkmal für Brandsma in Deutschland ist. Etwa 15 auf 15 Zentimeter ist der weiße Stein groß. Er ist rechts unten neben einem großen Relief angebracht, das den Hl. Josef als Schutzpatron der Sterbenden zeigt. Ein niederländischer Pater hat die Aufstellung des Reliefs vorgeschlagen und die damalige Priorin des Klosters gebeten, auch die Tafel mit der Aufschrift „Gestiftet von niederländischen Katholiken im Andenken des Prof. Dr. Titus Brandsma und allen anderen“ anbringen zu dürfen.
Seitdem beschäftigt sich auch Schwester Elija immer wieder mit dem niederländischen Ordensmann. 1985 hat sie bereits die Seligsprechung des Märtyrers erlebt. Seitdem kommen jedes Jahr Karmeliten und mit ihnen verbundene Laien aus Brandsmas Heimat für einen Tag in das Dachauer Kloster. Klar, dass auch die Heiligsprechung am 15. Mai für Schwester Elija und ihr Kloster ein großer Tag ist.
Im Sonntagsgottesdienst werden die Schwestern mit einer szenischen Lesung aus Brandsmas Texten an den neuen Heiligen erinnern und Bilder von ihm im Kirchenvorhof zeigen. „Die Karmelitenbrüder aus den Niederlanden haben mir da schon vor längerem große Fotodateien auf den Rechner geschickt“, erzählt Schwester Elija. Mit diesen Bildern würdigt das Kloster Brandsma als den ersten heiliggesprochenen Märtyrer aus Dachau. Er war auch der erste unter ihnen, den die Kirche vor 37 Jahren seliggesprochen hatte.
Es sind Ehrungen, die immer über ihn hinausweisen. „Sie halten auch die Erinnerung an die Leiden aller 200.000 KZ-Gefangenen in Dachau wach, von denen über 41.000 nicht überlebt haben“, sagt Judith Einsiedel von der katholischen Gedenkstättenseelsorge. Auch beim Verlassen der Gedenkstätte drückt sie die Klinke der Gittertür am Jourhaus behutsam auf, an der Titus Brandsmas letzter Leidensweg und der so vieler anderer Menschen begann.
Text: Alois Bierl, Chefreporter Sankt Michaelsbund, Mai 2022
Gottesdienst zur Heiligsprechung von Titus Brandsma
Am Tag der Heiligsprechung von Titus Brandsma findet am Sonntag, den 15. Mai um 9 Uhr in der Klosterkirche von Karmel Heilig Blut in Dachau ein Gottesdienst mit Pfarrer Jakob Paula statt. Neben der musikalischen Gestaltung durch die Karmelitinnen findet eine szenische Lesung zum Leben von Titus Brandsma im Anschluss an den Gottesdienst von Pfarrer Paula, Sr. Elija Boßler und Lektor Peter Heller, dem Vorsitzenden des Runden Tisches gegen Rassismus Dachau, statt. Daneben gibt es eine kleine Fotoausstellung im Klosterhof mit Bildern von Titus Brandsma.