Bildnis eines unsichtbaren Gottes? Christliche Gottesbilder in der Kunst

"Welches Bild soll ich für Gott ersinnen, da doch im Grunde genommen der Mensch selbst Gottes Ebenbild ist?“, fragte einst Octavius. Im Laufe der Jahrhunderte sind trotz dieses Dilemmas viele Gottesdarstellungen entstanden.
Ecco Homo im Innsbrucker Dom
"Ecce Homo" von Mark Wallinger im Innsbrucker Dom
Erinnern Sie sich noch an Bilder von Gott aus Ihrer Kindheit? Welches Bild war für Sie da besonders prägend? Hat auch das Bild vom alten, gütigen Mann auf dem Thron noch eine Rolle gespielt? Es ist bemerkenswert, wie stark die Bilder, die wir selbst im Kopf haben, von der Glaubenswelt und den Bildern geprägt wurden, die in einer religions- und kunsthistorischen Epoche im Vordergrund standen.

Und obwohl in der Ausgestaltung von Kirchen das Bild des alten väterlichen Gottes auf dem Thron im 20. Jahrhundert im Grunde keine Rolle mehr spielte, so war dieses Bild doch in der privaten Frömmigkeit und auch in Schulbüchern noch lange Zeit prägend. Da es hierbei um einen Kern der Frage nach dem Bild des unsichtbaren Gottes geht, soll ein kurzer Blick auf die historische Entstehung dieses Gottesbildes vom Gottvater auf dem Thron geworfen werden.

Bilderverbot ohne Einschränkung

Grundsätzlich gilt im christlichen Glauben das Gottesbild-Verbot, wie es in den Zehn Geboten formuliert ist: „Du sollst dir kein Kultbild machen, keine Gestalt von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.“ (Dtn 5,8, in nochmals verschärfter Form in Ex 20,4–5). Für die frühen Christen galt dieses Gebot im Grunde ohne Einschränkung. In einer Abhandlung von Marcus Minucius Felix (um 200) lässt dieser den Octavius sagen: „Welches Bild soll ich für Gott ersinnen, da doch im Grunde genommen der Mensch selbst Gottes Ebenbild ist? Welchen Tempel soll ich ihm bauen, da diese ganze Welt, das Werk seiner Hände, ihn nicht zu fassen vermag?“

Dementsprechend wurde Gott-Vater im ersten Jahrtausend niemals selbst bildlich dargestellt, allenfalls kann man auf Bildern die Hand Gottes erkennen, die vom Himmel auf die Erde weist und ein vorsichtiger Verweis auf die Präsenz des unsichtbaren Gottes ist.
 
Alte Pfarrkirche in München-Neuhausen
In der alten Pfarrkirche München-Neuhausen, die heute nicht mehr existiert, griff Richard Seewald in seiner Gestaltung eines Glasfensters von 1968 die alte Tradition eines vorsichtigen Bildhinweises auf die Präsenz Gottes durch die Darstellung der Hand
Der Glaube an Jesus Christus als „Gottes eingeborener Sohn...eines Wesens mit dem Vater“ bedeutete freilich eine entscheidende Herausforderung und Neuerung für die Frage nach den Möglichkeiten einer bildlichen Darstellung Gottes. Da Jesus Christus Mensch geworden ist, konnte man ihn bildlich zeigen. So heißt es im Brief an die Kolosser 1,15: „Er ist Bild des unsichtbaren Gottes.“ Sehr früh, ab dem dritten Jahrhundert, wurde Jesus Christus auf Sarkophagen oder in den Katakomben bildlich dargestellt in enger Anlehnung an die spätantike Bildwelt: Jesus wurde durch Bilder antiker Heroen wie Herkules oder Orpheus repräsentiert, aber auch als guter Hirte wiedergegeben.

In dieser frühen Zeit gab es auch verschiedene Darstellungstypen für das Gesicht Jesu, über dessen Aussehen es in der Bibel ja keinerlei Berichte gibt: Es gab einen jugendlichen, bartlosen Typus, wir er sich zum Beispiel in der Apsis von San Vitale in Ravenna findet (um 540), und es gab den bärtigen Philosophentypus, wie er sich dann in der abendländischen Kunstgeschichte im Wesentlichen durchgesetzt hat.

Dennoch blieb die Frage nach den Bildern im Christentum umstritten. Bereits im ersten Jahrtausend gab es aufgrund des starken Bedürfnisses von Menschen, „sich ein Bild zu machen“ und Bilder für die religiöse Praxis zu haben, auch Auswüchse im Bilderkult und geradezu magische Hoffnungen in Bilder. So handelte der byzantinische Bilderstreit im achten und neunten Jahrhundert darum, ob und wie das Göttliche im Bild dargestellt werden und in welcher Weise ein solches Bild verehrt oder gar angebetet werden dürfe.
Gnadenstuhl in Garmisch
Ein Fresko auf der Chorwand aus dem 15. Jahrhundert in der alten Pfarrkirche St. Martin in Garmisch zeigt noch den frühen Darstellungstypus des Gnadenstuhls: Christus hält hier in Person des Vaters (zu erkennen am Kreuznimbus und dem jugendlichen Gesicht) noch selbst das Kreuz, an dem er hängt
Der Streit wurde im Zweiten Konzil von Nicäa im Jahr 787 beigelegt - basierend auf Überlegungen des Theologen Johannes von Damaskus (um 650–754), Gott sei zwar unsichtbar, aber er habe selbst durch die Inkarnation seines Sohnes ein sichtbares Bild von sich gemacht. Durch die Unterscheidung von Verehrung und Anbetung wurde auch Auswüchsen im Kult um heilige Bilder Rechnung getragen: Anbetung gebühre nicht dem Bild, sondern der Wirklichkeit hinter dem Bild.

Nach diesem Bilderstreit entwickelte sich die Kunstgeschichte im byzantinischen Reich und im Abendland in unterschiedlicher Weise: Während in Byzanz und in seinem Einflussbereich versucht wurde, durch feste Bildtypen die Heiligkeit der Bilder auf Dauer zu gewährleisten, wurde in der abendländischen Kunstgeschichte der Weg gewählt, immer neue Bilder zu suchen, um sich dem eigentlich Undarstellbaren immer wieder neu zu nähern und im Grunde genommen Bilder fortwährend durch neue Bilder in Frage zu stellen und zu ersetzen.

Der seit dem Jahr 1000 nach Christus überlieferte Brauch der Verhüllung von Bildern in Kirchen in der Fastenzeit trägt dieser Infragestellung der Bilder Rechnung. Eine entscheidende Veränderung trat in der abendländischen Kunstgeschichte mit der bildlichen Darstellung Gottvaters ein, die schrittweise um das Jahr 1200 begann, in einer Zeit, in der dem Sehen eine äußerst große Bedeutung zugemessen wurde – man spricht hier von spätmittelalterlicher Schaufrömmigkeit.

Bannbruch in der abendländischen Kunst

Um 1200 entstehen etwa Darstellungen des „Gnadenstuhls“, auf denen Jesus als Bild des unsichtbaren Gottes das Kreuz hält, an dem er selbst als Sohn nochmals dargestellt ist, verbunden mit der vermittelnden Gestalt des Heiligen Geistes, der, wie schon im Markus-Evangelium erzählt, in Gestalt einer Taube wiedergegeben ist. Etwa im sogenannten Landgrafenpsalter in Stuttgart, entstanden 1211 bis 1217, wird Christus in Person Gottvaters wiedergegeben und ist durch den Kreuznimbus und sein jugendliches Alter noch eindeutig als „Jesus Christus“ erkennbar.

Bereits kurze Zeit später wird die Gestalt Jesu, die oben anstelle von Gott Vater steht, als älterer Mann gezeigt, als Vater Jesu Christi. Theologisch bezog man sich hier unter anderem auf die Stelle aus Daniel 7,9, wo es heißt: „Da wurden Throne aufgestellt und ein Hochbetagter nahm Platz. Sein Gewand war weiß wie Schnee, sein Haar wie reine Wolle.“ Damit war in der abendländischen Kunst im Grunde ein Bann gebrochen – im ersten Jahrtausend wäre dies völlig undenkbar gewesen – und Gott-Vater wurde künftig auch selbst als Mensch dargestellt.
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Göttliches Licht in der Kirche „Seliger Pater Rupert Mayer“ in Poing
Werfen wir einen Blick auf bildliche Darstellungen Gottes und Jesu Christi heute: Wie gesagt, spielt die Darstellung Gott-Vaters auf dem Thron heute keine Rolle mehr, zu naiv und vereinfachend ist diese. Auch in Bezug auf Darstellungen der Person Jesu Christi ist besonders seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den Kirchen eine große Zurückhaltung festzustellen.

Bevor dies näher betrachtet wird, soll hier noch ein Blick auf ein aktuelles Phänomen geworfen werden: Nicht dem Bereich der Kunst zugehörig, aber doch als aktueller Gebrauch eines Christus-Bildes etwas, das hier mit erwähnt werden muss, ist die gegenwärtige Verbreitung des Bildes „Jesus von der Göttlichen Barmherzigkeit“, das auf eine Vision der polnischen Ordensschwester Faustyna Kowalska in den 1930er Jahren zurückgeht. Das Bild wird zum Teil von Verantwortlichen vor Ort auch in Kirchen aufgestellt. Schwester Faustyna hat selbst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieses Bild nicht gelungen sei und nur eine gewisse Annäherung an ihre Vision ermögliche.

Dieses Bild entspricht dem Bedürfnis besonders konservativer Gläubiger, sich ganz bei Jesus Christus fallen zu lassen und von seinem Licht erleuchtet zu werden. Zugleich ist dieses Bild eine sehr starke Betonung der göttlichen Wesenheit Jesu Christi bei gleichzeitigem Zurückstellen seines menschlichen Wesens. Beide Wesenheiten „wahrer Gott“ und „wahrer Mensch“ in einem Bild zu vereinigen, gelang in der Kunstgeschichte nur den größten Meistern, etwa Rembrandt in seinem wunderbar berührenden Bild „Der auferstandene Christus“ in der Münchner Alten Pinakothek.
St. Georg in Herbertshausen
Glasfenster von Jerry Zeniuk als weiteres Bespiel für göttliches Licht in St. Georg in Hebertshausen
Der zurückhaltende Umgang auch mit Darstellungen Jesu Christi seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat unterschiedliche Gründe: Hier ist zum einen die verstärkte weltkirchliche Perspektive zu sehen. Afrikanische Christen stellen Jesus als einen der ihren mit dunkler Hautfarbe da. Noch am Ende des 19. Jahrhunderts rief Max Liebermanns Gemälde „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ von 1879 (überarbeitet 1883) einen Skandal hervor, weil Jesus hier als einfacher jüdischer Knabe gezeigt wurde, was er ja zweifelsohne war.

Es ist bemerkenswert, dass sich – aus der Geschichte heraus – eine Darstellungsweise Jesu durchgesetzt hat, die ganz westlich-mitteleuropäisch geprägt ist. Geht man zurück auf Jesu jüdische Wurzeln, müssten alle Darstellungen Jesus als Juden zeigen. Geht man aber davon aus, dass Jesus immer in seiner Umgebung wirkt und verehrt wird sowie für diese Mensch geworden ist, müsste er konsequent immer in der Hautfarbe und kulturellen Prägung der jeweiligen Region gezeigt werden. Die gesellschaftliche und kulturelle Verengung des Gottes- und Christusbildes durch die über lange Zeit patriarchal geprägte westliche Welt wird heute zurecht durch den Blick auf die kulturelle Vielfalt und die Bedeutung auch des weiblichen Blickes auf Gott geweitet.

Zum anderen hat die theologische Neubesinnung im Konzil auf die Communio-Theologie zur Folge, dass sich der Gedanke eines Bildes Gottes fundamental erweitert: Die Gemeinde selbst, das Volk Gottes, ist Bild des unsichtbaren Gottes, und die Räume sollen diese Gemeinschaft und Begegnung fördern und erlebbar machen. In der 2018 geweihten Kirche „Seliger Pater Rupert Mayer“ in Poing, einem Bau, der vielfach ausgezeichnet wurde, ist die Begegnung mit dem Göttlichen in dem aus unsichtbarer Gegenwart hereinströmenden Licht ein individueller Akt in der Gemeinschaft der Gläubigen, die so selbst Bild des unsichtbaren Gottes wird – eine Gegenwart, die erst in der gemeinsamen Feier des Gottesdienstes wirklich ganzheitlich erfahrbar wird. Das Bild Gottes ist somit nichts, was man von außen betrachtet, sondern etwas, das einen in seiner Lichtgestalt umhüllt und von innen erfasst.

Leben in seiner Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit zum Ausdruck bringen

In der zeitgenössischen Kunst, der es ein wesentliches Anliegen ist, das Leben in seiner Vielgestaltigkeit und auch Widersprüchlichkeit künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, ist es im Grunde unmöglich, das eine, allgemein gültige Bild vom unsichtbaren Gott zu entwickeln. Dabei setzen sich viele zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler mit dem Phänomen „Religion“ auseinander, gerade angesichts der Tatsache, dass das Christentum über Jahrhunderte unsere abendländische Kultur geprägt hat, im Zuge der Säkularisierung weitgehend unsichtbar geworden ist, aber gegenwärtig durch Tendenzen der Postsäkularisierung neu in den öffentlichen Fokus tritt.
Ecce Homo im Innsbrucker Dom
"Ecce Homo" von Mark Wallinger im Innsbrucker Dom
Der britischer Turner-Preisträger Mark Wallinger schuf 1999 für die „Fourth Plinth“ am Londoner Trafalgar Square einen leeren, sieben Meter hohen, ursprünglich für ein Reiterdenkmal gedachten Sockel, eine lebensgroße Skulptur im öffentlichen Raum: Ein realistisch wiedergegebener Mann von heute, nur mit einem Lendentuch bekleidet, mit vergoldetem Stacheldraht bekränzt und hinter dem Rücken gebundenen Händen, steht mitten im Stadtraum und blickt ruhig nach vorne. Der weiße Marmorton abstrahiert die Figur und löst zugleich die Assoziation eines Standbildes aus. Die Ikonografie verweist eindeutig auf das „Ecce Homo“, die Szene, als Jesus von Pilatus dem Volk vorgeführt wird mit den Worten „Ecce Homo“ – „Seht, ein Mensch“. Diese Worte standen auch auf dem Sockel. Diese Arbeit löst mitten im Stadtraum ebenso eine Reflexion über die Bedeutung des christlichen Glaubens in der Gesellschaft heute aus, sowie es darüber nachdenken lässt, wie wir heute den Menschen sehen und wie wir mit Menschen umgehen.

Die Ecce Homo-Figur von Wallinger wurde auch im Museumsraum auf dem Boden stehend präsentiert – eine neue und ganz unmittelbare Konfrontation mit „dem Menschen“ auf Augenhöhe. Im Innsbrucker Jakobsdom ist Wallingers „Ecce Homo“ noch bis zum 30. September zu sehen – Bischof Hermann Glettler, selbst bildender Künstler und Kunsthistoriker, hat das Projekt „Gebt mir Bilder!“ in Innsbruck und Hall in Tirol zum 500. Geburtstag von Petrus Canisius initiiert.

In der Arbeit Wallingers gelingt es dem autonomen Künstler, die Grundfrage des Christentums auf seinen Kern zu verdichten: Was ist der Mensch in der Welt, und wie können wir diesen wirklich sehen? Oder in der Perspektive des Glaubens mit den bereits zitierten Worten des Minucius Felix: „Welches Bild soll ich für Gott ersinnen, da doch im Grunde genommen der Mensch selbst Gottes Ebenbild ist?“
Text: Ulrich Schäfert, Fachbereichsleiter der Kunstpastoral im Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising

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