Nachdem die Menschen im 18. Jahrhundert in der Regel des Lesens nicht mächtig waren, konfrontierte man sie in Kirchenräumen oft mit der drastischen Sprache des Bildes, um beispielsweise an Tod, Ewigkeit und Buße zu erinnern. So auch in der Filialkirche Mariä Himmelfahrt in Frauenreuth, wo das Gemälde der Gerichtsmühle die vier „letzten Dinge“ - Tod, Gericht, Himmel und Hölle - darstellt.
Eine Besonderheit der Frauenreuther Ausstattung ist die „Gerichtsmühle“ vom Künstler Michael Deli dem Jüngeren aus Miesbach (vermutlich um 1708). Das Gemälde zeigt Gläubige, die ihre Sünden in Säcken auf dem Rücken tragend zum göttlichen Müller bringen, über ihnen das Jüngste Gericht - eine Darstellung, die im Oberbayerischen Raum sehr selten vorkommt.
Unsere Umgangssprache kennt sie noch, diese uralten Themen, die uns auch heute noch etwas sagen: „Der hod aa sei Packerl zum trong“ oder „die Mühlen des Gerichts“ oder die Mühlen der Bürokratie“. Die „Sündenpackerl“ in Verbindung mit der Mühle sind aber auch Ausdrucksmittel der religiösen Kunst, die uns mit drastischen Mitteln etwas sagen wollte und will. Und da unsere Vorfahren in der Regel des Lesens nicht mächtig waren, brauchten sie diese drastische Sprache des Bildes, um zum Beispiel an Tod, Ewigkeit und Buße erinnert zu werden, etwa in den Bildern von Dürer und Bosch oder durch „fratzenhafte“ Gestalten, die von mittelalterlichen Domen und Kirchen herunterschauen. Auch in der Sprache war es so: Denken wir an die Predigten eines Abrahama Santa Clara. Alles „zum Fürchten“– und so sollte es auch sein. Dass sich diese Ausdrucksmotive auf dem flachen Land seltener und womöglich erst später zeigten, hängt auch damit zusammen, dass häufig die Mittel fehlten, um Künstler zu finanzieren. Wenn Geld da war, dann natürlich für Kreuze und Heiligenfiguren, die ja als „Mittler“ zu Gott das Wichtigere waren.
Seltenes MotivDie Künstler hatten natürlich ihren räumlichen Wirkungskreis und ihre „Spezialitäten“. Und so ist es zu erklären, dass das sehr seltene Motiv der „Gerichtsmühle“ in der Kunstgeschichte in unserem Raum gleich dreimal vorkommt: in Zorneding (Dekanat Trudering), in Frauenneuharting und in
Frauenreuth (beide Dekanat Ebersberg). Außer bei uns ist es im„alten Baiern“ ansonsten nur mehr in Rieden am Ammersee bekannt. Vielleicht war dieses Genre aber auch eines, das der Säkularisation häufiger zum Opfer fiel, weil es nicht gefragt war, weil es sich für die eine oder andere Hauskapelle oder Stube nicht eignete: Wer holt sich denn schon so etwas ins Haus, das einst geschaffen war, um andere das „Fürchten“ zu lehren? Angst gab es sowieso schon genug. Die vier „letzten Dinge“ – Tod, Gericht, Himmel oder Hölle – sind natürlich besonders geeignet, um das Thema „Gerichtsmühle“ zu veranschaulichen.
Das Mühlrad als Schicksalsrad
Laut Karl von Spieß basieren die Gerichtsmühlendarstellungen letztlich auf dem „Jedermann-Thema“. Das Mühlenrad wird gestalterisch als Lebens- oder Schicksalsrad gedeutet. Christus ist der Müller, der die von den Sündern herangetragenen Säcke auf den Mühlstein schüttet. Die Gottesmutter Maria und der Erzengel Michael sehen dabei zu. Aber auch der Satan ist mit von der Partie: Verschiedene Verse erläutern das Geschehen und weisen auf die Folgen eines sündhaften Lebens hin, wie zum Beispiel in Frauenreuth: „Die nit geglaubt an Gottes Wordt, die bekommen in der Höll ihr Ohrt.“ Im linken Bildteil ist das Bußsakrament und im rechten die Versinnbildlichung der Liebe zu Gott das Thema. Über alle drei Gemälde spannt sich bogenartig das Jüngste Gericht. Den Zornedinger Maler kennen wir nicht, während als Urheber der Frauenneuhartinger Darstellung Michael Deli der Jüngere aus Miesbach im Jahr 1708 gelten kann. Nachdem zumindest das Frauenreuther Mittelthema mit dem Frauenneuhartinger eine Ähnlichkeit hat, könnte auch dieser Künstler aus der Deli-Familie stammen. Die Ausstattung der Frauenreuther Kirche mit „MiesbacherStuck“ könnte dafür ebenfalls ein Indiz sein. Aber auch zeitlich – Frauenreuth wurde 1707 geweiht – könnte es passen. Die um diese Zeit in Glonn ansässigen Malerfamilien Möschl und Zäch kommen eher nicht infrage.
Vermutlich mehrere Stifter
Die Frauenreuther „Gerichtsmühle“ hat eine Größe von 198 auf 160 Zentimeter und ist in vier Sektoren unterteilt. Sie ist am ehemaligen, jetzt verschlossenen Nordausgang der Kirche angebracht. Bis zur letzten großen Innenrenovierung befand sie sich hinter dem Hochaltar. Die Kirchenbaukasse wird ein solches Bild nicht vorgesehen haben. Also dürfte es einen oder mehrere Stifter gegeben haben. Vielleicht waren es die Glonner Müller, die auf den sieben Glonner Mühlen saßen und sich über die Jahrhunderte „gut gemacht“ hatten. Oder: Vom Thema her würde auch die Glonner Allerseelenbruderschaft passen, die es schon 1440 gab und die nicht ganz arm war. Personen aus dem Frauenreuther Kirchensprengel, die sicher für den Bau ihrer Kirche viel zu leisten hatten, waren es eher nicht. Lediglich einen Namen finden wir auf dem Werk: „Hatt Rennefirren lassen im Jare 1839 Jochan Steinecker zur Erre Gottes“ – das ist der „Überloherbauer“ aus dem nahen Überloh. Er kann nicht arm gewesen sein: 13 Kinder und fünf Ehen gehen auf sein Konto. Schließlich musste es auf dem „Sach“ ja weitergehen.
Heute ist die Frauenreuther „Gerichtsmühle“ wieder sehr renovierungsbedürftig. Die echten „Sündensackl“ sind nicht kleiner und nicht weniger geworden. Der „göttliche Müller“ auf diesem Bild wäre also nicht arbeitslos. 183 Jahre nach dem „Überloher“ wäre es an der Zeit, seinen Großmut zu wiederholen– diesmal sogar mit Spendenquittung.
Text: Hans Obermair, erschienen in der Münchner Kirchenzeitung, April 2022
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