Einen Text lesen, das kann fast jeder. Auch etwas Geschriebenes laut vor Publikum vorzutragen, ist für viele Menschen kein Problem. Wer als Lektor oder Lektorin im Gottesdienst regelmäßig Stellen aus der Bibel vorliest, hat es mit einer besonderen Herausforderung zu tun. Seine oder ihre Aufgabe ist es, das Wort Gottes zu verkünden.
„Wir sind die Stimme Gottes, wenn wir lesen“, erklärt Robert Diller, Lektor in der Kirche St. Christophorus in Neukeferloh, die zum Pfarrverband Vaterstetten gehört. „Gott kann in verschiedenen Formen zu uns sprechen. Aber wenn er das in Textform, in Form der Heiligen Schrift, tun will, dann sind wir in diesem Moment seine Stimme.“ Der 60-jährige hat im Sommer vergangenen Jahres mit dem Dienst begonnen, nachdem in der Gemeinde wegen der Corona-Pandemie mehrere Lektorinnen und Lektoren ausgefallen waren. Seitdem ist Diller, der im Bankwesen arbeitet und in der Gemeinde schon als Kommunionhelfer bekannt ist, regelmäßig als Lektor bei Gottesdiensten im Einsatz.
So lesen, dass die Gemeinde den Text versteht Lektorinnen und Lektoren tragen während des Gottesdienstes aus der Heiligen Schrift die Lesungen vor. Auch das Vortragen der Fürbitten und möglicher Texteinschübe ins Kyrie kann zu ihren Aufgaben gehören. Selbst wenn, zum Beispiel bei Bischofskonferenzen oder anderen Versammlungen, fast ausschließlich Ordinierte, also Diakone, Priester oder Bischöfe, bei einer Messfeier anwesend sind, sollte immer ein Laie die Lesungen vorlesen. „Weil es ein Laiendienst ist“, sagt Monika Selle, Leiterin der Abteilung Liturgie im Erzbischöflichen Ordinariat München. „Und auch die Ordinierten sind Hörende“.
„Es geht nicht nur darum, dass man fehlerfrei einen Text vorlesen kann“, erklärt Selle. Es sei eine große Herausforderung, einen Text „so zu lesen, dass man ihn verstanden hat, und damit auch zu ermöglichen, dass die Gemeinde ihn versteht“. Beim Lesen müsse deutlich werden, dass der oder die Vortragende nicht die Autorin oder der Autor sei, sondern nur das Medium. Die Personen sollten sich bewusst sein, dass das Lesen „ein Dienst an der Gemeinde ist und nicht eine Auszeichnung der eigenen Fähigkeiten.“
Dieser Dienst steht in einer langen Tradition. „Vermutlich haben auch in der frühen Kirche Menschen, die am Gottesdienst teilnahmen, das Wort Gottes in irgendeiner Form verkündet“, weiß die promovierte Theologin Selle. Als diese und andere Tätigkeiten in der Gemeinde später in rechtliche Rahmen gefasst wurden, gehörte das „Lektorat“ zu den sogenannten niederen Weihen und war eine Station auf dem Weg zum Priesteramt. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) wurde es vom Weiheamt getrennt, konnte allerdings als dauerhafter Dienst weiterhin nur Männern übertragen werden. Dennoch können seitdem Männer wie Frauen im Gottesdienst die Lesungen mit Ausnahme des Evangeliums in der Messfeier vortragen – und tun das auch weltweit. Im Januar dieses Jahres öffnete Papst Franziskus mit dem
Erlass "Spiritus Domini" (Der Geist des Herrn) den auf Dauer beauftragten Dienst offiziell für Frauen.
Eine gute Vorbereitung ist wichtig
Eine, die seit zwei Jahren mit großer Begeisterung als Lektorin im Einsatz ist, ist Angelika Tenelsen aus Buchbach im Landkreis Mühldorf am Inn. Etwa zwei bis drei Mal pro Monat liest sie in der Pfarrei St. Jakobus der Ältere im Sonntagsgottesdienst. Zu Hochfesten können es auch mal mehr Termine sein. Jeweils am Vortag bereitet sich die 51-Jährige auf ihren Dienst vor. Auf der
Homepage der Erzabtei Beuron sucht sie sich aus dem Schott-Messbuch, in dem sich die Texte des Tages nach Datum sortiert finden, die jeweiligen Lesungen heraus. Sie liest die Bibelstellen, druckt sich Hintergrundinformationen und Auslegungen aus, macht sich Gedanken darüber, was ihr die Texte sagen wollen. „Manche Textstellen sind leichter zugänglich, andere muss man drei, vier Mal lesen, bis der Sinn zustande kommt, bis man versteht, was gemeint ist.“ Wenn sie sich die Deutungen zu den Stellen bewusst mache und dann den Text noch einmal lese, habe sie „ein Bild im Kopf und kann das tatsächlich besser rüberbringen“.