Juttas Leben verlief bislang geradlinig und, ja, vorhersehbar: Schule, Studium, erste Berufsjahre, Heirat und Kinder. Bis sie mit Mitte 40 immer öfter ins Grübeln gerät. Verwundert blickt sie auf die letzten 20 Jahre zurück, sagt sich: „Ich habe alles erreicht – und bin dennoch nicht zufrieden.“ Sie beginnt zu meditieren, lernt Achtsamkeit, beschäftigt sich mit dem Buddhismus – und bucht ein spirituelles Angebot der Abteilung Spiritualität des Erzbistums. „Geistige Begleitung“ nennt es sich – und ist eine Offenbarung für sie.
„Wir sind offen für Fragende, Suchende, Gläubige“, sagt Dr. Gabriela Grunden, Leiterin der Abteilung Spiritualität. Es sei ein „Dienst von Christen für Christen“, den sie anbieten, „aber auch eine Wegbegleitung für alle, die auf der Suche sind“. Konfessionsübergreifend. Viele Menschen, die zu ihr kommen, bringen eine gewisse Verletzlichkeit mit: die Studentin, die sich über ihre Berufung klar werden will; der Ingenieur, der nach dem Tod seiner Frau Halt im Leben braucht; der Manager im Ruhestand, der eine neue Aufgabe finden will. Die Themen sind so bunt und vielfältig wie das Leben und reichen von der Sinnsuche über Beziehungsprobleme, Mobbing, sexualisierte Gewalt, geistlicher Missbrauch, Jobverlust oder Krankheit.
„Für uns ist wichtig, dass die Menschen offen sind, barrierefrei denken und mit der Möglichkeit Gottes und seinem Wirken rechnen. Spiritualität bedeutet für uns auch, sich weiterzuentwickeln und offen zu sein, ähnlich wie in der Eucharistie, in der es um Wandlung geht.“ Der Zulauf und das Interesse seien groß, selbst in Pandemie-Zeiten: „Viele Menschen scheinen sich gerade auf die Suche nach eigenen Kraftquellen, nach Halt und Orientierung zu begeben.“
Den Menschen als Geist- und Gott-begabtes Wesen sehen
Einmal pro Monat trifft sich Gabriela Grunden mit Jutta zum Begleitgespräch – in Pandemiezeiten nur per Online-Chat. Die zweifache Mutter bringt beste Voraussetzungen mit: Offenheit, Neugierde – und die Bereitschaft, Gott und die Wirksamkeit des Geistes in ihrem Alltag zuzulassen. „Wir versuchen, den Menschen als Ganzes, das heißt als Geist- und Gott-begabtes Wesen zu sehen. Wir fragen ihn: Wo kommt dir Gott in deinem Leben entgegen, wo sind seine Spuren“, so Gabriela Grunden. „Von unserem christlichen Verständnis her sind wir Träger des Heiligen Geistes oder Boten Gottes. In unseren Angeboten geht es auch darum, diese Grundsätze wiederzuentdecken und zu lernen, auf die christlichen Ressourcen zurückzugreifen. Dazu gehört beispielsweise die Heilige Schrift, die von Menschen handelt, die lange vor uns gelebt haben, von Lüge, Verrat und Krankheit, aber auch von Liebe, Versöhnung und Glück.“
Neben Gesprächen über Gott, den Glauben oder das Leben, die sie miteinander führen, lernt Jutta bei ihr auch, sich mit spirituellen Übungen zu erden – durch unterschiedliche Formen von Gebeten, Atemtechniken, aber auch kleinen Übungen, mit denen sie sich bewusst mit Gott verbinden kann. Durch die Begleitung ist Jutta wieder bewusster geworden, dass der Alltag nicht nur grau oder schwarz ist. Dass sie mit ihrem Mann darüber sprechen sollte, was sie dem zermürbenden Ehealltag entgegensetzen können. Dass sie sich einen anderen Job suchen sollte, der neue Herausforderungen bereithält. Und dass sie weiterhin mit Gott in Verbindung steht. Jutta habe gespürt, so Gabriela Grunden, dass noch etwas über sie hinaus bestehe, das mit ihrem Inneren korrespondiere. Gott ist nah: Diese Erkenntnis, die in vielen Stunden spirituellen Coachings reifen musste, werde ihr helfen: im Alltag, im Leben und in der Liebe.
Bergexerzitien sind besonders beliebt
Gabriela Grunden leitet die Abteilung Spiritualität seit Sommer 2017. Diese besteht aus den Fachbereichen
- Exerzitien/Geistliche Begleitung,
- Pilgern/Wallfahrten sowie
- Glaubensorientierung,
mit vielen Berührungspunkten und Schnittstellen untereinander. Neben den Hauptamtlichen arbeiten für die Abteilung rund 80 freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, „alle gut ausgebildet und unglaublich kreativ“, so Gabriela Grunden. Es bestehen viele Kooperationen, darunter mit der evangelischen Landeskirche, mit der ökumenische Exerzitien für Pfarreien und Gruppen herausgegeben werden, der Katholischen Landvolkbewegung KLB, der Katholischen Erwachsenenbildung KEB sowie den anderen bayerischen Bistümern.
Was die Abteilung anbietet, ist äußerst vielfältig: Neben der
geistlichen Begleitung oder
spirituellen Beratung (in Einzelgesprächen oder in Gruppen) zählen auch
Exerzitien dazu. „Dieser Begriff schreckt viele anfangs ab oder erinnert sie an die Militärzeit.“ Gabriela Grunden schmunzelt. „Im Grunde sind es Übungen, wie beim Sport oder in der Musik.“ Es gibt sie in unterschiedlichen Formaten: kontemplative, ökumenische oder auch Schweige-Exerzitien. „Die Teilnehmer tauchen mehrere Tage oder sogar Wochen ins Schweigen ab. Jeden Tag gibt es ein Einzelgespräch mit Übungsanregungen. Die Teilnehmer haben viel Zeit für Meditationen, Gottesdienstbesuche oder Spaziergänge.“
Beliebt sind auch die Bergexerzitien, die von erfahrenen Bergführen angeleitet werden. „Ein schönes Format. Es spricht die Menschen an, die ihre Balance erst in der Natur oder in der Herausforderung finden. Dieser Bereich boomt: Es gibt Tages-, Wochen- und Schnee-Touren mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, es geht in die Alpen oder in die Dolomiten, von Mai bis Oktober.“
Natürlich hat das Corona-Virus auch in der Abteilung Spiritualität Spuren hinterlassen. „Seit Herbst 2020 bieten wir vieles digital an, via Skype oder am Telefon. Die einen halten sich zurück und wollen warten, bis es wieder möglich ist. Die anderen sagen: ‚Besser als nichts‘, und nehmen die digitalen Angebote gern an.“
Aus spirituellen Menschen sollen Multiplikatoren werden
Die Abteilung bietet auch Aus- und Weiterbildungen an, zur Geistlichen Begleitung beispielsweise, zum Pilgern oder spirituellen Wegbegleitung. „Wir wollen mit solchen Qualifizierungsmaßnahmen Menschen zu Multiplikatoren entwickeln. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Berufen. Jeder soll bei uns seine Stärken einbringen können.“ Beim Pilgern, einer alten christlichen Tradition, ist die Gruppe gemeinsam unterwegs, zu einer Kraftquelle, einer Kirche oder einem heiligen Ort, um sich gemeinsam auf Gottes Geist auszurichten und mit sich selbst wieder in Verbindung zu kommen.
Gabriela Grunden freut sich, wenn „Menschen das Menschliche mit allen Ecken und Kanten in ihrem Leben mehr zulassen“, die Kraft Gottes und des Heiligen Geistes in sich spüren und sich an die Abteilung Spiritualität wenden. „Ich selbst bin viele Wege gegangen und stelle viele Fragen. Deshalb habe ich Theologie studiert und promoviert. Ich habe immer nach einer Spiritualität gesucht, in der sich meine Zweifel, mein Vertrauen und meine Hoffnung ergänzen und nicht ausschließen. Ich habe auch Lebenskrisen erlebt, Krankheit und Verlust. Aber das hat mich noch mehr geerdet und freier werden lassen, meinen Weg zu gehen.“
Für sie gehört es zum Glauben dazu, mit Gott zu hadern, zu fragen, was er sich bei all dem um uns herum denkt. Im Lauf der Zeit erkannte sie für sich, dass die Zweifel und das In-Frage-Stellen dem Glauben nicht widersprechen müssen. „Reflektieren, Glauben und Üben schließen sich nicht aus, sondern gehören zusammen, in allen Lebenslagen.“ Glauben bedeutet für sie auch zu erkennen, dass es auf manches keine Antwort gibt. Dennoch: „Mit Herz und Hirn zu glauben, das ist mir wichtig.“
„Gott gibt es wirklich“
Dr. Gabriela Grunden geht gern in die Ambacher Marienkapelle zum Beten.
Auch deshalb schafft sie es, die Menschen zu ermutigen und nicht aufzugeben – sich selbst und andere nicht. Auch Gott nicht! „Weil ich selbst in schwierigen Lebensphasen immer wieder Unterstützung erhalten habe, gebe ich das gern weiter. Bei der geistlichen Begleitung geht es nicht um Bühnen, sondern, wenn man so will, um den ‚Backstage-Bereich‘ der Menschen. Der braucht Schutz und Vertraulichkeit. Diskretion. Miterleben dürfen, wie Menschen ihre Widerstandskraft neu aufbauen und in ihrem Glauben Halt und Orientierung finden, gibt mir viel.“ Sie staune oft, wie Gott wirkt: „Wir sehen häufig nicht, wie lebendig Gott ist, wie Menschen durch ihn neue Lebensenergien erhalten, wo zuvor einiges verschüttet war. Das ist eine große Gottesbotschaft, die ich immer wieder erlebe. Da staune ich dann: Diesen Gott gibt es wirklich. Er ist lebendig. Er kommt uns auf Wegen entgegen, wo wir ihn gar nicht vermutet haben.“ Ihre Abteilung hilft den Menschen, sich dafür zu öffnen und ihr Leben mit neuer Spiritualität zu füllen.
Text: Christian Horwedel, Freier Redakteur, April 2021
Spiritualität
Schrammerstraße 3
80333 München
Abteilungsleiterin:
Dr. Gabriela Grunden