Das Diözesanmuseum Freising zeigt vom 5. März bis 2. Juli 2023 die Sonderausstellung "Verdammte Lust!". Einzigartige Kunstwerke von der Antike bis in das frühe 19. Jahrhundert, von Leonardo da Vinci über Tintoretto und Cranach bis hin zu Artemisia Gentileschi und Guido Reni zeigen das schwierige Verhältnis von Sexualität und Kirche. Museumsdirektor Dr. Christoph Kürzeder erläutert im Interview das Austellungskonzept.
Christoph Kürzeder beim Rundgang durch die Ausstellung "Verdammte Lust!"
Pressemitteilung "Diözesanmuseum Freising widmet sich 'Verdammter Lust!'"Ausstellung setzt sich mit „Kirche. Körper. Kunst“ auseinander und zeigt einzigartige Kunstwerke von der Antike bis ins frühe 19. Jahrhundert / Umfangreiches Begleitprogramm
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Ausstellung „Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst.“bietet auch ein Begleitprogramm an - eine Übersicht finden Sie
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Herr Dr. Kürzeder, „Verdammte Lust! Kirche. Körper. Kunst“ heißt die neue Ausstellung im Diözesanmuseum Freising. Was bekommen die Besucher:innen denn da zu sehen?
Wir haben rund 150 Objekte aus über 2.000 Jahren, die aus verschiedenen Perspektiven erzählen, wie der Mensch in seiner Körperlichkeit und damit auch als sexuelles Wesen von der Religion, insbesondere vom Christentum gesehen wird. Jede Leihgabe steht in diesem Kontext. Natürlich sind da kunsthistorische Highlights darunter: Bilder von Lukas Cranach, Albrecht Dürer, viele italienische Meister, unter anderem eine Leonardo da Vinci zugeschrieben Zeichnung oder ein völlig nackter Christuskörper von Michelangelo. Künstler, die mit Nacktheit und Sexualität sehr unbefangen und für die Theologie auch provozierend umgegangen sind.
Kunstwerke, die zum allergrößten Teil von Männern stammen…
Und von Männern in Auftrag gegeben wurden. Auch das zeigen wir in der Ausstellung, wie sehr männliche Perspektiven in der Theologie und in der Kunst dominieren. Das führt fast zwangsläufig zu einer Ungleichheit der Geschlechter, einem einseitigen Blick auf die Frau, der Deutungshoheit beansprucht. Wir haben wenigstens ein Gegenbild dazu: Die Barockmalerin Artemisia Gentileschi hat die berühmte biblische Geschichte von Susanna im Bade gemalt. Da wird sehr deutlich, wie ihr eigener Körper männlicher Gewalt ausgesetzt war, wie beklemmend sie erlebt, ein reines Lustobjekt zu sein, das sich nicht wehren kann. Die Malerin war selbst Opfer sexueller Gewalt.
Welches Ziel hat die Ausstellung, was sollen die Besucher:innen mitnehmen?
Wir wollen eine Plattform, ein Diskussionsraum sein. Diese Bilder zeigen, wie stark die Vorstellungen vom menschlichen Körper und seinem Begehren von religiösen Vorstellungen mitgeprägt sind, wie katholische Dogmen den Blick darauf beeinflussen, von der Antike bis zum 18. Jahrhundert. Da wird verhandelt, was sexuell erlaubt ist und was nicht, das ist in ganze Bildprogramme eingeflossen. Manche sind sehr lehrhaft und zeigen religiöse Vorstellungen von Reinheit, und damit kommt die Frage auf, ist Unreinheit schuldhaft und Sünde? Das war für die Gläubigen eine lebensbestimmende Herausforderung und kulturprägend.
Die Bilder transportieren dabei oft eine mehrschichtige Botschaft, darauf wollen wir den Besuchern einen neuen und anderen Blick eröffnen. Wenn Sie Darstellungen einer nackten Maria Magdalena sehen, dann steht diese Heilige für Buße, aber gleichzeitig für eine Frau, die Sexualität gelebt hat. Vielleicht unfreiwillig als Prostituierte, doch diese Sexualität ist ein Teil von ihr, der sie geprägt hat. Nicht umsonst hat jemand wie der Salzburger Fürstbischof Wolfdietrich von Raitenau seine Geliebte Salome Alt, mit der er 15 Kinder hatte, als Maria Magdalena malen lassen.
In den Darstellungen der stark verehrten Heiligen wird in manchen Darstellungen sexuelles Begehren einerseits angestachelt, andererseits schwingt immer mit, dass es theologische Ordnungen stört oder verstört. Trotzdem wollen auch Kleriker diese zugleich büßende und verführerische Frau sehen. Die Künstler, aber auch ihre meistens kirchlichen Auftraggeber, zeigen den Widerspruch, moralische Regeln einzufordern und sie gleichzeitig nicht einhalten zu können.
"Susanna e i vecchioni" von Artemisia Gentileschi aus dem Jahr 1610
Warum fällt es gerade der katholischen Kirche und dem Christentum so schwer, mit der „verdammten Lust“ zurecht zu kommen, warum ist das ein dauerndes Konfliktfeld?
Im Christentum ist sicher ein Grundproblem, dass ein Fluch über der Sexualität gesehen und die Vertreibung aus dem Paradies damit zusammengedacht wird. Besonders der Kirchenvater Augustinus hat sexuelle Lust immer als eine Entfernung von Gott gedeutet. Dieses Denken haben bereits die frühen Christen entwickelt, auch als Reaktion auf eine freizügige, lustbetonte Gesellschaft in der Antike, in der allerdings Sklaven, Arme und Frauen kaum eine sexuelle Selbstbestimmung zugebilligt bekamen. Darum konnten etwa Klöster und auch eine strenge Sexualmoral Schutzräume sein.
Allerdings verlangt das Christentum dem Menschen sehr viel in der Beherrschung seiner ureigensten Triebe ab, verengt Sexualität nur auf Fortpflanzung mit genau gefassten Regeln. Das ist fast immer eine Überforderung, die sich an den Realitäten des Lebens stößt. Das muss nicht heißen, dass ein zölibatäres Leben grundsätzlich zum Scheitern verurteilt und abzulehnen ist. Zum anderen ist mit dem Einhegen der Begierde jedoch eine große Macht verbunden: Theologie und Kirche wollen über Sexualität, den Körper und die Identität eines Menschen bestimmen und ihn zähmen.
Im Prinzip gilt die kirchliche Lehre bis heute, wie sie das sexuelle Wesen des Menschen definiert: Sie ist zur Reproduktion da und am besten nicht mit Begierde verbunden. Das ist immer auch auf Widerstand gestoßen, und es hat zu allen Zeiten Ventile dafür gegeben, etwa in vielfältigen Formen der Prostitution oder in sich geschlossenen Gruppen, und vielfach zu einer Doppelmoral geführt.
Vor 25 Jahren hätte diese Ausstellung so wahrscheinlich nicht stattfinden können, zumindest nicht ohne schwere innerkirchliche Bedenken – warum geht das heute?
Der Impuls für diese Ausstellung kam nicht vom Museum selbst, sondern von außen: Kardinal Reinhard Marx und der frühere Generalvikar der Münchner Erzdiözese, Peter Beer, haben uns intensiv angeregt, den gegenwärtigen und oft auch bedrängenden „Körperdiskurs“ in einer Ausstellung zu führen. Es geht darum, auf Grundlage der Kunst besser zu verstehen, warum Menschen unter der sie oft überfordernden Sexuallehre gelitten haben und auch heute noch leiden. Das hat kirchliche Systeme sexualisierter Gewalt und von Missbrauch zumindest begünstigt. Das ist aber nicht das Hauptthema der Ausstellung, auch wenn es vorkommt.
"Maddalena portata in cielo dagli angeli" von Francesco Cairo aus dem Jahr 1650
Wie sortieren Sie dieses ungeheuer weite Feld von Sexualität und Religion in der Ausstellung?
Wir erzählen das anhand von acht Kapiteln. Beginnend mit Adam und Eva stellen wir dar, wie Sexualität, Scham, Sünde und Sterblichkeit in der christlichen Theologie und in ihren Bildern schon früh zusammengebracht werden. Wir vergleichen das dann mit der sinnenfreudigen antiken Kultur, in der Lust und Sexualität einen religiösen Stellenwert hatten. Die antiken Götter waren geschlechtlich hochaktiv. Das stellte die Christen vor Herausforderungen: Wenn Lust mit Sünde verbunden ist, müssen Gott, Christus und Maria asexuell sein. Sie begegneten ihrer religiösen Umwelt mit einem Konzept des reinen, unbefleckten Körpers. Dieses Konzept will der Zölibat widerspiegeln und tabuisiert den begehrenden Körper.
Das sechste Kapitel setzt sich damit auseinander, was dem Körper im Verständnis der christlichen Theologie erlaubt ist, der im Ehesakrament eingehegt ist. Trotzdem gibt es auch unter Christen sexuelle Gewalt, Geschlechterungerechtigkeit, damit beschäftigt sich das siebte Kapitel, bevor wir mit dem Motto „Es bleibt schwierig“ schließen. Am Ende steht das Leonardo da Vinci zugeschriebene Blatt, das einen Engel in eindeutiger Pose zeigt.
"Sündenfall" von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1537
Was heißt das?
Der Engel deutet mit einer Hand zum Himmel und in seiner Körpermitte ist zu sehen, dass er sexuell erregt ist. Da ist die Spannung zwischen himmlischer und irdischer Seligkeit sehr deutlich. Das kann provozieren, inspirieren, vielleicht sogar verletzten. Aber Aufgabe der Kunst ist es ja, Gefühle, Reaktionen hervorzurufen. Und eine solche Ausstellung berührt natürlich die sexuelle und religiöse Biografie jedes Besuchers und jeder Besucherin und wird damit zwangsläufig persönlich.
Sie wollten die Ausstellung schon vor drei Jahren zeigen. Die Corona-Pandemie hat alle Planungen zunichte gemacht. Das Schlusskapitel sollte damals „Der befreite Körper“ heißen. Warum haben Sie das geändert?
Wir haben als Museumsteam die Zeit genutzt, um diese Ausstellung noch einmal heftig und sehr gegensätzlich zu diskutieren. Wir haben dabei gemerkt, dass trotz der Gender-Diskussion, der Debatte um die persönliche, freie Wahl des Geschlechts, jeder Mensch soziale, biologische und biografische Prägungen hat. Deshalb bleibt er in seiner sexuellen Identität immer Zwängen ausgesetzt.
Hinzu kommt ein hohes Maß an überall zu findender Pornografie, die natürlich ebenso auf das eigene Körperbild einwirkt und ganz starke Zwänge auslöst, wie Sexualität auszusehen hat. Das sind Themen, an denen unsere Gesellschaft arbeitet. Also bleibt es eher schwierig statt befreit. Ich glaube, dass Religion in dieser Debatte eine Rolle spielen kann und auch muss. Die Ausstellung im Diözesanmuseum will dazu ein Beitrag sein.
Text: Alois Bierl, Chefreporter beim Michaelsbund, März 2023
Diözesanmuseum
Residenzstr. 1
80333 München
Stabsstellenleiter:
Dr. Christoph Kürzeder, Museumsdirektor