„Hinter jeder Todsünde steckt eine im Grunde positive Kraft"
Frau Deininger, wie ist die Idee mit der Ausstellung entstanden? Was war Ihre Inspiration?
Susanne Deininger: Tatsächlich ist die Idee schon sehr alt. Einfach deshalb, weil ich gemerkt habe, wie präsent diese sieben Todsünden in der Popkultur sind. Von Hollywoodfilmen wie "Sieben" bis hin zur Werbung für die “Seven Sins“-Eissorten in den Neunzigern. Es wird unglaublich viel mit diesen sieben Todsünden gearbeitet. Wenn man sie bei YouTube eingibt, erscheint eine wahre Flut von Filmchen, fast jeder bekannte YouTuber hat dazu irgendwann mal etwas gemacht.
Ich fand es deswegen spannend, weil das Konzept theologisch so ein uralt mittelalterliches ist und aus einer völlig anderen Denkart kommt. Vor allem dieses Schwarz-Weiß-Denken. Diese Todsünden, die alle ganz böse sind und gegen die dann christliche Tugenden gesetzt werden. Mich es einfach gereizt, das Ganze theologisch moderner für die heutige Zeit zu interpretieren.
Für alle, die jetzt nicht so bibelfest sind: Was sind die sieben Todsünden?
Susanne Deininger: Nun zuerst muss man sagen, dass die mit der Bibel gar nichts zu tun haben. Es gibt natürlich inhaltliche Berührungspunkte in der Bibel, aber dieses Konzept stammt tatsächlich erst aus der frühen Kirche. Neid, Völlerei, Gier, Wollust, Hochmut, Faulheit und Zorn, das sind die sieben Todsünden. Natürlich gibt es zwischen ihnen untereinander Verwandtschaften, zwischen Völlerei und Gier gibt es beispielsweise Berührungspunkte. Das ist eine geschichtlich entstandene Trennung von bestimmten Kräften, die in der Welt eine Rolle spielen und die jeden Menschen irgendwie betreffen. Die Kirche hat sie als Wurzelsünden interpretiert, die dann andere Sünden zum Blühen bringen. Aber ich bevorzuge einen neutraleren Begriff, weil ich in jedem dieser Worte auch eine positive Seite sehe.
Im Flyer zur Ausstellung betonen Sie die Idee, die Todsünden als "Urkräfte der Menschheit" zu betrachten. Wie unterscheidet sich diese Sichtweise von der traditionellen Auffassung der Todsünden?
Susanne Deininger: Im Prinzip ist es so: Die Kirche hatte damals eine ganz klare Schwarz-Weiß-Malerei. Es gab Heil bis hin zur ewigen Seligkeit. Da waren aber auch andere Themen wie die Seele des Menschen assoziiert, während die Sünde die negative Seite darstellte. Dazu kam eine Schwarzmalerei des Körperlichen.
Mir ist aber beim näheren Hinschauen aufgefallen, dass es eigentlich heilvolle Kräfte gibt, die dahinter stehen. Ich nehme mal den Hochmut als Beispiel: Ein gesundes Selbstbewusstsein zu haben, ist unfassbar wichtig. Aber ein gesundes Selbstbewusstsein bedeutet, dass ich meine Grenzen kenne, dass auch eine gewisse Demut dazu gehört. Zu sehen, dass andere Leute auch Bedeutung haben. Und nur, wenn das aus dem Gleichgewicht gerät, wenn ich den Anderen aus dem Blick verliere und eben jede Form von Bescheidenheit beziehungsweise Demut oder das Gefühl für meine Grenzen missachte, dann wird aus dem gesunden Selbstbewusstsein unheilvoller Hochmut. Erst dann setze ich mich über andere.
Das gleiche Prinzip gilt für alle Todsünden. Auch bei der Völlerei beispielsweise: Es ist gut, dass wir die Fähigkeit haben, Essen sinnlich zu genießen. Das ist doch etwas Wunderbares. Nur wenn ich damit andere Dinge zudecke und irgendwie mein Maß verliere, dann wird natürlich etwas Unheilvolles daraus.
Besucherin in der Ausstellung
Diesen Punkt sprechen Sie ebenfalls im Flyer zur Ausstellung an. Da heißt es: „Hinter jeder Todsünde steckt eine im Grunde positive Kraft, die erst durch Übertreibung, durch fehlendes Gleichgewicht schädlich und zerstörerisch wird.“
Susanne Deininger: Tatsächlich lädt die Ausstellung ein, die Grautöne zwischen diesem positiven und dem negativen Pol kennen zu lernen. Das ist eben nicht Schwarz und Weiß. Zwischen beiden Polen gibt es einen fließenden Übergang. Was für mich noch heilvoll ist, kann für den Anderen schon unheilvoll sein. Das ist etwas ganz Individuelles.
Darum passt die Ausstellung auch gut in die Fastenzeit, weil sie dazu einlädt, den Regler in der Betrachtung zu verschieben. Man sieht sich diese Installationen an, liest sich die Texte durch und kann sich überlegen: Wie geht es mir mit dieser Kraft? Ist es noch gesundes Selbstbewusstsein? Oder schon aus dem Ruder gelaufene Hochmut? Die Ausstellung ist eine Einladung, das einmal selbst zu reflektieren.
Apropos Installationen: Was für Installationen sind das, in denen wir diesen "Urkräften der Menschheit" begegnen?
Susanne Deininger: Es sind tatsächlich keine Kunstwerke, die ausgestellt werden, sondern wirklich Installationen. Bei der Station zur Faulheit steht zum Beispiel ein Sofa, auf dem sich Impulszettel befinden. Die Völlerei ist dagegen eine LKW-Plane, auf die ganz viele nicht lebensnotwendige Verpackungen von Nahrungsmitteln geklebt sind. Da ist immer so ein bisschen Gesellschaftskritik dabei, beispielsweise bezüglich unseres Umgangs mit Ressourcen.
Die Gier dagegen ist eine Figur, die am Boden sitzt und dabei Geld krallt. Bei Hochmut finden sich Plakate mit QR-Codes, die auf verschiedene Aspekte in Videos verweisen. Zu jeder Urkraft ist mir also etwas Anderes eingefallen.
Wie schwierig war es, diese ja doch traditionellen Konzepte für das heutige Publikum modern zu interpretieren?
Susanne Deininger: Die Idee, wie ich das Thema modern interpretiere, war natürlich schon vor der Idee mit der Ausstellung vorhanden. Zunächst bin ich einfach Theologin, bin in der theologischen Erwachsenenbildung tätig. Da kam mir die Idee, dass in den eigentlichen Todsünden doch auch immer etwas Positives drinsteckt. Ich habe mich gefragt: Wie kann man an das Thema herangehen, so dass es für die heutige Zeit fruchtbar wird?
Ich leiste viel derlei Übersetzungsarbeit in meiner theologischen Bildung, in der ich wirklich versuche, diese alten theologischen Reflexionen für die Menschen von heute neu zu übersetzen. Das ist für mich so eine Art selbstverständliches Denken.
Mit welcher Haltung sollte als Besucher zur Ausstellung gehen, um möglichst viel mitzunehmen?
Susanne Deininger: Grundsätzlich sollte man mit einer offenen Haltung hingehen und sich fragen: Was können Todsünden heute für uns noch bedeuten? Heutzutage wird das Thema zwar wie gesagt noch in der Popkultur für Werbung genutzt, aber eben nicht mehr zur persönlichen Reflexion. Man sollte also schon das grundsätzliche Interesse daran haben und dann von Ausstellungsobjekt zu Ausstellungsobjekt gehen. Man sieht die Installationen und bekommt dazu immer eine Erklärung, in der die negative und die positive Seite noch mal extra dargestellt wird.
Installation zur Todsünde Gier
Also geht es Ihnen mit der Ausstellung vor allem darum, Reflexionsprozesse bei den Besuchern über die eigenen Urkräfte anzuregen?
Susanne Deininger: Ja, das ist tatsächlich der erste Anlass. Aber es ist natürlich auch eine Ausstellung, die durchaus in unsere gesellschaftliche Situation passt. Also in die großen Diskussionen über Gerechtigkeit in der Welt. Damit meine ich beispielsweise unser Wirtschaftssystem, das nach dem Gierprinzip funktioniert, oder auch der Nachhaltigkeitsgedanke bei der Völlerei. Das spielt alles eine Rolle.
Es ist also eine Ausstellung, die auch gesellschaftliche Blickwinkel aufgreift und darauf ausgerichtet ist, dass ich über mich selbst nachdenke oder mit den Leuten, mit denen ich dort bin, ins Gespräch komme. Darüber, wie gut und richtig wir uns in dieser Welt verhalten. Das ist mein Ziel mit dieser Ausstellung.
An was für ein Publikum richtet sich die Ausstellung?
Susanne Deininger: Die Zielgruppe ist jeder halbwegs an der Selbstreflexion oder am christlichen Gedankengut interessierte Gläubige ab 13 Jahren. Es ist eine Ausstellung, die mit Firmengruppen besucht werden kann und auch für Schulklassen besuchbar wäre. Jeder nimmt etwas von der Ausstellung mit, sie ist für alle zugänglich. Auch jemand, der kein Christ ist, würde durch die Ausstellung zum Nachdenken gebracht werden.
Inwiefern eignet sich der Ort der Ausstellung mit der ehemaligen Karmeliterkirche besonders gut?
Susanne Deininger: Es ist ein sehr zentraler Ort in München. Man kann schnell mal hineinschauen, wenn man in der Stadt einkaufen ist. Ein guter Ort für Leute, die nicht extra für eine Ausstellung irgendwo hinfahren wollen. Der Raum ist wunderbar geeignet, weil er eigentlich ein leerer Raum ist, den man ganz frei gestalten kann. Ich bin froh, dass die Ausstellung jetzt auch nach München kommt.
Sandra Krump, Leiterin des Ressorts Bildung, Susanne Deininger und Elisabeth Dieckmann, Fachreferentin für theologische Bildung
Was für Veranstaltungen sind parallel zur Ausstellung geplant?
Susanne Deininger: Das
Rahmenprogramm besteht aus vier Personen, die aus ihrem persönlichen Blickwinkel auf das Thema Todsünden schauen. Da ist der Blickwinkel aus der Orthodoxie mit dabei, mit Georgios Vlantis (Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Bayern, Anm. d. Red.). Es ist ein spezifisch weiblicher Blick dabei, mit Dr. Hildegard Gosebrink (Leiterin der Arbeitsstelle Frauenseelsorge der Freisinger Bischofskonferenz, Anm. d. Red.). Natürlich gibt es auch eine biblische Sicht mit Dr. Christine Abart (Referentin für Bibeltheologische Bildung im Haus St. Rupert Traunstein, Anm. d. Red.). Und Sybille Loew (katholische Leiterin der Münchner Insel, Anm. d. Red.) betrachtet Todsünden aus der Perspektive einer kirchlichen Krisenberatungsstelle. Die Referentinnen und Referenten liefern also zusätzlich ergänzende Sichtweisen auf das Thema der Ausstellung.
Es ist nicht das erste Mal, dass diese Ausstellung stattfindet. 2018 gab es sie schon drei Mal im Raum Dachau, 2022 dann auch in Rosenheim. Was hat sich im Vergleich zu den vorherigen Ausstellungen verändert?
Susanne Deininger: Zwischen Dachau und Rosenheim hat sich eine Kleinigkeit verändert: Ich habe bei der Station zum Hochmut neue Beispiele gefunden und die Station etwas umgestaltet. Teil der Ausstellung ist auch ein Lernraum, in dem man vertieft Tagesimpulse machen kann. Da überprüfe ich regelmäßig, ob die Links zu den YouTube-Clips noch passen. Aber es hat sich nichts Wesentliches geändert. Grundsätzlich funktioniert dieses Denken schon immer noch und die Ausstellung bleibt aktuell.
Haben Sie schon weitere Stationen im Kopf, wo es nach München in Zukunft mit der Ausstellung einmal hingehen könnte?
Susanne Deininger: Noch nicht konkret. Die Ausstellung ist aber ausleihbar. Sie liegt normalerweise bei mir auf dem Speicher. Wenn Interesse besteht, kann man sie überallhin ausleihen. Ich kann natürlich nicht immer persönlich vor Ort sein und die Aufsicht führen, wie ich es jetzt in München mache. Aber ansonsten darf die Ausstellung ruhig noch weiter auf die Reise gehen.
Text: Wanja Oskar Ebelsheiser, Volontär beim Sankt Michaelsbund, Februar 2024
Institutionen Erwachsenenbildung
Kooperationen und Arbeitsgemeinschaft
Kath. Erwachsenenbildung
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Abteilungsleiter:
Clemens Knoll, Dipl. Theol.