Christian Baumgartner an der Orgel: Der Kirchenmusiker wird in der Stadtpfarrkirche St. Jakob in Dachau Werke des zeitgenössischen österreichischen Komponisten Günther Firlinger präsentieren.
Hand aufs Herz: Was ist Ihr erster Gedanke beim Stichwort „neue Kirchenmusik“? Denken Sie an die Schüler-Rockband mit E-Gitarre und Schlagzeug beim Jahresabschlussgottesdienst? An die modernen Klänge, die bei der Synodalversammlung des Synodalen Wegs zu hören waren? An eher schwer verdauliche Experimentalmusik einer künstlerischen Avantgarde? Bei den „Tagen Neuer Kirchenmusik“ können Zuhörerinnen und Zuhörer selbst erleben, was es mit dieser Art von Musik auf sich hat.
Der Verantwortliche für die Konzertreihe, Diözesanmusikdirektor Professor Stephan Zippe, erklärt, dass der Begriff „neue Kirchenmusik“ nicht geschützt und auch nicht klar definiert sei. Ebenso wenig bedeute er eine Eingrenzung auf bestimmte klassische Besetzungen. Aber, und hier zieht Zippe doch eine klare Grenze, müsse es eine Musik mit gottesdienstlichem Bezug sein, „die die Herzen der Menschen Gott näherbringt“. Um Teil der „neuen Kirchenmusik“ zu sein, wie sie in den kommenden zwei Wochen im Erzbistum zur Aufführung gebracht wird, müsse ein Stück „liturgische Qualitäten“ haben, den gottesdienstlichen Charakter wahren – und nicht an ein Rockkonzert erinnern.
Vielfalt statt einheitlicher Stil
Diözesanmusikdirektor Stephan Zippe
Somit bieten die „Tage Neuer Kirchenmusik“ nun reichlich Gelegenheit, sich davon überraschen zu lassen, was geistliche Musik des 20. und 21. Jahrhunderts alles bedeuten kann – in verschiedenartigen Gottesdiensten und Kirchenkonzerten, mit Chor, Kinder- und Jugendchor, Schola, Orgel und unterschiedlichsten Instrumentalensembles.
Kennzeichen der neueren Kirchenmusik seit Beginn des 20. Jahrhunderts gegenüber älteren Formen sei eine außergewöhnliche Vielfalt in formaler, harmonischer und stilistischer Hinsicht, schwärmt Zippe. „Im Gegensatz zu den Stilepochen Barock, Klassik und Romantik haben wir heute keinen einheitlichen ‚zeitgenössischen Stil‘. Diese große Bandbreite ist sehr spannend.“ Dass diese Vielfalt von vielen verstanden und wertgeschätzt wird, ist allerdings nicht selbstverständlich. Der Diözesandirektor kritisiert, dass die Hörgewohnheiten der Menschen heute durch die mehrheitlich in den Medien ausgestrahlte Musik in eine ganz bestimmte Richtung gelenkt würden. „Wir hören eigentlich nur noch Dur und Moll, andere Tongeschlechter wie die Kirchentonarten empfinden wir schon eher als fremd, wenn nicht sogar bereits als unpassend. Damit sind uns neue Modi, wie sie zum Beispiel Olivier Messiaen entwickelt hat, vielleicht nicht auf Anhieb zugänglich.“
Nicht für jeden auf Anhieb verständlich
Zippe weiß also gut, dass moderne Musik, gerade wenn sie ernst gemeint ist und nicht nur auf Unterhaltung aus ist, mit Vorbehalten zu kämpfen hat. „In der Tat ist es so“, räumt er ein, „dass manche Komponisten in ihrer Tonsprache bewusst auf Verfremdung setzen oder dass zu deren Verständnis sehr umfangreiche Vorkenntnisse erforderlich sind.“ Mit anderen Worten: Neue Kirchenmusik ist nicht immer lieblich und gefällig, nicht für jede und jeden auf Anhieb verständlich – doch ebenso wenig trifft der Vorwurf zu, moderne Musik sei generell nicht schön anzuhören. Für die Aufführung vor einem Publikum, das noch wenig Erfahrungen mit zeitgenössischen Komponisten und Komponistinnen hat, empfiehlt der Kirchenmusiker Erklärungen oder Einführungen in die einzelnen Werke in schriftlicher oder mündlicher Form. Und er wirbt entschieden für ein Miteinander von alten und neuen Stilen, kann sich zeitgenössische Stücke in einer Barockkirche ebenso vorstellen wie einen gregorianischen Choral in einem modernen Kirchenbau.
Ekstatisch, bewegt: Aus einer handschriftlichen Partitur von Günther Firlingers „Jubilate Deo“
Folgen der Corona-Pandemie noch spürbar
Als Diözesanmusikdirektor wünscht er sich, „dass man sich in der gesamten Fläche unseres Erzbistums mit geistlicher Musik des 20. und 21. Jahrhunderts auseinandersetzt“, ja mehr noch, dass „für die jeweils konkrete Situation vor Ort neue Kompositionen geschaffen werden“. Das ist freilich nicht einfach – noch immer leidet die Chormusik stark unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie: Viele Sängerinnen und Sänger sind noch nicht wieder in die Probenarbeit zurückgekehrt, und auch die Zahl der Kirchen- und Konzertbesucher und -besucherinnen ist bei Weitem nicht auf dem Vor-Corona-Niveau.
Auf zahlreiche Zuhörende bei den „Tagen Neuer Kirchenmusik“ hofft auch Christian Baumgartner, Kirchenmusiker und Organist in St. Jakob in Dachau. Er präsentiert am Sonntag, 23. Oktober, um 10 Uhr im Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche St. Jakob Werke für Stimme und Orgel sowie für Orgelsolo von Günther Firlinger (*1951), einem zeitgenössischen österreichischen Komponisten. Mit einer Reihe von Stücken sehr unterschiedlichen Charakters beabsichtigt Baumgartner, ein „Komponistenporträt“ von Firlinger zu zeichnen. Dabei steht er im persönlichen Austausch mit dem Komponisten und spielt dessen Werke nicht aus einer gedruckten Partitur, sondern verwendet eine Kopie des handschriftlichen Originals, das Firlinger ihm zugeschickt hat. Firlingers Werke hat Baumgartner auch schon im Salzburger Dom gespielt, während der Komponist selbst im Publikum saß.
Austausch zwischen Komponierenden und Musizierenden
In der neuen Kirchenmusik, erzählt Baumgartner, gebe es oftmals einen regen Austausch zwischen Komponisten und Kirchenmusikern. Manchmal komme es sogar vor, dass eine Komposition aufgrund einer persönlichen Rückmeldung des aufführenden Kirchenmusikers oder der aufführenden Kirchenmusikerin nachträglich noch umgeschrieben werde. Auf die „Tage Neuer Kirchenmusik“ freut sich Baumgartner, weil moderne geistliche Musik in ihrer ganzen Vielfalt einmal geballt im Fokus stehe und die Sinne der Kirchenbesucherinnen und -besucher für die neuen Möglichkeiten geschärft werden könnten.
Dann werden einmal nicht Bach, Mozart oder Händel zu hören sein, sondern Komponisten und Komponistinnen aus Estland und Ungarn, Orgelmusik des 21. Jahrhunderts und auch Werke von jungen deutschen Nachwuchsmusikern und -musikerinnen. Seien Sie dabei auf Überraschungen gefasst: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie Ihre Vorstellung von neuer Kirchenmusik revidieren – oder dass sich Ihr Banknachbar oder Ihre Banknachbarin als Komponist oder Komponistin des aufgeführten Stücks entpuppt.
Text: Joachim Burghardt, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, Oktober 2022
Seit 2006 gibt es in dreijährigem Abstand die „Tage Neuer Kirchenmusik“ – eine Initiative der Erzdiözese München und Freising zur Förderung neuerer und zeitgenössischer kirchlicher Musik. Immer wieder haben sich daran auch andere bayerische Diözesen sowie das Erzbistum Salzburg beteiligt.
Heuer findet die Reihe vom 15. bis 30. Oktober statt. Im Laufe dieser zwei Wochen stehen in zahlreichen Kirchen musikalische Werke des 20. und 21. Jahrhunderts auf dem Programm. Den offiziellen Auftakt bilden drei zentrale Veranstaltungen in den drei Regionen des Erzbistums München und Freising:
- Am Samstag, 15. Oktober, um 19.30 Uhr ist in Mariä Himmelfahrt in Miesbach ein Konzert mit dem Titel „Sakrale Musik in zwei Dimensionen“ und Werken von Pärt, Strawinsky, Jennings, Blackwell, Jackman und Adams zu hören.
- Kardinal Reinhard Marx feiert am Sonntag, 16. Oktober, um 18 Uhr einen Gottesdienst im Münchner Liebfrauendom. Dabei bringen der Domchor, die Capella Cathedralis und Domorganist Ruben Sturm unter anderem Werke baltischer und norwegischer Komponisten zur Aufführung.
- Am Sonntag, 23. Oktober, um 19 Uhr findet in St. Sebastian in Ebersberg ein Abendlob mit Weihbischof Bernhard Haßlberger statt. Es erklingen Werke von Schütz, Doppelbauer und Lugmayr.
Alle Termine sind online unter
www.tage-neuer-kirchenmusik.de zu finden.
Kirchenmusik
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80333 München
Amt-fuer-Kirchenmusik(at)eomuc.de
Diözesanmusikdirektor:
Prof. Stephan Zippe
Stellv. Diözesanmusikdirektoren:
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Telefon: 089 / 2137-1209
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Telefon: 089 / 2137-1590