Hunderte Ehrenamtliche nehmen in der ukrainischen griechisch-katholischen Kirchengemeinde Sachspenden für Geflüchtete und die Menschen in der Ukraine entgegen. Gemeinsam wird gepackt, geweint und gehofft.
Ehrenamtliche packen Pakete für ukrainische Kriegsopfer in der ukrainischen Gemeinde
Mit festem Schuhwerk, einem Funkgerät in der Hand und zwei Jacken übereinander steht Vladyslav Latypov neben einem Lastkraftwagen vor der ukrainischen griechisch-katholischen Gemeinde. Eigentlich hat er mit der Kirche wenig zu tun, doch jetzt will er genau hier helfen. Hunderte Ehrenamtliche helfen in diesen Tagen, Sachspenden für ukrainische Kriegsopfer entgegenzunehmen und in Kisten zu packen. Der gebürtige Ukrainer organisiert dabei die Logistik. Von 9.00 bis 23 Uhr ist er im Einsatz.
Vladyslav Latypov vor seinem Lastkraftwagen
„Aus der Ukraine kommen täglich zwischen drei und fünf Lkw. In jeden passen 40 Tonnen. Die Spenden fahren Ehrenamtliche in dem Fall nicht an die Grenze, sondern direkt in die Ukraine, zum Beispiel zu einem Krankenhaus“, erzählt er. Je nach Bedarf schickt der 26-jährige kleinere Pkw auch an die polnisch-ukrainische Grenze. Entweder melden sich ukrainische Stimmen über das Funkgerät oder sein Telefon klingelt, immer wieder kommen Helfer mit Fragen auf ihn zu. „Wo ist der Fahrer“, ruft einer auf Ukrainisch und schon ist Latypov wieder unterwegs und vermittelt. Denn aktuell herrscht vor und in der Gemeinde Chaos.
Überall parken Autos, hunderte Menschen wuseln vor, in und um das Haus. In allen Ecken türmen sich Lebensmittel, Hygieneartikel, Schlafmatten, Kleidung und vieles Mehr. „Ich finde, es ist unsere Pflicht, den Ukrainern vor Ort und den Menschen, die über die Grenzen kommen, unsere Sachen zur Verfügung zu stellen“, sagt ein älterer Herr und holt über zwanzig vollgepackte Tüten aus seinem Auto. Fassungslos blickt er auf die zahlreichen Taschen, Beutel und Kisten. „Ich finde das alles schrecklich. Hoffentlich helfen meine Sachspenden“, schluchzt der Mann und holt ein Taschentuch aus seiner Jacke. Seine Taschen nimmt Helferin Anna Borolic entgegen. Seit Tagen hilft sie hier mit. Nachts kann sie kaum noch schlafen. Sie kommt selbst aus der Ukraine, ihre Familie ist noch dort.
Bis zu drei Meter hoch sind die gestapelten Kisten, die sich rund um das Gemeindehaus türmen. Täglich bringen mehr Menschen Sachspenden vorbei
Die Münchnerin muss zweimal ansetzen, bis sie ihre Gedanken aussprechen kann: „Man ist einfach permanent im Schock, weil man einfach nicht glauben kann, was da gerade im eigenen Heimatland passiert.“ Sie ist froh, durch die Hilfsaktion der Gemeinde aktiv unterstützen und anpacken zu können. Heute ist sie für die Lebensmittel zuständig. Vor allem Nudeln, Konserven und Süßigkeiten werden gespendet. Stück für Stück sortiert sie alles in Kartons. „Es ist einfach schön zu sehen, wie alle mithelfen und sich solidarisieren. Eine Kollegin von mir will sogar jetzt eine Familie bei sich zu Hause aufnehmen“, berichtet die Lehrerin hoffnungsvoll.
Der Kirchengemeinde steht Anna Borolic sehr nahe. Sie ist froh, dass die Kirche für die Menschen da ist. Im Pfarrbüro hat sich ein Kommunikationsteam zusammengefunden, das im ständigen Austausch mit ukrainischen Hilfswerken und Privatpersonen steht. Auch Priester Alexander Smetanin tippt fleißig in die Tasten. Er kümmert sich vor allem um E-Mails zu Sachspenden. „Wir aktualisieren die Liste der benötigten Dinge ständig. Bei Fragen geben wir gezielt weiter, welche Medikamente zum Beispiel gebraucht werden“, erklärt er. Trotz der Organisation hat für den Priester Smetanin aber die Seelsorge oberste Priorität. Zu dem täglichen Friedensgebet um 18 Uhr kommen in diesen Tagen besonders viele Menschen. Einige Gemeindemitglieder suchen Halt in der Seelsorge, berichtet der Geistliche: „Wir hören zu und spenden Sakramente. Viele Menschen kommen auch zum Beichten, um auf diese Weise Trost und Vergebung zu erfahren. Das machen wir aktuell mehr und verstärkt.“
Der Priester freut sich, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft oder Religion mit anpacken und damit auch ein ökumenisches Hilfsprojekt daraus geworden ist. Er ist davon überzeugt, dass Herausforderungen wie diese nur in Gemeinschaft bewältig werden können. Zwei bis drei Meter hoch sind die gestapelten Kisten, die sich rund um das Gemeindehaus türmen. Damit die Sachspenden auch da ankommen, wo sie gebraucht werden, steht Vladyslav Latypov mit Funkgerät und Telefon in den Händen weiterhin vor der Gemeinde. Auf die Frage, wie lange er hier noch helfen wird sagt Vladyslav Latypov entschlossen: „Solange ich gebraucht werde.“
Text: Anna Parschan, Redakteurin, St. Michaelsbund, März 2022
Muttersprachliche Gemeinde: ukrainische griechisch-katholische Kirche
Die ukrainische griechisch-katholische Kirche in München ist der Abteilung Muttersprachliche Seelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat angegliedert. Nach einer Erhebung aus dem Jahr 2018 ist die Abteilung für insgesamt 265.000 Gläubige aus aller Welt zuständig. Die ukrainische griechisch-katholische Kirche in der bayerischen Landeshauptstadt zählt rund 3000 Mitglieder.
Die Muttersprachliche Seelsorge unterstützt die Gemeinden mit Personal, einem regulären Jahreshaushalt sowie mit Zuschüssen etwa für einzelne Baumaßnahmen. „Wir stellen alles zur Verfügung, damit sie wie jede andere Pfarrei funktionieren können“, erläutert Abteilungsleiter Monsignore Alexander Hoffmann. Die ukrainische griechisch-katholische Kirche in München genießt allerdings einen Sonderstatus. Ihre Pfarrkirche in der Untergiesinger Schönstraße ist zugleich Kathedrale. Denn sie ist auch Sitz der Exarchie für Deutschland, einer Art Auslandsbistum mit einem eigenen Bischof. Griechisch-katholisch nennt sie sich aus historischen Gründen: Als 1596 führende Vertreter der orthodoxen Kirche in der heutigen Ukraine sich der römisch-katholischen Kirche anschlossen, bestanden sie auf einigen ihrer Traditionen. Unter anderem auf ihre überlieferte Liturgie, die sich vom griechisch geprägten byzantinischen Ritus herleitet.