Farbgestaltung der Kirche

Nach Fertigstellung der Innensanierung der Pfarrkirche St. Augustinus wurde 2002 mit der Außengestaltung begonnen. Das Kreuz und die großen Flächen der Außenfassade konnten fertig gestellt werden, bevor die kalte Witterung den Baufortschritt aufhielt. Noch kann das durchgängige Farbgestaltungskonzept, das Innen und Außen miteinander verbinden wird, sich nicht vermitteln. Ich möchte ihnen deshalb vorab die wichtigsten Aspekte der ganzheitlich zu verstehenden Farbgestaltung erläutern.

1. Harmonie und homogene Farbstimmung

Erlebt man nach der Innenrenovierung das lichte Mittelschiff, so könnte man versucht sein, das Strahlen des leuchtend hellen Innenraum der Verwendung einer rein weißen Farbgebung zuzuschreiben. Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass in Realität die Wände und Oberflächen mit recht kräftigen Farben behandelt worden sind. Die Verwendung dieser starken Farbtönung des Farbkonzepts des Kirchenmalers Rainer Neubauer leitet sich aus den unveränderlichen vorgefundenen Materialien des Innenraum, den Gewänden, Bodenbelägen, Ausstattungselementen ab. Damit werden diese Teile zu einem übergeordneten Raumganzen gebunden und für die Adaption im menschlichen Auges eine durchgängige Farbstimmung und räumliche Harmonie erzielt. Auch bisher divergierende Elemente werden aufeinander bezogen. Der Raum zerfällt nicht in Einzelelemente. Wie kommt es aber, dass sich trotz bzw. mit der zum Teil kräftigen Farbigkeit diese Weite und Lichte im Inneren einstellt?

Licht und Farbe beeinflussen unsere räumliche Wahrnehmung. Viele Aspekte hierzu beruhen auf Erkenntnissen, die schon seit Jahrhunderten bekannt sind. So entwickelte z.B. Pythagoras (um 500 v. Chr.) Modelle, um mit erkannten Gesetzmäßigkeiten Ordnung ins Chaos der Welt zu bringen. Pythagoras war es, der die "Goldene Ratio", ein Proportionsgesetz schuf, mit dem die ästhetisch befriedigende Gestaltung rechtwinkliger Formen möglich war. Andere, meist Mathematiker, führten diese Denkansätze weiter. Leonardo Fibonacci leitete um 1200 n. Chr., aus komplexen graduelle Veränderungen natürlicher Erscheinungsformen der Natur, wie dem Pflanzenwachstum, der Verästelung im Wachstumsprozess der Pflanzen, der Aufspreizung von Blüten, etc. mathematische Gesetze ab, die interessanterweise - 800 Jahre später - gerade im heutigen Computerzeitalter von faszinierende Aktualität sind.
Fibonacci
Die oben gezeichnete Spirale ist in Wirklichkeit nur eine Serie von Viertelkreisen, die in Quadraten gezeichnet sind. Diesen Quadraten sind Rechtecken eingeschrieben, wie sie in der oben gezeigten Zeichnung gezeigt sind. Alle Rechtecke im Diagram sind Goldene Rechtecke.

2. Raumempfindung

Was hat ein solches Phänomen mit Farb- bzw. Lichtgestaltung zu tun? Unsere Lichterfahrung ist die der Sonneneinstrahlung unter freiem Himmel. Wir erwarten eine vom Firmament ausgehende Helligkeit als Hauptlichtquelle, die über die stehenden Flächen oder Körper bis zum Boden abnimmt. Diese Veränderung der Helligkeit erfolgt nicht linear. Fibonaccis "goldene Spirale" erklärt neben vielen anderen Erscheinungsformen in der Natur auch das Phänomen des graduell abnehmenden Lichts. Vergleichbar verhält sich die vertikale Raumerfahrung, die Wahrnehmung der Raumtiefe. Unsere gewohnte Lichten-Fahrung bedeutet: Boden dunkel, Wand heller, Decke am hellsten. Werden die genannten Erkenntnisse auf den Innenraum angewandt, entwickelt sich eine Raumwirkung von großer Weite. Diese Erkenntnisse lassen sich aber auch nutzen, um unzureichende Proportionen und räumliche Unstimmigkeiten korrigierend zu beeinflussen. Diese Ansätze liegen dem Farbkonzept für den Kircheninnenraum zugrunde.

3. Beispiel - die Deckengestaltung

Ausgangspunkt war hier die Erkenntnis, dass eine farbige Struktur die gestalterischen Aufgaben, wie z.B. Einbindung der Heizplatten am besten gewährleisten würde. Wie war nun diese Vorstellung in den Gesamtraum einzufügen? Um weiterhin die Deckenfläche als hellste Ebene im Raum wirken zu lassen, waren die Wände dunkler abzutönen und der Boden mit dem Gestühl herunterzufahren. In Kompensation zum nicht veränderbaren Boden erhielten die Kirchbänke eine dunkle Tiefenlasur. Da die Decke zusätzlich mit Licht aufhellend geflutet wurde, konnte insgesamt das Milieu lichter gehalten werden. Diese Arbeitsweise und das Resultat macht deutlich, dass Licht und Helligkeitswahrnehmung nicht objektiven, sondern im starken Maße wahrnehmungspsychologischen Kriterien folgt.

4. Beispiel - das Scrafitto

Eine Korrektur unbefriedigender Proportionen fand bei der Bearbeitung des Scrafitto auf der Stirnwand des Kirchenschiffes statt. Diese skizzenhaft mit einer Kelle bzw. einem Spachtel in den noch frischen Putz der hinteren Wand gekratzte Zeichnung, war bei ihrer Erstellung in den 50er Jahren in Dimension und Bedeutung auf den erhöhten Hochaltar bezogen. Als visuell zartes und feinsinniges Liniengeflecht überzog es die Rückwand. Der damalige Hochaltar war die Bezugsgröße dieser Wandgestaltung, die zudem die Aufgabe besaß, das Triumphkreuz auf den Hochaltar zu beziehen. Als nach dem 2. Vatikanischen Konzil der Altar auf das niedrige Niveau zur Gemeinde hin postiert wurde, schwebte plötzlich das Scrafitto - seiner Basis beraubt - völlig unvermittelt, wie eine Wolke um das Kreuz. Diese Situation war in Form wie Inhalt haltlos. Mit dem Farbkonzept konnte die den Raum umfangende Farbtönung der Innenwände zur Bereinigung genutzt werden. Indem die das Scrafitto unterlegte Fläche hell gefasst sich von den umgebenden Wänden absetzt, wird die Wandzeichnung wieder auf den Boden "gestellt" und bezieht sich als Hintergrund nun wieder auf den Altar. Zusätzlich wird auch baulich durch die hintere Aufkantung des um eine Stufe erhöhten Altarbereichs diese Beziehung vom Scrafitto mit dem Triumphkreuz zum Altarbereich unterstützt.

5. Plastizität und Brillanz

Die bildlichen Darstellungen, das Kreuz, die Marienfigur und die Skulptur Josef mit Kind erhielten eine maltechnische Sonderbehandlung um ihre Lesbarkeit zu verbessern und ihre Bedeutung herauszustellen. Beim Scrafitto geschah dies durch ein Hinterlegen der vertieften Putzriefen mit einem tiefblauen Farbton. Die Plastizität des Triumphkreuzes und der Heiligenfiguren ergibt sich aus dem Herausarbeiten von Details mittels Blattgold und dem Farbton Smalteblau. Die Deckenfläche des Mittelschiffs erhielt metallischen Reflexe in Enkaustik-Technik. Auch die im reinen Weiß ausgeführten Leibungen der Fenster-Öffnungen unterstützen im Inneren diese spürbare Leuchtkraft und Plastizität. Durch eine materialgerechte Beschichtung und Politur wurde zudem der Reflektionsgrad der Metallarbeiten bei den Darstellungen des Kreuzwegs und den "musizierenden Engel" an der Orgelempore wieder herausgearbeitet, der auch in der ursprünglichen Fassung der 50er Jahre bestanden hat. All dies sind historische Techniken, wie sie seit Jahrhunderten von Kirchenmalern in Kirchen und kulturell bedeutenden Bauten praktiziert werden und die den festlichen Charakter eines Raums bestimmen. Aus der Kompensation von Hell und Dunkel, Farbverdichtung und Reflex entwickelt sich ein vielschichtiges Raumkontinuum.

6. Außenraumgestaltung allgemein

Das Fließen des Raumes, ein Raumkontinuum, wird über die Trennung von Innen- zu Außenraum hinaus stattfinden. Inhaltlich und baulich entspricht dies der liturgischen Achse, die vom Innenraum in den Vorplatz hinausgeht. Umgekehrt betrachtet wird sich hierdurch eine Geste des Willkommens, des Einladens einstellen. Die begonnene Tönung der großen Außenwandflächen nimmt die Farbgebung des Innenraums auf. Die Unterseiten der Zugangs-Vordächer sowie die Leibungen der Portale werden durch eine helle Lasur diese Geste unterstützen.

7. Außenwände

Die großen Wandflächen wurden mit einer mineralischen Grundierung vorbehandelt und sind zusätzlich mit einer Restauro-Lasur gestaltet. Die Außenwand mit ihrer farbigen Abtönung bildet den Hintergrund um nach dem Betreten des Kirchenraums diesen in seiner Brillanz zu erfahren. Es konnte nicht gewollt sein, das Innere stumpf und dunkel erscheinen zu lassen. Die differenzierte Farbwirkung der Außenwände entsteht nicht nur aus dem Mischungsverhältnis der Pigmente, sondern auch durch die bewusst wolkige Farbstruktur, die eine Lebendigkeit der großen Flächen ergibt. Zusätzlich werden die mineralischen Farbpigmente durch ihre Leuchtkraft entscheidend das Ambiente prägen.

8. Sockel

Ein besondere Aufgabe kommt dem Sockel zu. Im gleichen matten Blau (Smalte) der Turmuntersicht gehalten, wird der so gestaltete Fuß des Gebäudes dem stumpfen Ton der Wände und dem einfachen äußeren Volumen eine Eigenart mitgeben und es licht und luftig erscheinen lassen. Smalte gehört zu den ältesten Pigmenten. Schon die Ägypter vermahlten kobalthaltiges Glas zu einem Pigment. Dieser Farbton besitzt eine Eigenart und Symbolik, weshalb diese Behandlung auf den Kirchenbau beschränkt bleiben soll.

9. Akzente

Wie schon im Innenraum sind einige gezielt gesetzte Akzente zu sehen. Das sind vor allem das große neue Kreuz und die Darstellung des Augustinus über dem Hauptportal. Auch letzteres erhält durch seine farbige Einbindung und durch eine partielle Vergoldung die ihm gebührende Präsenz.

10. warm und kalt

Als kontrastierendes Element ist die auf das Gebäude hinführende lange Wandscheibe des Kirchvorplatzes gestaltet. Sie besitzt zwei große Schwing-Tore, mit denen der Kirchvorplatz zum Garten des Pfarrhauses erweitert werden kann. Als Gegensatz zur feinen kühlen Tönung des Kirchenbaus ist hier an einen warmen Farbton gedacht, der zum einen die Sonderstellung des Kirchenbaus deutlich hervorhebt, zum anderen dem Vorplatz im Zusammenklang mit dem Grün der Bäume eine Erdverbundenheit zu geben. Warmgewalzte Cortenstahlbleche entwickeln mit ihrer Patina diese erdfarbene changierende Oberflächenstruktur, was einer großflächigen monochrom durchgängige Farbfläche unbedingt vorzuziehen ist.

Diese Erläuterungen können die dem Farbkonzept zugrunde liegenden Gedanken nur partiell wiedergeben. Ich hoffe, es wurde verständlich, dass der Weg, das Durchschreiten von Außen nach Innen, wie auch der Aufenthalt als zu unterstützende räumliche Erfahrung die Farbgebung im besonderen Maße bestimmt hat.

München, 14. Dezember 2002

Prof. Josef Weber

Löffler Weber Architekten BDA
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