Vor nicht ganz 400 Jahren war der Tod in Tittmoning und Umgebung allgegenwärtig. Der Schwarze Tod – die Pest- raffte die Tittmoninger dahin. Ein kleiner Einblick in die Geschichte der Seuche in unserer Stadt:1634 wütete die Pest in Stadt und Land Tittmoning. Manche Orte unserer Gemeinde starben zu dieser Zeit fast ganz aus. Besonders hart hat es auch die Ortschaft Mühlham getroffen. Unter vielen erkrankte dort auch die Wagnerstochter an der Pestseuche. Nach einem schweren Anfall lag sie mit einem mal starr und steif da und gab keinerlei Lebenszeichen mehr von sich. Als der Karren mit den Männern durch den Ort fuhr, die jeden Tag die vor die Türen der Häuser gelegten Leichen aufsammelten und zum Pestfriedhof brachten, hoben diese auch die Wagnerstochter auf und legten sie oben auf die dort schon befindlichen Toten. Dann nahm das Fahrzeug den gewohnten Weg von Mühlham aus über den Exenberg nach Grassach und weiter nach Diepling. Kurz vor Diepling ging es ein wenig bergan. Als das Gespann am Hang fast oben war, konnten die Fuhrmänner den Wagen nicht mehr halten. Die vielen Toten waren zu schwer geworden für sie. Dieser Transport wurde von den Männern von Hand gezogen bzw. geschoben. Der Wagen schlingerte den Berg hinab und die Wagnerstochter wurde herab geworfen. Das war ihr Glück! Durch den Sturz wich die tödliche Starre von ihr und sie gab wieder Lebenszeichen von sich. Sie wurde nach Hause gebracht und überlebte alseine der wenigen die schwere Krankheit und wurde wieder ganz gesund.
Eine weitere Geschichte erzählt Folgendes: Jeden Morgen wurden die Pesttoten aufgesammelt. Als der Karren mit den Verstorbenen durch die Ortschaft Grassach fuhr, bemerkten die Männer einen leblosen Körper eines Zimmermannes im Gras liegen. Dieser war auf der Walz unterwegs und hatte sich mit der Pest angesteckt. Nach dem der Wandersgesell schon ganz blass und steif war, legten die Männer ihn auf den Karren zu den anderen Leichen. Vor dem Karren war bei diesem Transport ein Pferd gespannt. Am Bergerl zwischen Grassach und Diepling blieb das Pferd stehen und wollte partout nicht mehr weiter gehen und scheute. Dabei wurde der Zimmermann vom Wagen geworfen. Durch den Sturz wich die Starre von ihm. Man brachte ihn zu einem nahegelegenen Hof in Diepling. Auf diesem Hof waren schon alle gestorben an der Pestseuche. Einzige noch Überlebende war die Mutter, aber auch diese hatte schon die ersten Anzeichen der Pestseuche. Sie willigte schließlich ein, dass der Zimmermann bei ihr bleiben könne. Beide erholten sich wieder von der Pest und wurden wieder ganz gesund. Der Zimmermann kehrte in seine Heimat bei Deggendorf zurück. Zuvor allerdings baute er zum Dank für die Rettung einen Bildstock an der Stelle, wo sein angeblich toter Körper gelegen hatte, als er vom Wagen herab geworfen wurde. Diese beiden Ereignisse sind innerhalb von drei Monaten geschehen. Die damalige Bevölkerung sprach von einer großen Gnade, welche der Wagnerstochter und dem Zimmermann widerfahren sind. Der Bildstock wurde 1893 von Peter Kain, dem damaligen Weberbauern von Grassach, neu errichtet. Ziel der Leichentransporte aus Mühlham, Diepling, Grassach war das sogenannte Hölzl am Leitgeringer See. Bis heute findet sich dort ein Bildstock mit den Jahreszahlen: 1634 und 1847. 1634 steht für das schlimme Pestjahr, 1847 ist der Bildstock erneuert worden. In diesem Jahr war eine schlimme Cholera-Epidemie ausgebrochen. Wegen der vielen Toten wurde der alte Pestfriedhof noch einmal zur Begräbnisstätte auserwählt. In Zeiten von Seuchen hörte man immer wieder Vorfälle von Scheintoten. Den Tod stellte damals kein Arzt fest. Sobald die Kranken kein Lebenszeichen mehr von sich gaben, galten sie als verstorben.
Über einen Scheintoten wurde sogar ein heute berühmtes Lied geschrieben: „O du lieber Augustin“. Der Legende nach war der 36jährige Augustin 1679 während der Pestepidemie in Wien einmal stockbesoffen und schlief irgendwo in der Gosse seinen Rausch aus. Siech-Knechte, die damals die Opfer der Epidemie einsammeln mussten, fanden ihn, hielten ihn für tot und brachten die Schnapsleiche zusammen mit den Pestleichen auf ihrem Sammelkarren vor die Stadtmauer. Dort warfen sie ihre ganze Ladung in ein offenes Massengrab. Wie in der damaligen Situation üblich, wurde das Grab nicht sofort geschlossen, sondern provisorisch mit Kalk abgedeckt, um später weitere Pestopfer aufzunehmen. Am folgenden Tag habe Augustin inmitten der Leichen so lange krakeelt und auf seinem Dudelsack gespielt, bis Retter ihn aus der Grube zogen.
Beim Lesen früherer Pestberichte erfasst uns Grauen über das Leid, die Not und das Elend, das unsere Vorfahren während der Seuchenzeit erdulden mussten.
Im Jahr 1310 wird zum ersten Mal über eine Pestepidemie in unserer Region berichtet. Es heißt in diesem Bericht an den Salzburger Erzbischof: „Das letzte Jahr war so schlimm und grauenhaft, dass jeder dritte Mensch es nicht überlebet hat. Einige Städte, Märkte und Dörfer sind seither leer von jeder Menschseel!“ So war es auch in Tittmoning. Infolge von Kriegswirren waren viele Menschen in der Stadt, die mit ihren starken Mauern Schutz bot. Da brach zu allem Unglück in der überfüllten Stadt die Pest aus. Der Stadtschreiber hat hierzu vermerkt: „ Anno 1310: Die Pestregiert so stark, dass von Martini bis Lichtmess mehr als 1300 Leichen allhier begraben worden sind.“ Während des 30jährigen Krieges (1618-1648) wurde Tittmoning mehrmals von der Pest heimgesucht. 1634 stand der Dekan von Tittmoning und der Rat der Stadt der Seuche schutz- und ratlos gegenüber. In dieser großen Not erhoffte man sich Hilfe vom Landesherrn und richtete ein Schreiben nach Salzburg. Am 15. August 1634 kam folgender Befehl per Brief zurück. Darin heißt es unter anderem: „Es ist mit sofortiger Wirkung ein Platz vor den Stadttoren zu suchen, wo die Seuchenkranken gepflegt und anschließend beerdigt werden. Eine Bestattung am Kirchenfriedhof ist untersagt.“ („Gepflegt und anschließend beerdigt werden“ – Mit dieser Aussage ist ganz klar gesagt, dass niemand an die Heilung eines Pestkranken glaubte) ! Noch am selben Tag kamen der Dechant (Stiftsdekan), Stadtrichter und die beiden Bürgermeister zusammen. Der Stadtschreiber Pölchinger litt bereits an der Seuche und war „gesperrt“. Man beschloss, das Anwesen des Alten Mairwisers in der Wasservorstadt (späterdas Anwesen Reichart) zu einem Lazarett umzufunktionieren und die Wiesen dahinter als Begräbnisstätten zu verwenden, mit eingeschlossen der alte Pestanger. Per Los wurde entschieden, wer von den Bürgern die Pflege der Kranken übernehmen musste. Nachdem sich keiner der Priester bereit erklärte, den Kranken beizustehen, wurde vorab die letzte Ölung an alle Bewohner von Stadt und Land Tittmoning gespendet, verbunden mit Beichte und Kommunionempfang.
So musste kein Priester mehr zu einem Pestkranken. Den Tittmoningern war dieser Zustand allerdings ein Dorn im Auge und man schrieb an den Landesherrn in Salzburg, dass viele Seelen ohne Geistlichen Beistand verschieden sind. Im Antwortbrief heißt es u. a.: „Ein Mangel kann nicht festgestellt werden! Oft verschieden die Personen zu schnell, so dass kein Priester mehr rechtzeitig kommen konnte! Des weiteren wisse man, dass vor der Seuch providiert worden sei (dass die letzte Ölung gespendet wurde), also niemand aus Mangel hätt hilflos sterben müssen.“ Jedoch schnell änderte sich die Meinung der Salzburger. In einem Befehl vom 17. November 1634 heißt es: „Per Los ist einer der Priester zu bestimmen, der einzig und allein für das Seelenheil der Pestkranken zu sorgen hat und seine Wohnstube bei diesen Kranken zu haben hat.“ Die Anordnungen wurden jedoch nie von Salzburg geprüft. Viel zu viel Angst hatte die Obrigkeit, selbst angesteckt zu werden. Die Pest konnte innerhalb weniger Stunden zum Tod führen. Anzeichen für die Pest waren schwarze Beulen am Körper, Kopfschmerz und lange Bewusstlosigkeit. Das Lazarett reichte schon bald nicht mehr aus und so war fast in jedem Haus in der Stadt der Schwarze Tod eingekehrt. Die Stadt zählte damals nach einer Haushaltsliste von 1623: 1022 Einwohner. Rund die Hälfte ist innerhalb kürzester Zeit an der Pestepidemie verstorben.
1649 brach die Seuche erneut aus. In einem Bericht heißt es: „Etliche Dienstmägde seien innerhalb kurzer Zeit, aber ohne äußerliche Zeichen, der Pest zum Opfer gefallen.“ Anschließend griff ein groß organisierter Hilfsplan. Man hatte aus den Fehlern der letzten Seuche vor 15 Jahren gelernt. Die erkrankten Personen wurden wieder in mehreren Häusernin der Wasservorstadt einquartiert. Alle Personen, die mit einem Infizierten in Berührung kamen, galten als „gesperrt“ und mussten in die Wasservorstadt umsiedeln. Bald reichten die Unterkünfte dort nicht mehr aus und es wurden notdürftige Hütten gezimmert. Die Hauseigentümer erhielten Entschädigungszahlungen von der Stadt. Die Stadt sorgte auch für Nahrungsmittel, Pflegekräfte etc. Die Stadt engagierte sogar extra einen Jäger, der jeden Hund und jede Katze erschießen musste, welche in ein infiziertes Haus gelaufen sind. Die Pest raffte trotz der vielen Vorkehrungen wieder viele Tittmoninger dahin. Dieses Mal traf es auch das Umland schwer. Ganze Familien und Bauerngeschlechter waren ausgestorben. Viele Felder konnten deshalb nicht mehr bewirtschaftet werden und lagen brach.
1665 flammt die Pestkrankeit wiederum in Tittmoning auf. Man gibt damals den vielen Durchfahrenden, zwielichtigen Gestalten, die Schuld daran. Der Ostermiethinger Priester Josef Aichpointner erwarb sich hier große Verdienste. (Ostermiething gehörte damals zum Dekanat Tittmoning). Pfarrer Aichpointner meldete sich freiwillig für die Pflege der Kranken. Ganz allein übernahm er diese Aufgabe. (1665 wahren anscheinend nur wenige Personen erkrankt.) Er lebte abgesondert mit den Kranken im Siechenhaus. Hingebungsvoll erfüllte er sein schweres Amt, bis er schließlich selbst von der Pest hinweggerafft wurde. Auf Anordnung der Obrigkeit wurde er trotz Widerspruchs der Bevölkerung auf dem Pestfriedhofim Massengrab beerdigt. Als „Pestkaplan“ von Tittmoning wurde er von der Bevölkerung viele Jahrzehnte, einem Heiligen ähnlich, verehrt.
Eine alte Legende war bis in die 1960er Jahre in Tittmoning bekannt. „Wennst in einer Raunacht ein furchtbares Scheppern und Pferdehufe hörst, dann nimm dich in Acht und versteck dich gut. Dann kommt der schwarze Tod wieder zu uns. Vom Stadttor fährt der Wagen zum Pestfriedhof runter. Tod und Teufel sind die Lenker. Eine entsetzliche Lade führen sie mit, alle Seelen der Pesttoten aus unserer Stadt. Diese jammern und klagen fürchterlich über ihr Los. Voran die Pferde, aus deren Nüstern feuriger Atem sprüht. Das Gespann schwebt in der Luft, gut einen Meter über dem Boden. Alle 50 Jahr erscheinen sie aufs neue!“
Nach den großen Pestepidemien wurde in Tittmoning ein eigenes Pestlied komponiert und bei jedem Konventamt bis zur Liturgiereform gesungen. Es lautet wie folgt, vom Lateinischen ins Deutsche übersetzt: „Des Himmels klarstes Lichtgestirn, du Jungfrau , die den Herrn genährt. Des Todes Pest sie überwand. Die Adams Schuld ist gegen uns gekehrt! O Mildeste, o Meeresstern, du nahst dich helfend uns so gern. Vor Pest und Tod wir bitten dich, beschirme uns gar mütterlich.“ Dieser Ausdruck einer bedrängten Seele, heute unverstanden und manchem fast langweilig erscheinend, war zur Pestzeit der Notschrei des an Leib und Seele erkrankten Tittmoningers zu Maria, dem Heil der Kranken.
Text: Rainer Zimmermann, Mesner;
Quellen: Pfarrarchiv: Zeitungsartikel von Dez. 1953 von Kreisheimatpfleger Franz Ludwig; Aufzeichnungen von Dr. Ludwig Brixner; Schulunterlagen von Schwester Mater Pelagia Kammerer und Schwester Mater Theodolinde Amann des Englischen Institutes