Wie Pastoralreferentin Maria Thanbichler ihren Freiwillligendienst 1989/90 in Mexiko erlebte (Artikel aus der Münchner Kirchenzeitung 3. September 2017 / Nr. 36)
Nach meinem Theologiestudium wollte ich Ende der 80er Jahre die Chance nutzen, noch einen Freiwilligendienst zu leisten. Dabei hat-te es mir der südamerikanische Kontinent angetan. Immer wieder hörte ich in meiner Heimatpfarrei Teisendorf von Missionaren, die unter anderem in diesem Teil der Erde tätig waren und von ihrer Arbeit berichteten. Ich war fasziniert. Auch Studienfreunde aus Südamerika machten mir Lust auf einen längeren Aufenthalt dort. Und immer wieder hörte ich im Studium von der Theologie der Befreiung und dem Aufbruch der Kirche in den Basisgemeinden, die ich kennen lernen wollte.
Aber ich wollte auch auf Tuchfühlung gehen mit der Armut, mit Menschen, die nicht viel zum Leben haben, aber vielleicht trotzdem reicher sind als wir, auch schauen, ob ich im Umgang mit ihnen sogar Gott begegnen kann. Zudem wollte ich sehen, wie ich selber in einfacheren Verhältnissen zurechtkomme, und mich natürlich auch einbringen und meine Hilfe anbieten. Letztlich landete ich, ohne dass ich dort jemanden kannte, in der Diözese San Cristóbal de las Casas im Bundesstaat Chiapas in Mexiko. Ich half zehn Monate in einem einheimischen Seelsorgeteam mit, das in einfachen Verhältnissen in der Stadt Comitán wohnte und in der ländlichen Region um diese Stadt pastoral tätig war. Einmal ritt ich mit dem Team zu einem Dorf, um Gottesdienst zu feiern. Weil es dorthin noch keine Straße gab, wurden uns zwei Pferde zur Verfügung gestellt, auf denen wir abwechselnd ritten. Anfangs war es für mich wie im Film, bis ich dann, im Dorf angekommen, vom Pferd fiel, weil es zu laufen angefangen hatte. Ich bin so unglücklich gefallen, dass ich fast nicht mehr atmen konnte und am Kopf blutete. Ich dachte schon: „Jetzt ist es aus. Kein Rettungsfahrzeug kann hierherkommen oder auch nur verständigt werden, ebenso wenig ein Hubschrauber.“ Die Dorfbewohner waren wie die Engel zu mir und versorgten mich notdürftig. Eine Frau versuchte sogar, meinen Geist nach der Tradition der Maya-Indianer zurückzuholen.
Für mich war der Aufenthalt eine ungeheure Horizonterweiterung. Ich lernte globale Zusammenhänge kennen. Ich lernte die Art der Pastoral vor Ort schätzen, die Förderung der armen Leute in vielen Dimensionen ihres Lebens. Ich eignete mir eine neue Sprache an. Ich lernte so manches mehr schätzen, was vorher selbstverständlich war: die Matratze im Bett, das Trinkwasser aus dem Wasserhahn, eine abwechslungsreiche Kost, die Waschmaschine, die medizinische Versorgung … Ich erlebte, dass arme Menschen sehr weise sein und immer noch viel geben können. Ich lernte sie schätzen als meinesgleichen, die nicht weniger wert sind als ich und genauso ein Recht auf gutes Leben haben wie ich. Und ich lernte mich selber mehr kennen, wie ich reagiere, wenn ich, fernab von Familie und Freunden, in eine neue Kultur und Situation hineingeworfen bin.
Gerne habe ich zugesagt, als ich vor mehr als zehn Jahren gefragt wurde, ob ich in der Projektleitung des Missionarischen Dienstes auf Zeit der Pfarrer-Walter-Waldschütz-Stiftung mitarbeiten möchte, hatte mir mein Aufenthalt in Mexiko ja selbst viel gebracht. Das wollte ich auch anderen ermöglichen, vor allem eine gute Vorbereitung und Begleitung, wie ich sie nicht gehabt hatte. Maria Thanbichler
Die Autorin ist Pastoralreferentin im Pfarrverband Tegernsee-Egern-Kreuth.