St. Johannes der Täufer

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Die Marienikone

Marienikone
In der Pfarrkirche wird ein Muttergottes-Gnadenbild verehrt, das, der Überlieferung nach, sehr alt ist und dessen Typus in die Frühzeit der Christenheit zurückweist.
Dr. Peter B. Steiner, Direktor der Kunstsammlungen des Erzbistums München und Freising (Diözesanmuseum, Freising), stellt dazu fest:
Der kostbar geschnitzte Rahmen gehört der Zeit um 1720 an. Der Holzrahmen verwendet Schmuckformen, die in der Münchener Hofkunst bei Joseph Effner und bei dem Stukkateur Ägid Quirin Asam vorkommen, insbesondere die Rosette, aus der heraus der Palmwedel wächst. Mit diesem Motiv läßt sich der Rahmen ziemlich genau in den Kunstkreis München lokalisieren und auf einen Zeitraum zwischen 1720 und 1735 datieren.
Das Bild in diesem Rahmen wirkt fremdartig. Mit ganz dunklen Farben ist die Muttergottes gemalt, das Kind auf ihrem linken Arm sitzend. Das Bild ist auf Leinwand gemalt (85 x 55 cm), mit einem neueren Goldgrund hinterlegt, auf dem die griechischen Anfangsbuchstaben von "ThU MR", das heißt Gottesmutter, aufgeschrieben sind.
Der Maltechnik und der Malweise nach, ist das Marienbild eine Arbeit etwa aus der Zeit des Rahmens, also um 1720. Von wem es in die Pfarrkirche gestiftet wurde, ist bisher nicht geklärt.
Der Typus des Muttergottesbildes folgt dem Gnadenbild von S. Maggiore in Rom, dem sogenannten "Maria-Schnee-Bild" aus dem 5. Jahrhundert.
Von diesem kam 1570 eine Kopie an das Jesuitenkolleg in Ingolstadt und wurde dort im Barock als "Dreimal Wunderbare Mutter" hoch verehrt. Vom Ingolstädter Gnadenbild der Dreimal Wunderbaren Mutter sind die Haltung von Mutter und Kind, das Buch in der Hand des Jesuskindes sowie der spitzwinkelig zulaufende Haaransatz des Kindes übernommen. Die Tracht der Muttergottes aber entspricht nicht dem römischen und dem Ingolstädter Gnadenbild, sondern dem Gnadenbild der Alten Kapelle, das in Regensburg verehrt wird und um 1500 Gegenstand einer sehr großen Wallfahrt war. Vom Regensburger Gnadenbild stammen die Details der Kleidung, das Kreuz auf dem Kopftuch, das Kreuz auf der Schulter und der Fransenbesatz am Schultertuch sowie die weisende Handhaltung Mariens, die mit ihrer Rechten auf das segnende Christkind zeigt.
Dieser Typus der weisenden Muttergottes wird Hodegetria genannt, nach einem Urbild im Hodegos-Kloster in Konstantinopel.
Ähnlich wie das Regensburger Gnadenbild der Alten Kapelle zeigt auch das von Schweitenkirchen ein Schmuckstück am Halsausschnitt des Madonnenkleides. In Schweitenkirchen ist es ein rautenförmiges, kleines Reliquiar, mit Perlen besetzt, in dem eine Stoffreliquie zu erkennen ist und eine Reliquienbeschriftung "De Pella B. V." , das heißt vom Gewand der seligen Jungfrau.
Reliquien vom Schleier, von der Tunika, vom Gewand der Muttergottes werden an vielen Orten der Welt verehrt; die Art der Reliquienfassung entspricht süddeutschen Kleinreliquien des 17. Jahrhunderts. Auf welche Reliquie sich genau dieses gemalte Reliquiar bezieht, kann noch nicht bestimmt werden.
Die Verehrung von ikonenartigen Gnadenbildern als uralt heiligen Bildern hat in der bayerischen Kirchengeschichte eine lange Tradition. Neben Ingolstadt und Regensburg hat auch Freising im Lukasbild des Domes eine solche Ikone; auch das in Passau, Vilsbiburg, Amberg, Innsbruck und München verehrte Maria-Hilf-Bild ist im Ikonentypus gestaltet, ebenso die Gnadenbilder Maria Trost, Maria vom Guten Rat und das Gnadenbild des Landshuter Ursulinenklosters. Eigentlich gehen alle bayerischen Marienwallfahrten - soweit sie nicht geschnitzte Gnadenbilder zum Zentrum haben - auf griechische oder römische Ikonen der Frühzeit (4.-7. Jahrhundert) zurück, deren Züge sie durch Jahrhunderte hindurch weitertragen und den Gläubigen fromm überliefern.
Während aber die Ingolstädter, Regensburger, Landshuter und Passauer Mariengnadenbilder in ihrer Malweise dem Stil ihrer Entstehungszeit (16. und 17. Jahrhundert) angepaßt und "eingedeutscht" sind, ist das Marienbild von Schweitenkirchen bewußt fremdartig gemalt; es wirkt "griechisch", ähnlich wie die Marien-Ikone von Smederevo, die 1688 von baierischen Soldaten im Türkenkrieg gefunden, nach München gebracht und in der Sankt-Anna-Kirche am Lehel verehrt wurde. Sie stimmt in der Tracht, nicht aber in der Haltung, mit dem Marienbild von Schweitenkirchen überein.
Die Türkenkriege unter Prinz Eugen und Kurfürst Max Emanuel brachten für viele Baiern eine erste Begegnung mit Osteuropa und der Kunst und Theologie der Ostkirche. Nach Auffassung der griechischen Theologie enthält jedes getreue Abbild etwas vom Wesen des Abgebildeten. Demnach enthält ein getreues Bild der Muttergottes etwas von ihrem Wesen. Um diesen kostbaren Anteil am Wesen nicht zu verlieren, wurden die Bilder genau kopiert und so fast unverändert über viele Jahrhunderte und große Entfernungen überliefert.
Im baierisch-griechischen Marienbild von Schweitenkirchen drückt sich diese Bilderfrömmigkeit der Ostkirche aus. Es überliefert eines der ältesten Marienbilder der Christenheit aus Konstantinopel in die Hallertau.
Steiners Ausführungen verdienen eine Erweiterung:
Das Gnadenbild in der Cappella Paolina (Borghesiana) der Basilika Santa Maria maggiore in Rom, als Maria-Schnee-Bild unter dem Namen "Salus populi Romani" hochverehrt, gelangte wohl im 5. Jahrhundert in die Heilige Stadt, hieß Maria-Lukas-Ikone, wurde in frommer Legende dem Evangelisten Lukas als Maler zugeschrieben, am 25. April 590 anläßlich der Pestepidemie in Rom von Papst Gregor I. d. Gr. (590-604) zum Vatikan getragen (es war jener Tag, an dem Gregor I. die Engelserscheinung über dem Hadriansgrabmal hatte), und als Gnadenbild auch bei der Choleraepidemie von 1837 und bei der Kriegsentscheidung von 1860 in feierlicher Prozession durch die Stadt geführt.
Zur Farbtönung: "Das Bild in S. Maria maggiore (Kapelle Pauls V.) war einst. . . gewiß hell gemalt; neuere Kopien aber, zumal wenn sie noch von sich aus nachdunkeln, werden die Vorstellung der tiefsten braunen Hautfarbe erwecken. ,, Das Schweitenkirchener Bild zeigt sich als eine sogenannte "Schwarze Muttergottes".
Papst Pius V. (1566-1572) gestattete dem 1671 heiliggesprochenen Jesuitengeneral Franz von Borja (Franz de Borgia, 1510-1572), von der Ikone eine Kopie zu nehmen. 1570 schenkte der Ordensgeneral eine Kopie dem Jesuitenkolleg zu Ingolstadt, wo sie besonders von Pater Jakob Rem SJ (gest. 1618) sehr verehrt wurde. Rem "sammelte um dieses Gnadenbild seine marianische Studentenkongregation (Colloquium Marianum), die einen großen Einfluß ausübte auf das katholische Geistesleben zur Zeit der Gegenreformation... Eine geschichtlich bezeugte Überlieferung weiß zu berichten, daß Pater Rem, während die Studenten die Lauretanische Litanei sangen, eine Ekstase hatte. Er sah die Mutter Gottes im Bilde erscheinen. . . Die Erscheinung begann, als die Studenten sangen: Mater admirabilis (Du wunderbare Mutter). Pater Rem forderte die Studenten auf, die Anrufung dreimal zu singen. So lange währte die Erscheinung. Seitdem wird dieses Bild unter dem Titel ,Dreimal Wunderbare Mutter' verehrt. ,,
Am 12. September 1822 besuchte Prosper Gelder (1764-1836), der Sekretär von Erzbischof Lothar Anselm Freiherr v. Gebsattel, anläßlich einer Visitationsreise die Pfarrei Schweitenkirchen, besichtigte die Pfarrkirche und notierte: "Auf dem Hochaltar ist eine Muttergottes mit dem Kinde gemalt; das Bild soll aus Ungarn gebracht worden seyn. Das Colorit ist blasses Schwarzbraun auf goldenem Grunde. . . .
Geht man von Steiners Datierung "um 1720" aus, gesteht man der Gelder mitgeteilten Herkunftsangabe "aus Ungarn gebracht" einen volksnah überlieferten Traditionswert zu, dann könnte als Stifter des Gnadenbildes ein Schweitenkirchener Kriegs- oder Handelsmann - etwa der Epoche des Großen Türkenkrieges 1683-1699 oder des Türkenkrieges Venedigs und des Kaisers 1714-1718 - nicht auszuschließen sein.