Viele Sätze des Glaubensbekenntnisses sind leidenschaftlich diskutiert worden; die Glaubenswahrheit der Jungfrauengeburt etwa oder die Himmelfahrt Christi, ja sogar das Credo von der Auferstehung wurden kritisch befragt: Muss man das glauben, wenn man Christ sein will?
Seltsam: Die Aussicht, dass Jesus als Weltenrichter das Ende der Zeiten einleiten und über Gut und Böse ein abschließendes Urteil fällen wird, wurde in solchen Debatten vergleichsweise wenig beachtet. Gleichwohl ist dem Thema in der Kunst breiter Raum gewidmet worden: Michelangelo hat in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan 1536-41 ein monumentales Wandgemälde zum Weltgericht geschaffen. Andere Künstler – wie Hans Memling im Spätmittelalter – haben bei Variationen des Themas besonders die Leiden der in der Hölle gequälten Sünder drastisch ausgemalt.
Ist die Aussicht noch prägend, dass Christus beim Weltende als Richter „auf dem Thron seiner Herrlichkeit“ alle Völker versammeln und die Menschen endgültig nach ihren Taten beurteilen wird, wie es der Evangelist Matthäus eindrücklich schildert (Matthäus 25,31-46)? Luther jedenfalls erschrak vor dem zornigen Christus, der an der Außenseite der Wittenberger Stadtkirche in einem Sandsteinrelief plastisch dargestellt war. Er floh vor dem richtenden zum barmherzigen Gott, der sich gerade den Sündern mit seiner vergebenden Gnade zuwendet.
Aber dort, wo dies einseitig betont wird, wo der „liebe Gott“ den zürnenden verdrängen soll, droht mit der leichthin zugesagten „billigen Gnade“ (Bonhoeffer) der Verlust von Maßstäben. „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder“, heißt es im Passionslied Paul Gerhardts von 1647. Diese Vergebung hat nur dann Sinn, wenn die Kategorien Verantwortung, Schuld und Scham gültig bleiben. Ein allzu harmonisiertes Christentumsverständnis hat diesen Satz des Credos bislang kaum beachtet. Aber er wird weiterhin gebraucht, damit die Suche nach Wahrheit weitergeht und klar wird, was Gottes Gnade vermag.
Text: Uwe Rieske