Außer der Mutter Jesu wird im Credo als einzige geschichtliche Gestalt der römische Präfekt Pontius Pilatus namentlich erwähnt. Mit seinem Wirken bringen die Evangelien den Leidensweg Jesu in Verbindung. Seit dem Jahr 26 n. Chr. war er der Beauftragte des römischen Kaisers Tiberius für die Provinz Judäa. In jüdischen Berichten aus jener Zeit taucht sein Name mehrfach auf – oft wird er als ein Statthalter bezeichnet, der mit besonderer Härte regierte. Offenbar führte die Hinrichtung von Pilgern, die auf den heiligen Berg Samariens, den Garizim, pilgern wollten, im Jahr 36 zur Absetzung von Pontius Pilatus – er wurde nach Rom zitiert, um sich dafür zu verantworten. Demnach war die Kreuzigung Jesu keineswegs das einzige brutale Todesurteil, das Pilatus anordnete, auch wenn er zehn Jahre lang die unruhige Provinz Judäa verwalten konnte.
Während Pilatus in Judäa regierte, zog Jesus durch Galiläa und schließlich nach Jerusalem. Mit Pilatus’ Namen wird bis ins Credo hinein sein Kreuzestod verbunden. Der Rabbi aus Nazaret, der den Juden Sanftmut und Liebe predigte, wurde vom rücksichtslosen römischen Präfekten Pilatus zum Tode verurteilt. Verständlich, dass die Begegnung zwischen dem vollstreckungsfreudigen römischen Statthalter und dem schutzlos duldsamen Rabbi das Interesse aller Evangelisten findet. Matthäus lässt Pilatus seine „Hände in Unschuld“ waschen und gibt damit den jüdischen Hohepriestern die Schuld am Tod Jesu. Der Evangelist Johannes stilisiert das Gespräch zwischen Jesus und Pilatus zu einer Auseinandersetzung zwischen geistlichem Auftrag und weltlicher Macht, die in die mannigfach zitierte Pilatus-Frage mündet: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38) Unbeeindruckt vom Anspruch Jesu auf das geistliche Königtum über sein Volk ließ Pilatus Jesus misshandeln und mit Purpurkrone und Dornenkrone verspotten. Am Ende aber spricht er über den brutal gepeinigten Rabbi die tiefen Worte: „Seht, welch ein Mensch!“ (Joh 19,5) In diesem schutzlos der Gewalt Ausgesetzten und Gepeinigten erkannten Christen tatsächlich ein Urbild der Menschlichkeit – und zugleich Gott als Schöpfer des Lebens. In der judäischen Provinz am Rande des Römischen Reiches wird am Leidensweg Jesu deutlich, dass Gottes Macht auch von brutaler Gewalt nicht aufgehalten werden kann. Pilatus’ Todesurteil wurde zur Geburtsstunde des Christentums, das jene umfassende Liebe predigte, die keine weltliche Macht aufhalten kann.
Text: Uwe Rieske