Damit haben wir eigentlich schon den tiefsten Grund für Teresas Reformwerk genannt: Ganz ergriffen von Gott, will sie "Seiner Majestät" wie sie ihn liebevoll nennt, mit ihrem ganzen Leben die Antwort der Liebe geben und ihn nicht mit Halbheiten abspeisen; und sie folgt dem Ruf Gottes in der Art und Weise, die sie als seinen Willen erkennt. Zugleich wird durch ihre innige Beziehung zu Gott, der die Liebe ist, ihr Blick immer mehr geöffnet für die Not ihrer Mitmenschen. Sie will alles tun, was an ihr liegt, damit die Menschen zur eigentlichen Erfüllung ihres Lebens, nämlich zu Gott, gelangen. Und so sucht sie mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, sich mit dem Erlöser zu vereinigen und andere für ein tieferes Innenleben zu gewinnen.
In den achtzehn Jahren ihres eigenen geistigen Ringens entwickelt sie vor allem eine reiche Tätigkeit im Sprechzimmer ihres Klosters und begeistert viele für das innere Gebet. Aber dann führt Gott sie tiefer in die ihr eigene Berufung hinein: Durch die "Höllenvision“ (Leben 32. Kap.), in der sie zutiefst die Schrecklichkeit und Bosheit der Abkehr von Gott erkennt, und durch weitere mystische Gnaden sowie durch die große Erschütterung, die die Nachricht von der Glaubensspaltung und die Erfahrung der Oberflächlichkeiten und Untreuen in den eigenen Reihen in ihr bewirken, wird ihr schmerzlich die eigene Ohnmacht bewußt. Nicht nur ihr eigenes Sündersein, ihre menschlichen Grenzen und ihre Stellung als "ungebildete' Frau scheinen ihr die Hände zu binden, sondern sie erkennt immer deutlicher, daß letztlich nur Gott selbst einen Menschen innerlich berühren und an sich ziehen kann.
Die Anregung, die eines Tages bei einer Zusammenkunft mit Gleichgesinnten von ihrer Nichte Maria de Ocampo ausgeht, entspricht ganz dem, was auch in ihr herangereift ist: die Gründung eines Klosters nach der ursprünglichen Regel des Karmelordens. In einer kleinen Gemeinschaft will sie die Ideale des Einsiedlertums leben, Tag und Nacht beten (Karmelregel) und durch völlige Selbsthingabe an Gott in der Verborgenheit das Ihre zum Aufbau des Leibes Christi beitragen. Wie Therese vom Kinde Jesus es später ausdrückt, entdeckt sie, daß der Leib nur leben kann, wenn das Herz ihn mit Blut durchpulst. Und gerade an dieser Stelle nimmt sie ihren apostolischen Auftrag in der Kirche wahr; darin sieht sie die Möglichkeit, "durch das, was wir vermögen, diesem meinem Gott zu helfen“ (Weg 1, 2). Auch die größten Hindernisse vermögen sie davon nicht mehr zurückzuhalten, sieht sie sich doch von Gott selbst dazu gedrängt.
“Was gab dieser Ordensfrau, die seit Jahrzehnten in einer Klosterzelle dem Gebet lebte, das glühende Verlangen, etwas für die Sache der Kirche zu wirken, und den scharfen Blick für die Not und die Erfordernisse ihrer Zeit? Eben daß sie im Gebet lebte, daß sie sich vom Herrn immer tiefer hineinziehen ließ in das Innere ihrer Seelenburg, bis in jenes verborgene Gemach, wo er zu ihr sprechen konnte, es sei nun Zeit, daß sie fortan sich seiner Angelegenheiten anstatt der ihrigen annehme, er dagegen werde für die ihren Sorge tragen`(IBurg VII, 2, 1)." Diese Worte der großen jüdischen Philosophin und Karmelitin Teresia Benedicta vom Kreuz (Edith Stein) zeigen aus heutiger Sicht, worum es Teresa geht und worin - heute vielleicht noch mehr als damals - die für die Kirche lebensnotwendige Aufgabe der kontemplativen Orden besteht.