Liebe Feldkirchner und Westerhamer, liebe Höhenrainer und Lauser,
liebe Schwestern und Brüder,
passender könnte das Evangelium dieses 5. Fastensonntags kaum gewählt sein. Schon beim ersten lesen habe ich mich mit Maria und Marta identifizieren können. In der Sorge um ihren schwer kranken Bruder schicken sie Jesus eine Nachricht: „Herr, dein Freund ist krank.“
Viele Menschen fürchten sich in diesen Tagen vor genau so einer Nachricht: dein Freund, deine Eltern, dein Nachbar, du selbst bist krank. Das Corona-Virus scheint nicht nur Bayern, sondern die Welt fest im Griff zu haben.
Die notwendigen Maßnahmen zu Bekämpfung dieser Krise heißen derzeit Kontaktsperre, Ausgangsverbot und social distancing. „Social distancing“, ein Wort, dass auch ich erst in den letzten Tagen gelernt habe. Ich hab versucht mich ein bisschen schlau zu machen und bin recht schnell auf einen interessanten Gedanken gestoßen, der für mich auch etwas mit dem heutigen Evangelium und mit unserem Umgang mit der Krise zu tun hat.
Die Übersetzung des Begriffs „social distancing“ ins Deutsche, wie er auch in den Medien verwendetet wird, heißt
soziale Distanzierung. Da ist aber sehr missverständlich. Darunter könnte man nicht nur einen
physischen Abstand zueinander verstehen, sondern auch soziale Isolation. Um die Ausbreitung der Infektion zu verlangsamen braucht es dringend
räumliche Distanzierung.
Um aber mit Angst vor Erkrankung, der Sorge um unsere Lieben und den gesellschaftlichen Folgen der Krise umzugehen, braucht es soziale, gesellschaftliche und emotionale Solidarität und Verbundenheit.
In der Krise, die die Erkrankung und der Tod des Lazarus bei seinen Schwestern und seinen Freuden ausgelöst hat, reagiert Jesus überhaupt nicht distanziert. Er lässt sich im Innersten berühren „Jesus war im Innersten erregt und erschüttert“, so heißt es im Evangelium und weiter: „Da weinte Jesus“.
Es überrascht mich immer wieder, mit welcher Offenheit Johannes über das Gefühlsleben Jesu schreibt und wie deutlich Jesus seine Gefühle öffentlich zeigt. In anderen biblischen Erzählung sind die Umstehenden oft recht begriffsstutzig. Vor allem wenn Jesus sie etwas lehren will. Hier verstehen sie sofort, was mit Jesus ist: „Seht, wie lieb er ihn hatte!“
In den letzten Wochen habe ich an mir selbst bemerkt, wie zusammen mit der angeordneten räumlichen Distanzierung auch die Gefahr, der sozialen, gesellschaftlichen und emotionalen Distanzierung und Isolation einhergeht. Es gab Tage, in denen ich einfach nichts mehr von Corona und am besten gleich der ganzen Welt sehen, hören und wissen wollte. Tage, in denen ich jedes Gespräch über das Virus sofort abblockte und jegliche Nachrichten, What’s App Gruppen, eMails und Gebetsaufrufe ignorierte.
Insgesamt ein nur wenig erfolgreicher Versuche, die Decke über den Kopf zu ziehen oder um es mit den biblischen Worten zu sagen, der Versuch mich in eine Höhle zu verkriechen und sie mit einem Stein zu verschließen.
Irgendwann habe ich mich dann aber gefragt, was treibst du da eigentlich? Oder vielleicht besser, was treibt dich da eigentlich? Und da wurde mit klar, wem danach ist sich zu verstecken, der hat offensichtlich vor etwas Angst. Ja, ich hatte und habe Ängste, Sorgen und Befürchtungen. Angst vor Infektion, Sorge um Familie und Freunde und Furcht vor den Folgen der Krise.
Erst nach diesem Eingeständnis, konnte ich damit beginnen, etwas dagegen zu unternehmen. Z.B. habe ich versucht mir ganz nüchtern zu überlegen, wie viel Information mir gut tut, woher ich seriöse Nachrichten bekommen kann und mit welchen Menschen ich gerne in Kontakt stehen möchte. Jetzt höre ich morgens Bayern2, nachmittags das NDR Corona Virus Update und lese einmal die Woche DIE ZEIT. Das genügt mir!
Ich habe begonnen, in meiner Familie, im Freundeskreis, mit Kolleginnen und Kollegen und jetzt auch mit Ihnen offen über das zu sprechen, was mich im Innersten bewegt. Das tut gut!
In der Arbeit konzentriere ich mich auf die ganz konkreten Aufgaben und Problemen, die mir die Corona-Krise hier vor Ort in meinem Verantwortungsbereich stellt. Politische, wissenschaftliche, medizinische und Wirtschaftliche Probleme müssen Politiker, Wissenschaftler, Ärzte und Ökonomen lösen. Das traue ich ihnen zu!
Jeden Abend, so ca. um 19:30 Uhr stelle ich eine Kerze ins Fenster und bitte Gott, dass er uns behüten möge. Dabei überkommt mich meistens eine tiefe Traurigkeit. Warum weiß ich nicht, aber ich lasse sie einen Moment lang zu. Dann gibt es Abendbrot.
Ich merke mehr und mehr, wie mir dieser nüchterne und bewusste Umgang mit dem, was mir Angst macht, hilft ruhiger und gelassener zu werden. Der Stein, der auf meiner Seele lastet ist nicht weg, wiegt aber schon nicht mehr ganz so schwer.
Ich glaube Jesus ruft nicht nur Lazarus, sondern uns alle: „Kommt heraus! Löst einander die Binden, und geht!“
Natürlich nicht heraus aus der notwendigen räumlichen Distanzierung, sondern aus der sozialen, gesellschaftlichen und emotionalen Isolation.
Amen. P.S. Falls Sie Ihre Empfindungen, Bewältigungsstrategien oder auch Widersprüche mit mir teilen möchten, tun sie das gerne unter 0151 - 743445 28 oder
hpetersen@ebmuc.de Behüt‘ Sie Gott!
Ihr Harald Petersen