Liebe Schwestern und Brüder, in der Recherche zu diesem sehr bekannten, oft zitierten und viel bepredigten Evangelium bin ich auf einen interessanten Gedanken gestoßen. Normalerweise wird das Evangelium als Aufruf an jede Einzelne und jeden Einzelnen von uns interpretiert. Wir sollen das, was uns gegeben ist, nicht ängstlich vergraben, sondern für das Reich Gottes einsetzen. So die allgemeine und sicher zutreffende Deutung.
Man kann das Evangelium aber auch als Mahnung an uns als Gemeinschaft, an die Kirche im Ganzen aber auch an unsere Gemeinde hier vor Ort lesen.
Die Versuchung, der der dritte Knecht im Gleichnis erliegt, heißt Ängstlichkeit, gepaart mit einer guten Portion Trägheit. Vor lauter Sorge, um das, was ihm anvertraut ist, vergräbt er sein Talent in der Erde. Er will es um jeden Preis bewahren.
Auch wir als Kirche stehen vor der bangen Frage, bewahren, behüten und vergraben was wir haben, oder? Ja, oder? Das ist die Frage, die im Großen wie im Kleinen, die von Rom bis Feldkirchen-Westerham diskutiert wird. Wie kann es uns Christinnen und Christen gelingen, mit dem was uns in der Heiligen Schrift, in der Tradition, in unserer Liturgie und den Sakramenten gegeben ist zu wirtschaften, ohne uns zu verlieren?
Wenn mir die Antwort auf diese Frage gegeben wäre, würde ich sie allerdings nicht in diesen Impuls schreiben, sondern, ganz im Sinne des heutigen Evangeliums, lieber teuer verkaufen ;-)
Sie ahnen es aber sicher schon, ich habe auch keine Antwort. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als in unseren Räten, Gremien und Gruppen, im Leitungsteam aber auch auf der Straße und bei uns daheim am Esstisch weiter über diese Frage nachzudenken, zu sprechen, zu träumen und sicher auch zu streiten.
Leider gibt uns auch das heutige Evangelium keine Antwort oder Handlungsanweisung. Was es uns aber gibt, ist eine innere Haltung, eine Grundorientierung für unsere Suche:
Wer nichts wagt, der nichts gewinnt.
Nicht nur die finanzielle, sondern vor allem die fortschreitende ideelle Verarmung unserer Kirche ist auch eine Folge unseres Bloß-nichts-riskieren-wollens. Die bloße Angst nur nichts Widerrechtliches zu tun, darf nicht dazu führen, überhaupt nichts zu tun. Sonst laufen wir Gefahr, dass uns auch das genommen wird, was wir jetzt noch haben.
Was wir als Kirche brauchen ist ein offener Dialog auf Augenhöhe, den Mut etwas neues zu wagen und einen kreativen Umgang mit den Talenten, Gaben und Ressourcen, die wir haben. Dazu gibt es gute Ansätze und Aufbrüche wie den synodalen Weg oder die kollegialen Leitungsmodelle.
Vor ein paar Wochen hatten wir im Pfarrhof in Feldkirchen an der Baustelle des neuen Kindergartens einen TreffPunkt Gottesdienst unter dem Motto: Baustelle Kirche. Die Mitfeiernden sollten zu den Fürbitten ihre Vision, ihren Bauplan für einer lebenswerte Kirche formulieren. Hier ein paar dieser Hoffnungen, Wünsche und Sehnsüchte:
- Kirche braucht mehr Toleranz, Gemeinschaft und Akzeptanz
- Kirche braucht Gleichberechtigung, Demokratie und Mitbestimmung
- Kirche muss die Laien ernst nehmen
- Wir wünschen uns eine Kirche zum Mitsingen, Mitmachen und Spaß haben
- Kirche muss ganz nah am Menschen sein
- Kirche soll eine Kraftquelle für den Alltag sein
- Kirche ist ein Miteinander von Alt und Jung, Bekannten und Fremden, Einheimischen und Auswärtigen und von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen
Als Kirche vor Ort könnten wir mir diesen Anfragen und Wünschen nun natürlich ganz ähnlich verfahren, wie der dritte Diener es mit seinem Talent macht. Wir können diese Liste erst mal sicher verwahren und archivieren – auf gut Deutsch vergraben. Falls dann doch einmal ein durchreisender Bischof, ein Würdenträger aus Rom oder gar der Herr der Kirche persönlich vorbeikommen sollte, dann können wir die Liste ja schnell wieder ausgraben und sie ihm ängstlich hinhalten.
Oder wir verstehen sie als Auftrag, als To-do-Liste für uns als Kirche hier vor Ort. Vielleicht fangen wir einfach mal oben an und schauen, wie weit wir kommen – bis Er kommt.
Ihr Harald Petersen