Lieber Solidarkreis,
nachdem ich eine sehr schöne, aber leider auch traurige Abschiedsparty hinter mir hatte, ist mir immer mehr bewusst geworden, dass meine große Reise in die weite Welt bald losgehen wird. So war es dann auch und bis ich mich versah, saß ich schon im Flieger auf dem Weg in mein neues Leben.
Den Start in dieses hat mir eine Freiwillige des letzten Jahres sehr erleichtert, als sie mich mit einer deutschsprachigen Freundin und deren Auto bereits am Flughafen in Foz do Iguazu erwartete. Sie war es auch, die mir die ersten Informationen zur argentinischen Sprach- und Lebensweise gab, mich für eine Nacht ganz selbstverständlich in ihrer Wohnung einquartierte und mich am nächsten Tag sicher in meine Einsatzstelle nach Puerto Rico brachte. Dort wurde ich herzlich von unserem Chef und Leiter des Kinderdorfes, Raimundo, begrüßt und den Hausmüttern, sowie den Kindern vorgestellt. Am nächsten Tag begann dann endlich mein erster Arbeitstag. Meine gemischten Gefühle waren wie weggefegt, als mich die ersten Kinder mit einem freudigen Lachen und offenen Armen entgegen stürmten und fragten, ob ich denn in ihrem Haus essen werde. Da ich am Anfang noch nicht viel verstanden habe und wir uns mehr mit Händen und Füßen unterhielten als mit Worten, hieß es oft, es gäbe gerade keine Arbeit für uns Freiwillige.
Mittlerweile hat sich aber ein gewisser Alltag eingespielt und meine Mitfreiwillige, Mitbewohnerin und Mitarbeiterin und ich haben mehr oder weniger feste Aufgaben, wie Hausaufgabenbetreuung am Morgen, Kinder in den Kindergarten oder in die Schule bringen, sie zum Zahnarzt oder zum Taek-won-do zu begleiten. Die restliche Zeit verbringen wir mit den verschiedensten Aktivitäten im großen Gelände des Kinderdorfes. Gegen sieben geht die Sonne plötzlich unter und der Garten leert sich allmählich, nun haben wir Feierabend, kümmern uns um unseren eigenen Haushalt oder gehen an das Ufer des Río Paranà und schauen nach Paraguay hinüber.
Auf dem Gelände des „Hogar Jesús Nino“ gibt es so etwas wie Neid, Streit oder Eifersucht scheinbar nicht. Doch schaut man genauer hinter die Kulissen, sieht man die „Kleinen“ doch das ein oder andere Mal um die Spielsachen kämpfen. Trotzdem bin ich sehr beeindruckt von diesem großen Miteinander und auch ein wenig stolz, dass ich mittlerweile schon ein Teil von dieser großen Familie werden durfte. Die Großen spielen mit den Kleinen, die Kleinen lassen sich gerne etwas von den Großen zeigen, alle unterstützen ihre Tías und wir Freiwillige helfen, wo Not am Mann ist.
Es gibt vier Häuser. In drei von ihnen wohnen je 8-9 Kinder mit ihrer Hausmutter, im Vierten die Freiwilligen, da das MaZ-Haus gerade aufgrund seines sehr schlechten Zustandes abgerissen wurde. Das ist auch der Grund, warum unser Haus sehr groß ist. Normalerweise benützen sieben Kinder und eine Tía die insgesamt drei Bäder, drei Schlafräume und die große Küche.
Wichtig ist für uns auch die hauseigene Bäckerei geworden, von der wir drei Mal in der Woche frische, noch warme Semmeln bekommen. Die Kinder müssen sich wohl wie in einem Paradies fühlen, haben sie hier doch einen riesen Spielplatz als Garten und immer jemanden um sich rum, der ihn mit ihnen nutzt. Um so mehr tut es mir im Herzen weh, die kaputten Schaukeln, die zerbrochene Rutsche und die ständig rausspringenden Fahrradketten zu sehen, aber nichts dagegen tun zu können.
Puerto Rico ist eine Stadt, in der es von extremer Armut bis zu den nobelsten Villen alles gibt. Man bekommt hier wirklich alles, was man zum Leben braucht und fühlt sich auch mit Handy, Fotoapparat und viel Geld in der Tasche noch sicher. Natürlich fallen wir auf, aber das liegt wohl eher an der Tatsache, dass wir lautstark in einer so komischen Sprache kommunizieren und das teure Obst kiloweise kaufen. Blonde Haare begegnen einem sehr oft und nicht selten antworten einem die Kassiererinnen im Supermarkt oder die Eisverkäufer auf Deutsch. Diese Bruchstücke haben sie meist von ihren eingewanderten Großeltern aufgeschnappt und wenden sie bei jeder Gelegenheit sehr stolz an.
Was wirklich von der deutschen Kultur hier übrig geblieben ist, durften wir auf der „Fiesta Nacional del Inmigrante“ in Oberà bestaunen. Erschüttert stellten wir fest, dass das eine komplett Verdrehte ist. „Lieber Bier im Bauch, als Wasser im Kopf“ war der Begrüßungsspruch unter dem „Biergarten“-Schild. Schweinebraten mit Kartoffeln, Gurken und Rotkohl wurden von Kellnern in selbstgenähten Stoff-Lederhosen und runden Hüten serviert. Wir haben uns ohne Kommentar umgedreht und sind wieder gegangen. Ich konnte die Darstellungen danach nicht mehr richtig ernstnehmen, da mir auch die anderen Nationen, ohne ihre Kultur selbst zu kennen, nicht mehr authentisch vorgekommen sind. Ein schöner Ausflug war es dennoch.
Die nächste Aufgabe wird es nun wohl sein, den sehr eigenen Dialekt der „Misioneros“ zu vertiefen und endlich einmal einen Ausflug zu den Wasserfällen nach Iguazu zu machen. Aber hier fängt gerade erst der Frühling an, so werden wir sicher noch viele schöne, sonnige Tage dazu finden.
Liebe Grüße von der anderen Seite der Welt,
Andrea
Fiesta Nacional del Inmigrante
Meine Mitfreiwillige und ich