Die in ihrer Gesamthöhe von vierzehn Metern portalgleich zu öffnende Südfassade bildet, wenn sich die Tore hydraulisch zur Seite bewegen, eine faszinierende Geste der Einladung. Dies ist die zweite Botschaft der Tore von Herz Jesu. Offenheit ist angesagt, Empfang und Willkommen. Katholizität in seiner reinsten Form, nämlich allumfassende Aufnahmebereitschaft gegenüber allen, die in Christus den Weg, die Wahrheit und das Leben suchen, wird signalisiert. Die Scheu, es könnten sich auch Nichtrechtgläubige angezogen fühlen, beschleicht nach wie vor manchen. Es bleibt zu hoffen, daß sie sich eines Tages legt. Zugegeben: In der Phase des unkontrollierten Andrangs kurz nach der Weihe wurde mir als Pfarrer zuweilen schwindlig angesichts der neugierig anstürmenden Besuchermassen. Erleichterndes Aufatmen nach den ersten Monaten, daß es der Kirche nichts anhaben konnte.
Die Offenheit signalisierenden Tore bIeiben ein ständiges Postulat an die sich hier zur Feier des Gottesdienstes einfindende Gemeinde: Ist sie wirklich so offen, wie es die Tore signalisieren? Sind tatsächlich alle willkommen oder fühlt man sich nur wohl, wenn man unter sich ist? Bewegt man sich in einem geschlossenem Milieu, das sich katholisch nennt, oder tut sich ein Zugang auf für jene, die fremdartig wirkenden Erlebniswelten angehören? Ist die Sprache der Liturgie allgemeinverständlich oder nur einem beschränkten Insiderkreis geläufig? Mit welchen Haltungen und mit welchem Gesichtsausdruck begegnen in dieser Kirche die Mitglieder der Kerngemeinde den Neuankömmlingen und Fremden? „Hier mögen die Armen Barmherzigkeit finden, die Bedrückten Freiheit und jeder Mensch die Würde deiner Kindschaft“ - so betet der Bischof im Weihegebet der Kirche. „Das große Tor weist mit seinen geöffneten Flügeln auf die am Kreuz weit ausgebreiteten Arme hin, mit denen der Herr uns alle umfangen will. Unser Kirchenbau markiert zwar einen klar umrissenen heiligen Raum; aber die Kirche lebt nicht im Ghetto, sie steht offen für alle. ‘Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt: Ich werde euch Ruhe verschaffen’ (Mt 11,28).“
Je nach Sonnenstand und Lichteinfall hebt sich auf den Portalen schwach sichtbar ein monumentales Kreuz ab. Diesem korrespondiert hinter dem Altarbereich ein zweites Kreuz. Wie das erstere ist auch dieses - zumindest bei Tageslicht - erst auf den zweiten Blick wahrnehmbar. Das äußere Portalkreuz steht unter dem Vorzeichen der Passion; das Kreuz hinter dem Altar, hell leuchtend und gewebt in zwei Schichten aus tausenden von goldfarbenen Tombakstäben, symbolisiert die Auferstehung. Es ist ein Werk des Künstlerehepaares Susanne und Berhard Lutzenberger. Ihr Motiv war es, den Glanz und die Herrlichkeit des Osterlichtes aufscheinen zu lassen. In wievielen Kirchen, ganz gleich aus welcher Bauzeit, „ist nicht die Auferstehung Christi, derentwegen wir den Sonntag feiern, völlig von Heiligen- und Passionsbildern verdeckt?“
4 In der neuen Herz-Jesu-Kirche sind Passion und Auferstehung unübersehbar deutlich akzentuiert. Mit den Doppelkreuzen auf Portal und Altarrückwand spannt sich somit über die Architektur dieser Kirche der Bogen des zentralen christlichen Glaubensmysteriums, das die Liturgie der Eucharistiefeier in den Antwortruf der Gemeinde kleidet: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Was die Theologie als Herzstück christlichen Bekenntnisses von aller Anfang an (vgl. 1 Kor 15, 3-5) festgehalten hat, nämlich: gelitten - gestorben - begraben - auferstanden, wird in der neuen Herz-Jesu-Kirche architektonisch und künstlerisch eins zu eins umgesetzt.
Weiterer Part dieser theologischen Linienführung sind die Orte der Verehrung der fünf Wundmale Christi. An fünf verschiedenen Stellen in den Kirchenboden eingelassen sind tiefe Kammern mit quadratischen Öffnungen. Der Betrachter blickt durch ein kleines in den Boden eingefaßtes Sichtfenster nach unten in das von hellem Licht erleuchtete Innere der Kammern. Je eine Glasplatte mit einem Motiv der fünf Wunden Jesu, senkrecht eingestellt, zeigt sich dem Betrachter. Viermal handelt es sich um das Nagelwundenmotiv (links und rechts vor der ersten Stuhlreihe im Altarbereich die Handwunden; zwei weitere enger beieinander liegend unter der Orgelempore die Fußwunden), einmal um das Herz-Jesu-Motiv (an zentraler Stelle im Mittelgang). Zusammengesehen ergibt sich eine abstrakte Kreuzform, die sich allerdings nicht genau dem symmetrischen Grundriß des Kirchenbodens anpaßt, sondern sich zu diesem leicht verschoben verhält.
Die leicht farbigen Bilder sind hochgerastert im Siebdruckverfahren auf die Glasscheiben gebracht. Die Motivwahl orientiert sich an der Bildtradition der fünf Wunden des Herrn, überträgt diese jedoch in eine sukzessiv lesbare Folge. Die einzelnen Handlungen (Nagel ansetzen, Nagel einschlagen, eingeschlagener Nagel, Wunde) sind in nacheinander gereihter Folge dargestellt. Merkmale heutiger Darstellungsweisen, namentlich der filmischen, standen dabei Pate. Die Einlasssung der Motive in den Boden nimmt auf modifizierte Art die Traditionen von Krypta und Grundsteinlegung auf. Geschaffen wurden diese Orte der Wundenverehrung von dem Künstlerduo M+M (Marc Weiss und Martin de Mattia).