Das Gelübde und die "Gründungsurkunde" des Passionsspiels Warum die Oberammergauer immer wieder neu von Gott erzählen

Gelübdeerneuerung 2018
2018 erneuerten die Oberammergauer Bürger ihr einst gegebenes Gelübde mit Gott.
Das Oberammergauer Passionsspiel geht auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633 zurück: Damals gelobten die Oberammergauer angesichts einer schweren Pestepidemie, alle zehn Jahre „das Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Jeweils rund ein- bis eineinhalb Jahre vor dem Spiel erneuern die Bürgerinnen und Bürger Oberammergaus dieses Versprechen. 
„Eingedenk des Gelübdes und getreu dem Verspruch unserer Vorfahren, führt Oberammergau im Jahre … das Passionsspiel auf.“ Mit diesen Worten erneuern die Bürgerinnen und Bürger Oberammergaus jeweils rund ein- bis eineinhalb Jahre vor dem Spiel das Versprechen zur Aufführung der Passion. Ein Versprechen, das zurückgeht auf ein Gelübde aus dem Jahr 1633.
Damals, mitten in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges, wütete die Pest in weiten Teilen Bayerns, so auch in Oberammergau. Die um 1730 entstandene, aber leider verschollene Dorfchronik berichtet darüber: „In diesen Leydweßen sind die Gemeinds-Leuthe Sechs und Zwölf zusammen gekommen, und haben die Pasions-Tragedie alle 10 Jahre zu halten Verlobet, und von dieser Zeit an ist kein einziger Mensch mehr gestorben.“ Der genaue Wortlaut dieses Gelübdes, das wohl auf Oktober 1633 zu datieren ist, ist nicht erhalten.
Das einzige historische Dokument, das damit in Beziehung steht und die Angaben der Chronik untermauert, ist das Sterbebuch der Pfarrei, in dem von September 1632 bis Oktober 1633 über 80 Seuchentote namentlich aufgeführt sind. Diese sogenannte Pestmatrikel kann daher als „Gründungsurkunde“ des Oberammergauer Passionsspiels gelten, weil sie als einzige erhaltene Quelle indirekt über den Ursprung der Passionsspiele Auskunft gibt.
 

Das Gelübdekreuz in der Pfarrkirche

Passionskreuz Oberammergau
Das Gelübdekreuz in der Pfarrkirche Oberammergau
Als weiterer stummer Zeuge für das Passionsspiel-Gelübde gilt ein großes Holzkreuz in der Oberammergauer Pfarrkirche: das so genannte Gelübdekreuz am Kreuzaltar. Der Tradition nach ist es jenes Kreuz, vor dem die Oberammergauer damals gelobt haben, alle zehn Jahre das „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ aufzuführen. Ursprünglich stand es wohl auf dem Friedhof neben der Kirche, wo das Passionsspiel bis einschließlich 1820 stattfand.

Die Oberammergauer haben ihr Gelübde bereits 1634 erstmals eingelöst und dies bis auf den heutigen Tag durchgehalten – mit einer einzigartigen Konsequenz. Nur zweimal in seiner fast 400-jährigen Geschichte hat das Passionsspiel, das seit 1680 immer im vollen Zehnerjahr aufgeführt wird, nicht stattgefunden. Und zwar jeweils aufgrund der äußeren Gegebenheiten: 1770 fiel es einem staatlichen Generalverbot zum Opfer und 1940 dem Zweiten Weltkrieg.

Allen anderen Widerständen verstanden die Oberammergauer zu trotzen: 1780 gelang es ihnen, eine Sondergenehmigung zu erwirken, die für 1770 noch abgelehnt worden war. Als ihnen dieses Privileg für 1810 entzogen wurde, kämpften sie weiter und durften „den“ Passion, wie man in Oberammergau sagt, ein Jahr später doch noch aufführen. 1920, als die Folgen des Ersten Weltkriegs eine Aufführung unmöglich machten, fiel sie nicht einfach aus, sondern wurde auf das Jahr 1922 verschoben.
 

Die Zeiten haben sich geändert

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert: Aktuell gibt es jeweils rund 100 Aufführungen vor ausverkauftem Haus. Auch in finanzieller Hinsicht ist das Passionsspiel, für das die Bürger Oberammergaus in früheren Zeiten noch selbst zur Kasse gebeten wurden, durchaus lukrativ. Dennoch treibt viele Mitwirkende noch immer jenes Gelübde aus dem Jahr 1633 an: „Wir müssen doch das Gelübde erfüllen“, so ist immer wieder zu hören.

Das Gelübde - ein Versprechen gegenüber Gott

Ein Gelübde ist ein Versprechen gegenüber Gott. Und Versprechen geben wir Menschen immer wieder. Das können die kleinen des täglichen Lebens sein, aber auch solche, die weiterreichende Konsequenzen haben. Wie das Ehe-Versprechen. Wenn dann, nachdem das Erbetene in Erfüllung gegangen ist, das für diesen Fall Versprochene eingelöst wird, ist das nicht einfach die Gegenleistung, sondern ein dankbar-lobendes Bekenntnis. Die Bürger Oberammergaus priesen mit der Aufführung des Passionsspiel nach der Pest jenen Gott, von dem sie Hilfe erfahren hatten, und bekannten sich öffentlich zu ihm.
 

Ausdruck der Glaubensüberzeugung der Oberammergauer

Oberammergau
Die Darstellung zeigt die Abgabe eines Eheversprechens im Trauungsbuch der Pfarrei Schönau für die Jahre 1712-1827
(Archiv des Erzbistums München und Freising).
Wenn die Oberammergauer Bürger damals gelobt haben, für den Fall, dass die Pest aufhören sollte, das Passionsspiel aufzuführen, dann drückt sich darin ihre Glaubensüberzeugung aus: Der feste Glaube daran, dass Gott selbst da, wo scheinbar nichts und niemand mehr zu helfen vermag, noch retten kann. 
Das Oberammergauer Passionsspiel führt diesen Gott immer wieder neu vor Augen. Bis zum heutigen Tag. Und das macht durchaus Sinn – angesichts all dessen, was noch immer un-heil ist in dieser Welt und dem Leben eines jeden Einzelnen.
Verpflichtet sind die Bürgerinnen und Bürger Oberammergaus zwar nicht, das Versprechen ihrer Vorfahren auch nach fast 400 Jahren immer wieder neu einzulösen und damit lebendig zu halten. Denn ein Gelübde ist stets nur für den bindend, der es abgelegt hat. Gleichwohl können die Nachfahren sein Gelübde übernehmen, sie können es sich zu eigen machen und sich in die Spur dieses Gelübdes stellen. Und genau das tun die Oberammer - gauer im Akt der sogenannten Gelübdeerneuerung. Freilich drücken sie mit der Erfüllung dieses erneuerten Gelübdes dann nicht allein ihren Dank und Lobpreis Gottes für die Rettung aus der Pestnot anno 1633 aus. Wenn sie das Gelübde ihrer Vorväter immer wieder neu aufgreifen und es übernehmen, dann vor allem deshalb, weil sie selbst auch immer wieder ganz ähnliche Erfahrungen machen können wie ihre Vorfahren damals. Denn durch alle Zeiten hindurch, auch hier und heute, können Menschen erleben, dass sie, wenn sie sich in einer Notlage Gott anvertrauen, Hilfe, Beistand und Begleitung von ihm erfahren. Ganz so, wie es in Psalm 118,6 heißt:
"
"Der Herr ist bei mir, ich fürchte mich nicht."
Psalm 118,6
Das ist wahrlich ein guter Grund, im „Spiel vom Leiden, Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus“ immer wieder neu von diesem Gott zu erzählen und damit auch Anderen Trost und Halt, Mut und Hoffnung zu schenken.
 

Gelübde-Erneuerung 2018

Die feierliche Gelübdeerneuerung für die Passion 2022 fand bereits am 20. Oktober 2018 im Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes in Oberammergau statt.

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