Eine 13-köpfige Delegation der Erzdiözese München und Freising hat im September 2023 Ecuador besucht. Mit dabei waren Vertreterinnen und Vertreter von Erzbischöflichem Ordinariat, Diözesanrat und Verbänden, Engagierte im Rahmen des internationalen Freiwilligendienstes der Erzdiözese und weitere Kooperationspartner. Sie haben erlebt, wie viel neuen Schwung der Austausch von jungen Freiwilligen dieser Partnerschaft gibt und in welchen Herausforderungen die Erzdiözese in dem Land aktuell unterstützt. Mit vielen Impulsen, aber auch Fragen sind sie von der fast zweiwöchigen Reise zurückgekehrt.
Die diözesane Delegation unter Leitung von Sebastian Bugl (vorne Mitte) und Katharina Vogt (hinten, 3. von rechts) mit Freiwilligenkoordinator Fabián Juca (hinten links) vor dem Kolpinghaus in Quito.
Bettina Spahn, Paola Tarco und Fabián Juca liegen sich gerührt in den Armen. Die katholische Leiterin der Münchner Bahnhofsmission ist mit der Delegation im Partnerland der Erzdiözese München und Freising zu Gast. In Quito, in der modernen Stadtrandkirche Espíritu Santo, gibt es für sie ein bewegendes Wiedersehen mit den zwei Ecuadorianern, die in ihrer Einrichtung mit dem internationalen „Incoming-Programm“ der Erzdiözese ein Freiwilligenjahr absolviert hatten.
„Es ist schön zu sehen, wie sie sich entwickelt haben“, freut sich Spahn. Paola hat nach ihrem Dienst in Deutschland eine Krankenpflegeausbildung absolviert und in Wasserburg eine Stelle gefunden – sie ist nur kurz auf Heimatbesuch. Fabián koordiniert jetzt in Ecuador das Freiwilligenprogramm, er ist angestellt bei der Cooperación Fraterna (Cofra), der dortigen Organisation der Partnerschaft.
Drei Generationen Freiwillige: Bettina Spahn, katholische Leiterin der Münchner Bahnhofsmission (2. von links), mit den ehemaligen und künftigen Freiwilligen der Einrichtung Fabián Juca (von links), Doménica López und Paola Tarco vor dem Aussendungsgottesdienst in der Pfarrei Espiritú Santo in Quito-San Bartolo.
Für ein „Drei-Generationen-Foto“ kommt auch Doménica López dazu, die im Oktober in der Bahnhofsmission anfängt. Gleich wird Padre Xavier Romero sie und die fünf anderen neuen Freiwilligen, viele mit bewegter Vergangenheit, in einem Gottesdienst aussenden. Tränen fließen, als die jungen Menschen bei der Messe von ihren Angehörigen gesegnet werden.
In der ersten Bankreihe sitzen noch etwas zurückhaltend auch die sechs deutschen „Outgoing-Freiwilligen“, die meisten Abiturienten, die erst vor ein paar Tagen in Quito angekommen sind und auf ihren Dienst vorbereitet werden.
Lichtzeichen für die Partnerschaft
Die Gruppe aus der Erzdiözese besucht zwei Einsatzstellen der Freiwilligen aus Deutschland. Pauline Rott zum Beispiel wird in der Lebensmittelbank in Riobamba arbeiten. Die von der Caritas getragene Einrichtung hat während der Pandemie und nach einem verheerenden Erdrutsch 2021 selbst entlegene Dörfer im unwirtlichen Hochland der Sierra mit Lebensmittel-Paketen versorgt. Auch jetzt wird das Angebot für eine kontinuierliche Versorgung weitergeführt.
Im Projekt „Encuentro“ im Amazonas-Gebiet verbringt die Münchnerin Junis Mischung gerade die letzte Woche ihres Auslandsjahres, bevor sie abgelöst wird. 250 Kinder, vor allem aus bedürftigen indigenen Familien, werden in der Schule in Puyo unterrichtet und auch handwerklich ausgebildet. „Wir möchten die Kinder ganzheitlich bilden, um sie aus der Sklaverei der Ignoranz zu führen und ihnen Perspektiven zu eröffnen“, erläutert die umtriebige Projektzuständige, Schwester María Rosario Idareta, in der bildreichen Sprache der Ecuadorianer. Für die junge Freiwillige findet die Dominikanerin nur lobende Worte: „Junis ist immer fleißig und verlässlich, sie erleuchtet uns.“ Die 18-Jährige selbst erzählt begeistert von einem Solidaritätskreis, den sie zuhause für das Projekt aufgebaut hat. Als Dankeschön für ihre Spenden hat sie deren Mitgliedern alle zwei Monate in einem Brief ihre Erlebnisse zusammengefasst.
Die Delegation macht in rund 15 von der Erzdiözese geförderten Initiativen Station und erfährt dort nicht nur die überschwängliche ecuadorianische Gastfreundschaft, sondern auch, wie die Partnerschaft vom Regenwald bis zum Andenhochland mit Leben gefüllt wird. Wie etwa bei den Uru Warmi in Canelos: Zwölf Frauen der Kichwa-Nationalität haben sich dort mitten in der üppigen Natur des Amazonasgebiets zu einer Werkstattgemeinschaft zusammengeschlossen und vermarkten ihre handgefertigten Töpferwaren. Der Name des Projekts ist sinnbildlich für vieles, das die Reisegruppe unterwegs erlebt: „Uru Warmi, die Spinnenfrauen, haben wir uns genannt. Denn wie die Spinne wieder von vorne anfängt, wenn ihr Netz zerstört wird, lassen auch wir uns nicht entmutigen", sagt Ligia Inmunda, Präsidentin der Gemeinschaft. Auch als eines ihrer Werkstattgebäude durch Brandstiftung zerstört wird und sie es mit Mitteln aus der Partnerschaft mit der Erzdiözese München und Freising wieder aufbauen.
Mitglieder der Delegation und ehemalige ecuadorianische Freiwillige pflanzen im ökologischen Lehrpark "Laudato sí" in Puyo Mandarinen- und Orangenbäume.
„Bewusstsein und Widerstand schaffen“
Im ökologischen Lehrpark „Laudato sí“ des Vikariats Puyo. Projektmitarbeiter Rodrigo Nogales leistet viel Aufklärungsarbeit bei den Einheimischen. Er möchte „Bewusstsein und Widerstand“ schaffen, damit sie sich nicht von den internationalen Erdölfirmen betrügen lassen, die mit Gewinnen locken und verbrannte Erde hinterlassen, sondern Kooperationen für einen möglichst schonenden Erdölabbau eingehen.
In der Sierra erfährt die Delegation, wie die örtliche Kolpingsfamilie Tabialpamba ein System von Gemeinschaftskrediten aufgebaut hat, damit die indigenen Gemeinden unabhängiger von Banken und Großmärkten nachhaltig wirtschaften können. In Pujilí wird die Gruppe von einer Blaskapelle für einen spontanen Programmpunkt überrascht: Reiseleiter Bugl eröffnet mit Geovanni Paz, Bischof von Latacunga, von der Erzdiözese mitfinanzierte Katecheseräume und einen Laden für ökologische Produkte, der nach der Enzyklika „Fratelli tutti“ benannt ist. Anschließend wird bis in den Abend ausgelassen auf den Straßen gefeiert.
Die Delegation wolle sich nach der Pandemie einen Überblick über die aktuelle Lage verschaffen und neue Impulse gewinnen, um die mehr als 60 Jahre alte Partnerschaft innovativ zu gestalten, erklärt Sebastian Bugl. Der Verantwortliche für die Abteilung Weltkirche im Ordinariat München leitet die Reise mit Katharina Vogt, Mitglied des Vorstands und der Partnerschaftsgruppe Ecuador des Diözesanrats sowie des diözesanen Partnerschaftsrats. Erstmals besuchen sie das Land mit einer so vielfältigen Gruppe, in der die Jugendverbände ebenso vertreten sind wie Akteure im Kontext des Freiwilligendienstes, darunter zum Beispiel auch der Gastvater einer ecuadorianischen Freiwilligen, der so deren Familie und Umfeld kennen lernen konnte.
Zunehmende Gewalt und fehlende Perspektiven
Bei einem Workshop in Quito tauscht sich die Delegation mit Kooperationspartnern aus, moderiert von Markus Linsler, Koordinator der Cofra und Mitorganisator der Reise. Just während der Gespräche bekommt Oscar Parada, Projektverantwortlicher der Diözese San Jacinto an der Küste, eine E-Mail mit einer Schutzgeldforderung für ein Vorhaben in Durán, bei dem Häuser für wohnungslose Familien errichtet werden sollten. Parada entscheidet schnell, das Projekt muss sofort gestoppt werden: „Te matan – die bringen dich um“, mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen. Er müsse nun andere Wege suchen, zum Beispiel mit den Familien zu sprechen, die in die Häuser hätten einziehen sollen. Er hofft, dass sie die Strippenzieher kennen und diese von ihrem Vorhaben abbringen können.
Die deutschen Gäste erfahren so hautnah von der Lage im Land: Angesichts eines wenig präsenten und korrupten Staatsapparats fassen dort vermehrt kriminelle Strukturen Fuß. Vom neuen Ausmaß der Gewalt berichten auch viele ehemalige ecuadorianische Freiwillige, ebenso von fehlenden Perspektiven für junge Menschen am Arbeitsmarkt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass viele von ihnen nach dem Freiwilligenjahr versuchen, sich in Deutschland eine Zukunft aufzubauen.
Juan Andrés Ramírez (hinten, 5. von rechts) und seine Familie stellen der Delegation in Riobamba das selbstgebaute fahrbare Studio vor, mit dem der ecuadorianische Laienrat CNL Social-Media-Videos produziert.
„Die Kirche genießt großes Vertrauen in der Bevölkerung, so können wir bei Konflikten vermitteln und bei Notlagen vor Ort sein“, erläutert Eduardo Castillo, Erzbischof von Portoviejo und Partnerschaftsbischof in Ecuador, wo der Katholikenanteil in der Bevölkerung bei 70 Prozent liegt. Die Partnerschaft bezeichnet er in ihrer ganzen Bandbreite als „großen Schatz, mit dem zwei auch weit voneinander entfernte Kirchen im Dienst am Menschen gemeinsam wirksam werden“.
Juan Andrés Ramírez, der findige Präsident des Laienrates Consejo Nacional de Laicos (CNL), setzt dabei auf die Digitalisierung. Er regt die Laien an, über Social Media Bildungsarbeit zu leisten, etwa mit Videos zu sozialethischen und ökologischen Themen. Dazu hat er einen Anhänger zu einem fahrbaren Studio ausgebaut, auf dessen Dach Filme gedreht werden können. Auch Mitglieder der Delegation stellen sich gleich begeistert vor die Kamera. Die Partnerschaft unterstützt Ramírez mit Tablets und Mikrofonen für die Medienarbeit in den Diözesen.
Das Netz weiterspinnen
„Wichtig ist uns, dass die Ideen von den Menschen vor Ort kommen – wir helfen ihnen nur dabei, sie umzusetzen“, betont Katharina Vogt. „Nur, wenn alle mitdenken, können wir das Netz weiterspinnen und nach vorne bringen“, damit meint sie auch die beteiligten Gremien in der Erzdiözese.
Dass Vernetzung nicht immer einfach ist, stellen die Vertreter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) fest. Sie hatten vor, ihre Kontakte zur ecuadorianischen Jugendorganisation Pastoral Juvenil Nacional (PJN) aufzufrischen. „Aber nach der Pandemie gibt es hier auf nationaler Ebene keine Ansprechpartner mehr“, so der Befund von BDKJ-Diözesanvorsitzenden Matthias Stiftinger. Der BDKJ wolle dies weiter sondieren und: „Wir könnten die Freiwilligen stärker in unsere Arbeit einbinden, da geht uns noch viel verloren.“
Erzbischof Eduardo Castillo (links), in der ecuadorianischen Bischofskonferenz für die Partnerschaft zuständig, berichtet beim Workshop in Quito von der aktuellen Lage im Land und tauscht sich mit den Teilnehmenden aus Deutschland und ganz Ecuador aus.
Gab es in Ecuador auf die sechs Freiwilligenstellen 100 Bewerbungen, ist es in Deutschland mittlerweile schwierig, überhaupt Interessenten zu finden. „Die Frage ist, wie wir die Partnerschaft mehr Menschen zugänglich machen können“, sagt Sebastian Bugl. Er ist überzeugt: „Eine solche Partnerschaft ist nichts Exotisches, aus der Zeit Gefallenes. Wir haben hier die Enzykliken ,Laudato sí‘ und ,Fratelli Tutti‘ von Papst Franziskus in Lebendig erlebt. Dies ist eine wichtige Botschaft auch für unsere Kirche in München und eine starke Motivation, diese Freundschaft weiterzuführen.“
Die Erzdiözese fördert die Projekte der Partnerschaft jährlich mit rund 1,8 Millionen Euro. In der Delegation wird rege diskutiert, ob durch diese finanzielle Abhängigkeit – trotz allem Bemühen um einen kultursensiblen Ansatz frei von post-kolonialistischem Denken – wirklich eine Beziehung auf Augenhöhe gestaltet werden kann.
Joseph Mörtl hat dazu eine klare Meinung. Der junge Mann hat selbst ein Freiwilligenjahr in Bolivien absolviert und hilft heute ehrenamtlich bei der Begleitung der deutschen Freiwilligen. „Wenn Geld fließt, wird die Partnerschaft immer asymmetrisch bleiben. Aber spielt das eine Rolle?“, fragt er. „Hier sind Menschen, denen wir wichtig sind, Menschen mit einer tief verwurzelten Religiosität. Darauf sollten wir uns ganz einlassen und ihnen auf dieser Basis begegnen.“ Bettina Spahn aus der Bahnhofsmission ergänzt: „Was ich mitnehme, ist diese Herzenswärme, dieses miteinander Unterwegssein, sich zu unterstützen, auch als Kirche. Da habe ich hier viel gelernt.“
Bildergalerie: Begegnungen mit den Freiwilligen
Bildergalerie: Die Delegation unterwegs nach Ecuador und in der Hauptstadt Quito
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