Dorothea Pflügler engagiert sich als Freiwillige im Altenheim. Im Gespräch verrät sie, was ihr das Ehrenamt bedeutet. Und wozu Computerspiele gut sein können.
Wer sich für Menschen im Heim engagiert, bekommt ganz viel zurück – davon ist Dorothea Pflügler überzeugt
Wie „die Jungfrau zum Kinde“ – so sei sie zu ihrem Ehrenamt gekommen, sagt Dorothea Pflügler. Bei diesem Vergleich muss sie lachen, ansteckend und herzlich. Offen ist ihr Blick aus grau-braunen Augen, fest der Händedruck. Auf Anfang 70 würde man sie schätzen, tatsächlich ist sie 80 Jahre alt.
Dorothea Pflüglers Ehrenamt ist ein Besuchsdienst im Haus St. Nikolaus, einem Altenheim der Caritas im Münchner Stadtteil Schwabing. Gegenüber dem dreistöckigen Gebäude wachsen dicht die herbstbelaubten Bäume des Englischen Gartens, die U-Bahn Münchner Freiheit ist gute zehn Minuten zu Fuß entfernt. Seit 15 Jahren macht sich Dorothea Pflügler Woche für Woche dorthin auf den Weg. Ursprünglich, um ihre Schwester zu besuchen, die als Bewohnerin in St. Nikolaus lebte. „Aber wenn ich zu meiner Schwester gekommen bin“, erzählt sie, „haben die anderen Bewohnerinnen und Bewohner auch schon auf mich gewartet.“ Denn für jeden hatte sie ein freundliches Wort, packte mit an, wenn ein Rollstuhlfahrer Unterstützung brauchte, oder half den Pflegekräften dabei, Essen anzureichen. Ihre Schwester sei da schon manchmal eifersüchtig gewesen. Als diese 2014 starb, sagt Dorothea Pflügler, sei sie einfach „hängengeblieben“ im Haus St. Nikolaus und „reingerutscht“ in dieses Ehrenamt.
Die Kümmerin von St. Nikolaus
Ihre Aufgaben in diesem Ehrenamt sind vielfältig: Sie ist ansprechbar für die Bewohnerinnen und Bewohner, hört zu und redet. In der Cafeteria reicht sie Getränke und Essen an, achtet darauf, dass sich alle wohlfühlen. Und sie bringt Menschen, die im Rollstuhl sitzen, in die Kapelle. Jeden Mittwoch wird in dem mit viel warmem Weiß, Holz und Gold gestaltetem Raum Gottesdienst gefeiert. Dorothea Pflügler sorgt dafür, dass die Rollstuhlfahrer:innen einen guten Platz bekommen und bequem sitzen können, und wenn mal jemandem die Nase läuft, hat sie ein Taschentuch parat.
Dorothea Pflügler (l.) und Sigrid Albrecht in der Kapelle des Hauses St. Nikolaus
Auch Lektorin und Kommunionhelferin ist Dorothea Pflügler. Die Kommunion teilt sie gerne aus, aber die Lesung überlässt sie Sigrid Albrecht. Die Pastoralreferentin arbeitet als Seelsorgerin im Haus St. Nikolaus. „Die Kapelle ist die gemeinsame Wirkungsstätte von Frau Pflügler und mir“, sagt sie. Albrecht ist froh über die ehrenamtliche Hilfe, denn sie ist nötiger denn je: Viele Menschen kommen erst ins Heim, wenn es zuhause wegen zunehmender körperlicher und geistiger Einschränkungen gar nicht mehr geht. Entsprechend hoch ist der Unterstützungsbedarf.
Grenzen ziehen und die eigene Rolle finden
Hohes Alter und Krankheiten, Sterben und Tod – wie kommt Dorothea Pflügler als Ehrenamtliche damit zurecht? Heimleitung und Pflegepersonal sind eine große Stütze, betont sie. Im Haus gibt es eine eigene Ansprechpartnerin für die Ehrenamtlichen. Regelmäßig trifft man sich, tauscht sich aus und bespricht auch problematische Situationen. Zusätzliches Hintergrundwissen und Ermutigung habe sie in Kursen des Christophorus Hospiz Vereins und des Evangelischen Bildungswerks erfahren.
Früher, als ihre Schwester noch gelebt hat, musste sie daheim erst mal eine Runde am Computer spielen, um runterzukommen und abzuschalten. Aber mittlerweile könne sie sich gut abgrenzen. Obwohl – manches gehe ihr dann doch nahe. Zum Beispiel die Geschichte eines über 100-jährigen Bewohners. Bei einem ihrer Besuche erzählte er ihr, dass seine Frau kurz nach dem Krieg Zwillinge zur Welt gebracht hatte. Eines der beiden Kinder starb kurz nach der Geburt, das andere wenige Wochen später. „Als er sich daran erinnerte, hat er bitterlich geweint. Das hat mir so leid getan“, sagt Dorothea Pflügler. In ihren Augen schimmern Tränen.
Ja, bestätigt Pastoralreferentin Sigrid Albrecht, das gebe es gar nicht so selten, dass im hohen Alter scheinbar längst Vergangenes wieder hochkomme: „Die Generation der Bewohnerinnen und Bewohner war in der Nachkriegszeit vor allem mit Überleben und Wiederaufbau beschäftigt.“ Vieles sei dabei zu kurz gekommen, vor allem die Trauerarbeit. „Wie gut, dass jetzt jemand wie Frau Pflügler da ist zum Zuhören.“
Ehrenamt als Gewinn
Es wäre schön, sagt Dorothea Pflügler, wenn sich noch mehr Menschen ehrenamtlich im Heim engagieren würden. Das bringe einerseits Abwechslung ins Leben der vielen Alleingelassenen, andererseits profitiere man selbst auch davon: „Es ist sehr befriedigend. Man gibt etwas, die Leute freuen sich, und das macht mich wiederum froh.“ Ein wechselseitiges Geben und Nehmen.
Außerdem sei es gut, eine Aufgabe zu haben. „Wenn ich nichts zu tun hätte, würde ich in den Tag hineinleben, ohne Ziel.“
Mit ihrem Leben, ihrer Gesundheit, mit ihrer Ehe sei sie zufrieden. „Wenn ich in der Früh aufstehe, bin ich dankbar. Und abends sage ich ebenfalls Danke.“ Wenn man selbst viel Gutes erfahren habe, müsse man auch etwas davon zurückgeben. Dorothea Pflügler zeigt mit dem Finger Richtung Himmel: „Ich hatte immer Hilfe von oben. Es ist immer top gelaufen.“ Sie lacht – ansteckend und herzlich.