Ehepaare – die Interpreten der schöpferischen Liebe Gottes

Aus: Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Beschluss „Christlich gelebte Ehe und Familie“ (2006 -Auszug)


1. Ehe im Verständnis des christlichen Glaubens

1.1 Was macht die Ehe zur christlichen Ehe?

1.1.1. Die christliche Ehe lebt aus dem Glauben an Gott, der sich in Jesus Christus der Welt selbst vorbehaltlos mitgeteilt hat. Diese seine Liebe ist jedem einzelnen und der gesamten Menschheit so zugewandt, dass wir für unser eigenes Leben und für die ganze menschliche Geschichte Hoffnung auf eine Vollendung und Erfüllung haben dürfen, welche alles Vorstellen übersteigt. Die lebendige Gegenwart der in Jesus Christus geschenkten Liebe Gottes zu bezeugen und die in ihr für alle Menschen begründete Hoffnung zu verkünden, ist die eine, alles umgreifende Sendung der Kirche. An ihr hat die Ehe ihren Anteil; denn christliche Ehepartner bezeugen in ihrem gemeinsamen Leben die Liebe Gottes, indem sie durch ihre eigene Liebe und Treue die Liebe Gottes sichtbar machen. „In ihrer Aufgabe, menschliches Leben weiterzugeben“, einer Sendung, die nur ihnen zukommt, sind sie „Interpreten“ der schöpferischen Liebe Gottes. Indem sie in hochherziger menschlicher und christlicher Verantwortung Kindern das Leben schenken, erfüllen sie einen wesentlichen Auftrag der Ehe (GS 50, 2). Die Ehe behält jedoch als Lebensgemeinschaft in gegenseitiger Liebe ihren Wert, auch wenn sie kinderlos bleibt.

1.1.2. Christliche Ehepartner leben ihre auf Glaube, Hoffnung und Liebe begründete Ehe in der Kirche als dem konkreten Ort der Erlösung. Sie werden dort mit der Heilkraft Jesu Christi beschenkt. So dienen sie zugleich dem Aufbau und Auftrag der Kirche; denn sie leben „nicht sich selbst“, sondern „für den Herrn“ (Röm 14,7f.). Das Leben in und mit der christlichen Gemeinde kann zum Gelingen der Ehe beitragen; es soll die Ehepartner zu vertiefter Begegnung befähigen und zu unverbrüchlicher Treue führen. Aber auch die christliche Gemeinde muss durch ihre Solidarität mit den Ehepaaren dazu beitragen, deren Belastungen und Konflikte leichter zu bewältigen.


1.2. Anthropologische Voraussetzungen

1.2.1. Gegenseitige und unbedingte Annahme

1.2.1.1.Der Mensch ist darauf angewiesen, von anderen anerkannt zu werden. Er lebt davon, dass andere ihm bezeugen: Es ist gut, dass es dich gibt. Eine Anerkennung, die den Menschen um seiner selbst willen meint, darf nicht nur auf seine positiven Eigenschaften und Leistungen bauen. Wirklich angenommen ist der Mensch nur dort, wo jemand ihn auch in seiner Hinfälligkeit und Schwäche und mit all den Belastungen annimmt, die ihm im Laufe seines Lebens, mit oder ohne eigene Schuld, zugewachsen sind. Eine solche Annahme ist auch nicht abhängig davon, wie der andere Mensch sich entwickelt oder was ihm widerfährt. Sie gilt für immer. Wo das geschieht, wird die Annahme durch den anderen Menschen eine unbedingte. Lebenslange Aufgabe der Ehepartner ist es, diese unbedingte Annahme umfassend und einzigartig zu verwirklichen. Der Ehe kommt es zu, diese unbedingte Annahme darzustellen.

1.2.1.2. Keine andere Beziehung ergreift den Menschen so tief in seiner leibseelischen Ganzheit. Dies beruht auf der Faszination des einen Menschen durch den anderen, wie sie in der Liebe zwischen Mann und Frau aufflammen kann und ihre Wurzeln in der Begegnung von Personen hat, die sich in ihrer Einmaligkeit entdecken. In der sexuellen Begegnung erlangt die partnerschaftliche Liebe ihren leiblich-sinnlichen Ausdruck. Die Freude am Ehepartner, der Wille, füreinander da und in Treue verbunden zu sein, können in der sexuellen Begegnung so erfahren werden, dass diese zum Vollzug der Liebe selbst wird und die Ehe dadurch immer wieder zu ihrem Sinn findet.


1.2.1.3.Eine wichtige Voraussetzung für die Fähigkeit, einen anderen Menschen so vorbehaltlos anzunehmen, ist die Erfahrung, selbst vom ersten Augenblick menschlichen Daseins an von einem anderen Menschen - vornehmlich der Mutter – angenommen worden zu sein. Erst dadurch wird dem Menschen ein Grundvertrauen geschenkt, kraft dessen er Mut gewinnt, es mit der Welt aufzunehmen und eine ausreichende Kontaktfähigkeit zu entfalten. Auch die Möglichkeit, an den Gott zu glauben, dem man sich in Leben und Tod anzuvertrauen vermag, hängt mit diesen frühesten Erfahrungen zusammen. Die Eltern vermögen aber dem Kind diese Erfahrung um so besser zu vermitteln, als sie sich selbst in gegenseitiger Liebe angenommen wissen und glauben dürfen, von der Liebe Gottes umgriffen zu sein.


1.2.2 Treue

1.2.2.1. Die unbedingte Annahme des anderen Menschen wird existentielle Wirklichkeit in der Treue. Durch sie ist der innerste Wille der Liebe dem Wechsel der Gefühle und der Willkür entzogen. In der Treue gewinnt die Liebe Dauer. Die unbedingte Treue der Gatten wird verlangt durch ihr gegenseitiges Sichschenken in Liebe sowie durch das Wohl ihrer Kinder, die von ihren Eltern ein Leben lang angenommen sein wollen.


1.2.2.2. Diese Liebe in Treue ist vor allem dem möglich, der in der Tiefe seiner Person hoffen kann, dass er selbst wie auch der andere nicht im Tod dem Nichts anheimfallen. Darum lebt solche Liebe immer - selbst wenn sie es nicht weiß - aus der Hoffnung auf Gott. Treue ist eine Frucht der Hoffnung und bringt auch in das Dasein des anderen Menschen die Möglichkeit zur Hoffnung.


1.2.2.3. Für Christen heißt das: In der Bindung bis in den Tod bringt ein Ehegatte die Liebe Christi, von der nichts scheiden kann (Röm 8, 35), in die alltägliche Nähe des Ehepartners. In solcher ein ganzes Leben umspannender Treue zeigt sich die Fülle christlicher Existenz: der Glaube an den Auferstandenen, welcher den Glauben an die Auferweckung des Ehepartners einschließt; die Hoffnung, welche für den anderen hofft, indem sie auf Christus setzt; die Liebe, die am anderen festhält, weil sie ihn in Christi Liebe zu bejahen vermag. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Ehescheidung für Christen unmöglich ist. Jesus sagt: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch gegen sie. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, begeht sie Ehebruch“ (Mk 10,11 f.).


1.3. Ehe als Sakrament 

1.3.1. Viele halten die unbedingte Annahme eines Menschen in der Ehe für eine harte und schwer erfüllbare Forderung. Jesu Gebot zu unverbrüchlicher Treue (Mk 10,11 f.) steht jedoch in Zusammenhang mit seiner Gnadenbotschaft von der Gottesherrschaft. Die Ehe als Lebensform ist nämlich Gabe des Schöpfers. Darin gründet die Kraft für die vorbehaltlose Annahme des anderen und die unbegrenzte Treue bis zum Tod. Jesus wusste, dass diese Schöpfungsgabe durch die Hartherzigkeit der Menschen nicht immer als Geschenk verstanden, ja sogar zurückgewiesen wird. Christus hat nicht allein die ursprüngliche Ordnung der Ehe wiederhergestellt, sondern sie sakramental geheiligt und ihr dadurch eine neue Würde und Weihe gegeben. Durch das Sakrament empfangen die Gatten die Kraft, als christliche Eheleute zu leben. In der Nachfolge Jesu wird durch seine erlösende Gnade Ehe neu als Geschenk des Schöpfers erfahrbar. Die Zuwendung der Ehepartner zueinander steht dann nicht isoliert für sich, vielmehr hat der menschenliebende Gott die Partner verbunden (Mk 10,6-10). Wer sich dem Ruf Jesu zum Glauben geöffnet hat, vermag auch seine Ehe mit der Großmut, die aus dem Glauben an die Nähe und an das Wirken Gottes fließt, zu leben. Der menschliche Lebensbund Ehe ist hineingenommen in den größeren Bund Gottes mit den Menschen, den er in Jesus Christus ein für allemal geöffnet hat. Dieser Bund Gottes mit den Menschen wird durch die Kirche vergegenwärtigt. In ihr ist die Ehe Sakrament und nimmt auf ihre Weise teil am Grundsakrament Kirche. „Die Kirche ist ja in Jesus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1).

1.3.2. Das im Angesicht der Kirche verpflichtend ausgetauschte Ja-Wort zur dauerhaften und ausschließlichen ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen gleichberechtigten Partnern ist das öffentliche Zeichen, mit dem die Ehe eingegangen und als Sakrament der Liebe zwischen Mann und Frau begonnen wird; das gemeinsame Leben selbst soll ein wirkkräftiges Zeichen der einigenden Gnade Christi werden. Dazu empfängt die Ehe bei ihrem Abschluss die Verheißung der unverbrüchlichen Treue Christi und durch die Herabrufung seines Geistes dessen bleibende Gegenwart.

1.3.3. Gläubige Ehepartner erfassen den Bund Gottes mit den Menschen, den er durch Christus und in Christus schenkt, als die Quelle, die auch ihre gegenseitige Liebe ermöglicht und ihre Treue trägt. Aus ihr kann sich der, menschlich gesehen, so zerbrechliche Bund einer Ehe immer wieder erneuern. Gläubige Ehepartner leben nicht nur aus den Reserven ihrer eigenen Großmut, sondern aus der unerschöpflichen Versöhnungskraft des Kreuzes.

1.3.4. Der Blick auf die Gnade Christi gibt Mut, von der Ehe als Sakrament zu sprechen, auch wenn ihre sichtbare Verwirklichung oft hinter Christi Angebot zurückbleibt. Die Gemeinschaft der Kirche muss viel Sorge darauf verwenden, ihren in einer Ehe lebenden Gliedern zu helfen. Sie darf, will sie dem Auftrag ihres Herrn Jesus Christus treu bleiben, keine Ehe scheiden. Sie kann aber auch ihren Blick nicht davor verschließen, dass heute allzu viele ihrer Glieder in der Ehe nach menschlichem Ermessen unheilbar gescheitert sind. Diesen muss die besondere Sorge der Kirche gelten.


1.5. Ehe in Wachstum und Reife

1.5.1. Ehe ist ein Prozess des Miteinanderlebens zweier Partner in Wachstum und Reife, Erprobung und Konflikt.

1.5.2. Jede Ehe steht mehr oder minder unter dem Einfluss der Zeit. Die jeweiligen politischen, sozialen und ökonomischen Verhältnisse wirken auf die Partner und auf ihr gemeinsames Leben ein. Andererseits wirkt jedoch jede Ehe auch wieder in die Gesellschaft hinein. Christlich kann die Ehe, wie das Leben überhaupt, jedoch nur gelebt werden in einer Selbständigkeit des Christen aus einer kritischen Distanz zur Zeit, zu jeder Zeit: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,2). Die christliche Ehe muss in einem als ganzem christlichen Leben breit und tief fundiert sein. Dies ändert in erheblichem Umfang die Bedingungen und mehr noch die Normen und Maßstäbe für die Ehe wie für das Leben überhaupt. Nimmt sie diesen Auftrag ernst, so kann sie mit der Kraft des Glaubens in Liebe und durch Liebe unsere Welt verändern.