In der gegenseitigen Liebe und Treue kommt Gott mitten in der Welt an.

Aus: Die deutschen Bischöfe, Heft 67, Auf dem Weg zum Sakrament der Ehe. Überlegungen zur Trauungspastoral im Wandel, 28.09.2000 - Auszüge


3.3 Der theologische Sinn christlicher Ehe

Die Ehe hat nach katholischem Verständnis einen doppelten heilsgeschichtlichen Sinn: Sie hat ihren Ursprung in der Schöpfung des Menschen als Mann und Frau, die zu Eltern von Kindern werden und im Verhältnis zueinander und zu ihren Kindern die Menschenliebe des Schöpfers spiegeln. Die Ehe ist weiterhin hineingenommen in die Bundesgeschichte Gottes mit seinem Volk, wie sie in den Schriften des Alten und Neuen Testamentes bezeugt ist.

Schon die Schöpfungsaussagen des Alten Testaments betonen die gegenseitige Hinordnung von Mann und Frau (Gen 2,24). Mann und Frau sind als Gottes Ebenbild geschaffen und in ihrer Bezogenheit aufeinander in der Ehe sind sie ein Zeichen der Verwiesenheit eines jeden Menschen auf Gott hin (Gen 1,27). In der Weitergabe des Lebens sind die Eltern Mitwirkende an der Liebe Gottes des Schöpfers und gleichsam "Interpreten dieser Liebe" (Gaudium et spes, 50).

Im Lichte der alttestamentlichen Bundesgeschichte erkennt Israel, dass die intensivsten Erfahrung von Liebe und Leidenschaft, Treue und Hingabe von Mann und Frau in der Ehe zugleich ein Bild sind für die Beziehung Gottes zu seinem Volk. Beim Propheten Jesaja steht eines der tiefsten Worte über die Liebe von Mann und Frau: "Wie der Bräutigam sich freut über die Braut, so freut sich dein Gott über dich" (Jes 62,5). Die größtmögliche Freude von Menschen übereinander, die den Tag der Hochzeit selbst prägt, reicht heran an die Freude Gottes über sein Volk…

Die Todeshingabe Jesu am Kreuz, zeichenhaft vorweggenommen im Abendmahlssaal, stiftet den neuen und ewigen Bund zwischen Gott und den Menschen. In der Liebe, die bis zur letzten Konsequenz ans Kreuz geht, sind alle Abgründe menschlicher Untreue und Lieblosigkeit, wie sie gerade auch die Beziehung von Mann und Frau überschatten, ausgehalten und durchlitten. Entsprechend sieht der Epheserbrief in der von Gott gestifteten ehelichen Gemeinschaft ein Realsymbol der Liebe zwischen dem Bräutigam Christus und seiner Braut, der Kirche: "Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein (Gen 2,24). Dies ist ein tiefes Geheimnis. Ich beziehe es auf Christus und die Kirche" (Eph 5,31-32).

Die "Pastorale Konstitution über die Kirche in der Welt von heute" (II. Vatikanisches Konzil) stellt die Ehe und das Ehesakrament denn auch ganz in den Horizont der Bundes- und Freundschaftszusage Gottes, womit eine rein rechtliche Sicht der Ehe als Institution in einen größeren Zusammenhang aufgehoben ist: - (siehe dort, Gaudium et spes, 48)
In seiner Kirchenkonstitution Lumen gentium stellt das Konzil die Ehe dann auch in einen umfassenden ekklesiologischen Zusammenhang und bezeichnet die Ehe als einen der wesentlichen sakramentalen Grundvollzüge von Kirche: - (siehe dort, Lumen Gentium, 11)
Die Konzilsdokumente verstehen - in einer Weise, die weithin auch ökumenische Anerkennung findet - die Beziehung der christlichen Ehegatten als Möglichkeit und alltäglichen Lebenshorizont, in dem Gottes und Christi Liebe ihnen im Alltag begegnen kann und soll. Christlich gelebte Ehe wird mit anderen Worten zu einem Hinweis, Ereignis und Sakrament der Christusbegegnung und gewinnt damit über ihre rein "weltliche" Aufgabe hinaus eine spirituelle Dimension. Für Ehepartner, die ihre Beziehungsgeschichte bewusst aus dem Glauben an Jesus Christus, in seinem Geist und nach seiner Gesinnung gestalten, wird der gemeinsame Lebensweg ganz konkret zum Weg, auf dem sie Christus nachfolgen, wo sie Gottes Liebe weitergeben, wo seine Treue, die über Tod und Kreuz hinausreicht, im eigenen Alltag zum Tragen kommt, wo der Geist der Versöhnung, den sie in der Taufe empfangen haben, Gestalt annimmt. Jesus macht Mut, das Kommen des Reiches Gottes gerade auch in der Ehe zu bezeugen. Dabei scheut er sich nicht, konkret zu werden: In der ehelichen Vereinigung, wenn die Liebenden "ein Fleisch werden", ist Gottes einendes Zusammenfügen wahrzunehmen. In der gegenseitigen Liebe und Treue und ihren leiblichen Ausdrucksformen von Zärtlichkeit und Sexualität kommt er mit seiner Liebe und Treue an – mitten in dieser Welt. So wird die leidenschaftliche Liebe füreinander zum Zeichen seiner Nähe und das Einswerden zum intimen Ausdruck der befreienden und fruchtbaren Liebe Gottes zu den Menschen.
 
Diese Liebe muss sich im Alltag bewähren: in guten und in bösen Tagen, im tatkräftigen Zusammenhalten, in den kleinen Gesten der Zärtlichkeit, in einer aufmerksamen Gesprächskultur, im beständigen Bemühen um persönliche und gemeinsame Reifung und Weiterentwicklung, in der Bereitschaft zum konstruktiven Handeln in Konflikten, im Ertragen und Verzeihen, in der gemeinsamen Sorge um die Kinder und die Sicherung des Lebensunterhalts und im solidarischen Einsatz für andere. Wird eine Ehe in diesem Geiste gelebt, scheint das neue Bundesverhältnis, das Gott in Jesus stiftet, auf im Lebensbund von Mann und Frau - als Ruf in die Freiheit, als Zeichen der Hoffnung trotz aller menschlichen Unzulänglichkeit. Im Alltag wahrhaftig gelebter Liebe nimmt das gläubige Vertrauen auf Gottes Nähe ganz konkret Gestalt an. Gelebte Liebe wird zum Ort gelebten Glaubens.

Paare, die gemeinsam den Weg des Glaubens gehen, wissen aber auch: Sie verdanken ihre Liebe letztlich nicht sich selbst, sondern Gott. Das Glücken der Liebe ist nicht eine Leistung, die man sich gegenseitig erbringt, sondern für Mann und Frau ein Geschenk jenes Vertrauens, mit dem sie sich gemeinsam in Gott bergen. Christliche Partner verstehen ihr Versprechen, einander zu lieben und zueinander zu stehen, solange sie leben, "als eine ständige Bitte an Gott, ihnen die Kraft zu geben, ihre Liebe im täglichen Leben zu bewahren". Ist ihre Liebe - wie das Konzil sagt - "in die göttliche Liebe aufgenommen", gewinnt sie einen Maßstab - "das Antlitz Christi", das ihrem Leben zugewandt ist. Christus ermöglicht und befreit ihre menschliche Liebe. Darin liegt denn auch die Verheißung christlicher Ehe: Glaubende dürfen darauf vertrauen, dass ihre menschliche Sehnsucht nach Geborgenheit und Erfüllung geborgen ist in Gottes Liebe und in ihr eine Hoffnung hat, die über alle menschliche Hoffnung hinausreicht.

Wenn die theologische Bedeutung menschlicher Ehe in dieser Weite verstanden wird, dann wird die Liebesbeziehung, für die diese Lebensform ja stehen soll, selber zu einem schöpferischen Lebensraum, der in besonderer Weise Gottes Zusage und Verheißung hat. Ehe wird zum leiblich-geistigen Lebensbund, in dem Gott selber als Zeuge, Garant und Partner angerufen ist. Wir sprechen von christlicher Ehe, weil und insofern gläubige Christinnen und Christen bereit sind, ihre Ehe aus der gemeinsamen Vertrauensbeziehung in den Gott Jesu Christi in der Kraft des Heiligen Geistes zu gestalten. Eheliche Gemeinschaft ist und bleibt mit anderen Worten ein Lebensprojekt, das nicht fertig vom Himmel fällt, wenn ein Paar seine definitive Beziehungsentscheidung bei der Trauung öffentlich bekundet. Ehe erfordert die Bereitschaft, ein Leben lang gemeinsam die Beziehung zu gestalten. Das personale Bundesverhältnis, das mehr umfasst als vertraglich gesicherte Rechte und Pflichten, ist von einer inneren Dynamik bestimmt. Die Liebe selbst bewirkt Bewegung und Entwicklung. Sie muss wachsen zwischen den Menschen und wird an Stationen ihres Lebensweges unterschiedlich erfahrbar; es geht um einen Beziehungsprozess, der Zeit braucht.