Die Pfarr- und Wallfahrtskirche Maria Ramersdorf in München ist eine der prominentesten Gnadenstätten im Erzbistum München und Freising und ein Kirchenbau von außerordentlicher historischer wie kunsthistorischer Bedeutung. 2018 konnte nach siebenjähriger, aufwendiger Innenrenovierung der Kirchenraum mit einer seiner Qualität angemessenen, liturgischen Neuausstattung der Münchner Künstlerin Susanne Wagner wiedereröffnet werden.
Zurückgestellt wurde seinerzeit die Neugestaltung der zuletzt vor allem als Schaudepot von Kunstgegenständen genutzten Turmkapelle im Westen der Kirche. Der im Kern spätmittelalterliche, schlichte Raum besitzt eine architektonisch wenig ansprechende Westwand, die durch die Überlagerung heterogenster Gliederungselemente geprägt ist (Großform Spitzbogen, Nische mit zusätzlichem Spitzbogen, querovales Fenster, doppelte Fenstereisen). Da aber ausgerechnet diese Wand aufgrund der achsialen Erschließung der Turmkapelle für die Wahrnehmung im Kirchenraum eine erhebliche Rolle spielt, war ein gestalterisches Konzept notwendig, das eine künstlerisch und inhaltlich überzeugende Antwort auf den Hochaltar mit dem Gnadenbild bildet.
In theologischer wie künstlerischer Ergänzung zum Kirchenraum war eine Gestaltungsform gewünscht, die Licht und Auferstehung als Ziel allen Hoffens sinnfällig macht und zugleich ein deutliches Bekenntnis zur Zeitgenossenschaft als Ausdruck verlebendigten Glaubens darstellt.
Vor diesem Hintergrund entwickelte Susanne Wagner eine gleichermaßen raumhaltige wie raumprägende Komposition. Der bestehende, spitzbogige Wandausschnitt wird mit übereinander geschichteten Aluminiumröhren gleichen Durchmessers aufgefüllt. Variierende Längen der Zylinder formen ein Relief und verleihen der Bildwand skulpturale Qualität. Eine deutlich hervorkragende Röhre dient der Ablage für das Anliegenbuch. Die Zylinder sind vorne bündig mit farbigen Glasscheiben geschlossen. 16 der insgesamt 161 Scheiben treten durch Anrufungen und zugehörige Symbole hervor. Die Worte wurden von der Pfarrei erarbeitet, die Bilder in teilweisem Bezug auf historische Vorbilder im Kirchenraum durch die Künstlerin neu adaptiert. In Ton modelliert und farbigem Glas gegossen, spielen die Scheiben auf traditionelle Wallfahrtsmedaillen und Votive an und übersetzen diese in eine zeitgenössische Lesart. Als durchleuchtete Signets sind sie Ausdruck der Bitte, der Devotion und der Hoffnung, die sich in der Mittlerschaft Mariens manifestieren.
Die Farbfolge reicht in unterschiedlichen Nuancen von violett-tonigen Scheiben im unteren Bereich über Rot und Orange bis zu leuchtend gelben, vor allem vor dem Fenster. Aus dem Dunkel und damit sinnbildlich der Reue wandert der Blick ins Licht und in die Herrlichkeit als Zeichen der christlichen Auferstehungshoffnung. Eine behutsam installierte, künstliche Hinterleuchtung unterstützt das Farbbild und gewährleistet dessen Erlebbarkeit auch ohne Tageslicht.
Die Neukonzeption der Ramersdorfer Turmkapelle, in der künftig auch wieder Votivtafeln Platz finden sollen, verbindet räumliche Prägnanz mit atmosphärischer Intensität und inhaltlicher Tiefe. Mit diesem gleichermaßen zeitgenössischen wie sensiblen, künstlerischen Beitrag wird die traditionsreiche Wallfahrt fortgeschrieben als Bekenntnis der Gegenwart für die Zukunft.