Das Fastentuch aus Oberwarngau Ein Glücksfund aus dem 17. Jahrhundert

Durch glückliche Umstände hat in Oberwarngau ein besonderes, sehr qualitätvolles Fastentuch die Jahrhunderte überdauert. Die großformatige Kreuzigungsszene zeigt den nahezu unberührten Zustand des ausgehenden 17. Jahrhunderts. Durch Lagerung und Gebrauch waren jedoch zahlreiche Schäden entstanden, die in umfangreichen Konservierungsmaßnahmen behoben werden konnten.
 
Das restaurierte Fastentuch wird vor dem Altarbild in St. Johann Baptist in Oberwarngau entrollte
Das restaurierte Fastentuch wird vor dem Altarbild in St. Johann Baptist in Oberwarngau entrollt
Fastentücher, auch Hungertücher genannt, verhüllen seit dem 12. Jahrhundert während der vierzig Tage der Passionszeit die christlichen Altäre. Ihr Gebrauch geht auf den jüdischen Tempelvorhang zurück, der im Neuen Testament im Zusammenhang mit dem Kreuzestod Jesu mehrfach erwähnt wird.

Das große Fastentuch (435 x 280 cm) wird nun in Oberwarngau, St. Johann Baptist, in seiner ursprünglichen Bestimmung verwendet und lädt von Aschermittwoch bis zum 4. April 2025 zur Betrachtung ein.
Große Fehlstelle im Fastentuch Oberwarngau vor der Restaurierung
Große Fehlstelle im Fastentuch vor der Restaurierung
Fehlstelle nach der Restaurierung des Fastentuchs in Oberwarngau
...und nach der Restaurierung
Die Tegernseer Restauratorin Barbara Staudacher mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern an dem Holzbehältnis mit dem noch eingerollten Oberwarngauer Fastentuch
Vor Kopf die Restauratorin Barbara Staudacher
Bei Auslagerungsarbeiten fand sich eine über Hölzer gewickelte Leinwand, die offenbar seit vielen Jahrzehnten unbeachtet geblieben war. Sie wurde entrollt und es entfaltete sich nach und nach eine weitgehend unberührte barocke Kreuzigungsszene. Vor dunklem Hintergrund mit der Darstellung von Jerusalem sind römische Soldaten effektvoll in die Tiefe gestaffelt und es erhebt sich das Kreuz auf Golgotha. Zur Rechten des Gekreuzigten stützt Johannes die Mutter Maria, während zu seiner Linken die heilige Magdalena die Hände ringt.

In seiner szenischen Anordnung und Formensprache greift das Bild ältere, möglicherweise italienische Vorbilder auf. Durch seine großfigurige Darstellung und der intensiven Farbigkeit ist das Gemälde ganz auf Fernwirkung hin angelegt. Ein gemalter Goldrahmen umfasst die Szene. Das Fastentuch wurde auf einer dünnen roten Grundierung in fetter Tempera oder in Ölmalerei auf eine sehr grobe Leinwand gemalt.

Es ist keine Signatur vorhanden, doch die gute Qualität und Konzeption der Malerei könnten auf das Umfeld von Hans Georg Asam (1649 - 1711) verweisen, der kurz vor 1700 im nahen Gmund die Altarblätter schuf und in Tegernsee als Freskenmaler tätig war. Oberwarngau war wie Gmund dem Kloster Tegernsee inkorporiert, von dem alle Aufträge zur Gestaltung ausgingen.
 
Das Oberwarngauer Fastentuch vor dem Altarbild in St. Johann Baptist
Das Oberwarngauer Fastentuch vor dem Altarbild in St. Johann Baptist
Für die temporäre Aufhängung des Tuches während der Fastenzeit waren ein geringes Gewicht, leichte Handhabung und ein geringer Platzbedarf für die Aufbewahrung wichtig. Das sehr grob gewebte Leinen besteht aus zwei unterschiedlich breiten Stoffbahnen und ist lediglich am oberen und unteren Rand zur Stabilisierung mit Halbrundstäben eingefasst. Das Gewicht des unteren Stabes hat jedoch zu starken Beschädigungen im unteren Teil des Gemäldes geführt, die möglicherweise auch der Grund waren, das Fastentuch nicht mehr zu verwenden.

Die Tatsache, dass das Tuch über sehr viele Jahre eng zusammengerollt aufbewahrt wurde, führte zu weiteren Schäden wie viele kleine Ausbrüche und Veränderungen der Malschicht. Durch die großzügige Unterstützung der Bauer’schen Barockstiftung und begleitet von der Hauptabteilung Kunst des Ordinariats München und der Pfarrei konnte die Tegernseer Restauratorin Barbara Staudacher umfangreiche Konservierungsmaßnahmen vornehmen: Die Malerei auf der grob gewebten Leinwand wurde gefestigt, die Veränderungen in der Malschicht wurden behoben, stellenweise wurden Leinwandstücke eingesetzt und die oberen und unteren Leinwandbereiche verstärkt.
 
Das Format des Fastentuchs von 435 cm auf 280 cm war ursprünglich dazu gedacht, einen älteren Altar zu verhüllen, der aber im Laufe des 19. Jahrhunderts durch einen neuen, größeren ersetzt wurde. Die Löcher in der Gewölbedecke und die Seilwinde aus Holz, die nötig sind, um das Gemälde hochzuziehen, sind jedoch noch erhalten und wurden durch Herrn Lambertz vom Architekturbüro Thurner zusammen mit Schreiner Strein durch eine neue Handwinde aus Holz und Metall nachgerüstet. Außerhalb der Fastenzeit lagert das Fastentuch über einer großen Rolle in einer Klimakiste und wird dadurch geschützt.

Die Entdeckung und Konservierung dieses barocken Kunstwerks gibt der Kirche St. Johann Baptist in Oberwarngau ein Stück ihrer Geschichte zurück und macht den Altar und den Kirchenraum in der Passionszeit auf neue Weise erlebbar.