Kirche in der Mitte der Gesellschaft: Reinhard Marx, seit 2008 Erzbischof von München und Freising
„Christus ist Gottes Licht und Aufklärung für die ganze Welt.“ Mit diesen Worten umriss Reinhard Marx (57) in der Predigt zu seiner Amtseinführung als Erzbischof von München und Freising im Februar 2008 den Auftrag der Kirche: das Evangelium in der Mitte der Gesellschaft zu verkünden – eine befreiende Botschaft, die an alle gerichtet und für alle Lebensbereiche relevant ist, weshalb sich Kirche auch „politisch und gesellschaftlich einmischen und zu Wort melden muss“. Gerade auch in sozialethischen Fragen misst Marx der christlichen Botschaft vorrangige Bedeutung bei. „Der Mensch hat eine Würde, die nicht von Menschen abhängt, die vielmehr von Gott selbst gegeben ist, der sich in seiner Menschwerdung mit jedem Menschen verbunden hat“, sagte Marx anlässlich seiner Amtseinführung im Münchner Dom über die Menschenwürde, die unverhandelbar sei.
Diesem christlichen Verständnis von Menschenwürde in der gesellschaftlichen Diskussion Ausdruck zu verleihen, ist Marx’ Anliegen in vielfältigen Aufgaben, die sich mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und des gesellschaftlichen Ausgleichs befassen: 2002 wurde Marx in den Päpstlichen Rat für Gerechtigkeit und Frieden berufen, seit 2004 ist er Vorsitzender der Kommission für Gesellschaftliche und Soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und 2009 wurde er zum Vizepräsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (ComECE) gewählt, deren Mitglied er seit 2006 ist. Nicht zuletzt in seinem 2008 erschienenen Buch „Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen“ forderte Marx eine globale soziale Marktwirtschaft, in der Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit aus christlicher Verantwortung wichtige Eckpfeiler sind und bei der die von Gott gegebene Würde des Menschen im Mittelpunkt steht.
Neben der Würde ist der christliche Begriff der Freiheit zentral im Wirken von Reinhard Marx. Als er 1996 zum Weihbischof von Paderborn geweiht wurde, wählte er als Leitgedanken für seinen bischöflichen Dienst das Wort aus dem 2. Korintherbrief des Apostels Paulus: „Ubi spiritus Domini ibi libertas / Wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit" (2 Kor 3,17). Damit will Marx deutlich machen, „dass Freiheit das wesentliche Thema unseres Glaubens ist“, wie er selbst sagt. Mit dem Glauben gehe keinesfalls ein Freiheitsverlust einher, im Gegenteil: „Freiheit heißt nicht: Ich kann machen, was ich will. Sondern es bedeutet, dass sich jemand in Freiheit in die Arme Gottes hineinwirft.“ Freiheit sei letztlich „das große Geschenk der Liebe Gottes, mit dem wir sorgsam umgehen sollen.“
Um einer so verstandenen Freiheit Raum zu geben, hat Marx das Diözesanprojekt „Dem Glauben Zukunft geben“, das sein Vorgänger Kardinal Friedrich Wetter 2005 angestoßen hatte, als einen vor allem auch geistlichen Prozess vorangebracht. Die Neuordnung der Pfarreien in der Erzdiözese München und Freising und die damit verbundene Neuorientierung der pfarrlichen Seelsorge soll der Kirche als „Geschöpf und Sakrament des Heiligen Geistes“ (Marx) auch künftig einen Platz in der Mitte der Gesellschaft erhalten. „Das Christentum, das unser Land und unsere Kultur so nachhaltig geprägt hat, darf nicht Nachhut der Gesellschaft sein. Sein Platz ist die Vorhut! Und genau dazu machen wir uns mutig auf!“, so Marx in einem Geleitwort zu dem Projekt.
Diese Dimension des Zukunftsprojekts gewann vor dem Hintergrund der Anfang 2010 bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in Kirche und Gesellschaft ein noch stärkeres Gewicht. So unterstrich Erzbischof Marx im Sommer 2010 bei der Unterzeichnung wichtiger Reformvorhaben im Rahmen des Projekts: „Die Entdeckung der Missbrauchsfälle hat unseren Reformprozess in ein neues Koordinatensystem gestellt. Wir können uns nicht wegstehlen aus der Verantwortung, dem Glauben Zukunft zu geben.“ Neben einer lückenlosen Aufklärung möglicher Missbrauchsfälle in der Vergangenheit und entschiedenen Präventionsmaßnahmen für die Zukunft gelte es zugleich, „treu auf unserem Platz zu stehen und das Evangelium zu verkünden, weil wir mithelfen wollen, dass der Glaube an Jesus Christus auch zukünftig seinen festen Ort hat“. Mit Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Beginn sich 2012 zum 50. Mal jährt, forderte Marx mehrfach einen offenen Gesprächs- und Erneuerungsprozess in der Kirche. (ck)