Selbstbewusstsein schützt Präventionsarbeit gegen sexuellen Missbrauch an Erzbischöflichen Schulen

Schülerinnen und Schüler müssen nicht hilflos gegen Übergriffigkeiten oder Demütigungen bis hin zum sexuellen Missbrauch sein. Mit eigenen Konzepten werden sie auch an Erzbischöflichen Schulen stark gemacht, sich dagegen zu wehren - wie zum Beispiel am Maria-Ward-Gymnasium in München.
 
Lehrerin und Präventionsbeauftragte Monika Bunk, die Schülerinnen Emma Marhewka, Blen Bulessa und Anika Hirschmüller und Rektorin Angelika Eckardt vom Maria-Ward-Gymnasium in München
Üben miteinander Prävention ein und lernen gesundes Selbstbewusstsein (v.l.): Lehrerin und Präventionsbeauftragte Monika Bunk, die Schülerinnen Emma Marhewka, Blen Bulessa und Anika Hirschmüller und Rektorin Angelika Eckardt
Eine „harmlose“ Tätschelei, ein anzüglicher, bedrängender Spruch oder eine rassistische Pöbelei in der Trambahn - wenn Emma Marhewka, Blen Bulessa und Anika Hirschmüller über solche möglichen Respektlosigkeiten oder gar Übergriffe sprechen, ist deutlich zu spüren - so etwas schlucken sie nicht einfach. Nicht zuletzt an ihrer Schule haben sie sich dagegen zu wehren und andere dagegen schützen gelernt. Die drei 17-jährigen jungen Frauen besuchen in München das Maria-Ward-Gymnasium Nymphenburg.

Dort begleitet die Schülerinnen von der 5. bis zur 13. Klasse eine Vielzahl von Angeboten, um sich höflich, aber klar zu behaupten, sich nicht bedrängen zu lassen, achtsam für sich und andere zu sein oder Ungerechtigkeiten zu benennen. Das reicht von Kursen für das Erkennen und Lösen von Konflikten bis zur gynäkologischen Aufklärung oder einem klaren Beschwerdeweg, wenn sich Schülerinnen von Lehrkräften falsch behandelt fühlen. Einmal pro Woche trifft sich sogar eine „Starke-Mädel-AG“, um platte Fahrradreifen zu flicken und andere Rollenbilder kennen zu lernen. Emma sieht darin ein „Alleinstellungsmerkmal“ des Mädchengymnasiums, an dem sie gelernt hat, „keine Angst vor Erwachsenen zu haben oder vor mehreren Leuten meine Meinung zu sagen“.

Selbstvertrauen stärken ist beste Prävention

Hört sie von Jungs in ihrem Freundeskreis eine sexistische oder frauenfeindliche Bemerkung, „dann kriegen die zuerst einmal einen klaren Kommentar und dann eine Erklärung, warum das nicht geht“. Manchmal sind es auch Kleinigkeiten, bei denen sich die Kurse bemerkbar machen: Anna hat zum Beispiel keine Scheu mehr zu zugeben, „dass ich Mathe liebe, obwohl das angeblich nicht zu Mädchen passt, das hätte ich früher nicht gemacht“. Blena erkennt bei solchen Gelegenheiten, den Vorteil auf einer reinen Mädchenschule zu sein: „Mit zu diskutieren, wenn größere Jungs das Wort an sich reißen, ist viel schwerer.“ Am Maria-Ward-Gymnasium hat es sie „sehr weitergebracht, dass ich gelernt habe, nicht nur emotional, sondern fundiert zu diskutieren“.

Sich gegen größere Jungs oder Erwachsenen zu behaupten, das ist für sie und die meisten Mitschülerinnen kein Problem mehr, schon gar nicht bei abwertenden oder sexistischen Klischees. Schulleiterin Angelika Eckardt ist anzumerken, dass es sie ein wenig stolz macht, ihre Schülerinnen so reden zu hören. „Das Selbstvertrauen der Mädchen zu stärken, ist die beste Prävention, und die verstehen wir hier sehr umfassend.“ Den eigenen Körper zu kennen, um klare Grenzen bei Berührungen setzen zu können, gehöre da genauso dazu, wie Demütigungen wegen einer anderen Hautfarbe nicht zu akzeptieren, selbst wenn sie „nur“ andere betreffen. „Unsere Aufgabe ist, dass Prävention innerhalb und vor allem auch außerhalb der Schulmauern wirkt.“
Ralf Grillmayer
Ralf Grillmayer

Aufklärungsarbeit bei den Eltern

Am Maria-Ward-Gymnasium sieht Monika Bunk gute Ergebnisse. Die Lehrerin für Französisch und Pädagogik ist seit 2016 Präventionsbeauftragte und Ansprechperson bei Missbrauchsverdacht an ihrer Schule. „In jedem Klassenzimmer hängt ein laminiertes Plakat, auf dem steht, was zu tun ist, wenn ein Kind oder eine Jugendliche Missbrauch erfahren, und das hängt nicht nur da, sondern wird regelmäßig besprochen.“ Schon die Kleinen an der Schule wüssten, dass sie im Notfall anonym die „Nummer gegen Kummer“ wählen könnten.

Ebenso leistet Monika Bunk mit Kolleginnen und Kollegen Aufklärungsarbeit bei den Eltern: „Denen fällt die Kinnlade runter, wenn die hören, dass nur ganz selten ein vermummter Mann ein Kind ins Auto zerrt, sondern dass die meisten Missbrauchstäter in den Familien selbst zu finden sind.“ Statistisch gebe es in jeder Klasse mindestens einen Fall, „und das ist schon günstig gerechnet“.

Ihre Aufgabe sieht die Lehrerin vor allem, dem Kind zu zuhören und nicht abzuwiegeln. „Von Missbrauch betroffene Kinder müssen in der Regel sechs vergebliche Anläufe unternehmen, erst beim siebten Mal glaubt ihnen ein Erwachsener.“ Darum nimmt sie es auch ernst, wenn Schülerinnen sich durch Lehrkräfte verunsichert fühlen oder gar Angst haben - durch Bemerkungen über ihr Äußeres, durch Blicke oder Berührungen. Oft handelt es dabei um Missverständnisse, doch manchmal nehmen es Lehrer oder Lehrerinnen persönlich, wenn Monika Bunk sie darauf anspricht: „Das ist dann so, aber mir ist das Kind wichtiger als der freundliche Gruß des Kollegen.“

Um solche Missverständnisse von vornherein zu vermeiden, hat sie etwa eine Umfrage mit den Schülerinnen gemacht, wo es Orte in der Schule gibt, an denen sie sich unwohl oder in ihrer Intimsphäre beobachtet fühlen, etwa in der Umkleidekabine vor der Turnhalle. Eine Rückmeldung, die dem ganzen Personal im Haus hilft, an diesen Stellen besondere Rücksicht zu nehmen und Regeln zu finden.

Solche konkreten Maßnahmen zur Präventionsarbeit hält auch Ralf Grillmayer für sehr wichtig. Er leitet die Hauptabteilung Erzbischöfliche Schulen im Erzbischöflichen Ordinariat in München und war selbst lange Jahre Lehrer und Schulleiter. „Es ist gut, einfach verschiedene Lebensbereiche an der Schule durchzugehen und zu lernen, wo bestimmte Dinge zu vermeiden sind.“ Das beginne zum Beispiel im Unterricht damit, dass „Schülerinnen und Schüler das Recht haben, mit ihrem richtigen Namen angesprochen zu werden, und nicht etwas mit Schatzi oder Mausi.“ So etwas sei nicht „herzlich, sondern respektlos“.

Alle Schulen des Erzbistums haben ein Präventionskonzept

Den ihnen anvertrauten Kindern und Jugendlichen Achtung entgegenzubringen und ihre Selbstachtung zu stärken, gehöre zum Auftrag an allen 24 Schulen der Erzdiözese München und Freising, an den zurzeit über 11.100 Kinder und Jugendliche lernen. An allen existiert ein Präventionskonzept, und Ralf Grillmayer sieht für die Präventionsbeauftragten laufenden Bedarf zu Fortbildung und Austausch, um diese Arbeit weiterzuentwickeln und zu verbessern, „die ja ein andauernder Prozess ist und nicht einfach aufhört“.

Der Missbrauchsskandal habe die kirchlichen Schulen dazu gezwungen, sich der Prävention besonders stark zu widmen. Ein Engagement, das auch von anderen gesehen wird: „Es haben schon Kollegen von staatlichen Schulen bei uns nachgefragt, welche Konzepte wir entwickelt haben.“ Denn sexueller und anderer Missbrauch beschränke sich nicht nur auf den kirchlichen Raum, für jede Lehrkraft spiele das Thema in ihrem Berufsleben eine Rolle. Wichtig sei, dass alle Beschäftigten im pädagogischen Bereich selbst einen klaren Kompass zur Vermeidung von Übergriffigkeiten jeder Art haben.

Präventionsprogramme sollen zum achtsamen Umgang in Gesellschaft führen

Die Erzdiözese ist gerade dabei, ein „institutionelles Schutzkonzept“ für seine pädagogischen Einrichtungen aufzusetzen: „Jeder, der bei uns anfängt, bekommt Unterstützung, Hilfe und Weisung an die Hand, welches Verhalten statthaft und welches nicht statthaft ist.“ Etwa wie sich Erwachsene herzlich zuwenden können, ohne Kinder und Jugendliche gleich körperlich zu berühren und sich Grenzen erst gar nicht zu nähern. Die Schülerinnen und Schüler sollten lernen, Übergriffigkeiten auch außerhalb der Schule wahrzunehmen, sich dagegen zu wehren und früh Hilfe dagegen zu suchen.

„Letztlich wollen unsere Präventionsprogramme daran mitwirken, dass die ganze Gesellschaft einen achtsamen Umgang miteinander einübt.“ Missbrauch kennt dabei viele Facetten, die nicht immer in sexuellen Handlungen enden müssen, doch er beginnt oft mit „harmlosen“ Tätscheleien oder anzüglichen und bedrängenden Sprüchen. Je weniger es sind und je früher sich junge Menschen dagegen behaupten, desto besser.
 
Text: Alois Bierl, Sankt Michaelsbund, Januar 2023
 

Erzbischöfliches Maria-Ward-Gymnasium Nymphenburg, München
Maria-Ward-Str.
80638 München
Telefon: 089-17900-260
Fax: 089-17900-277
sekretariat(at)maria-ward-schulen.de
http://www.maria-ward-schulen.de
Leiterin:
Dr. Angelika Eckardt
Erzbischöfliche Schulen
Kapellenstr. 4
80333 München
Telefon: 089 2137-1735
Fax: 089 2137-1737
Ha5.3-sek(at)eomuc.de
http://www.erzbistum-muenchen.de/schulen
Hauptabteilungsleiter:
Dr. Ralf Grillmayer