Schulbezogene Jugendarbeit: „Verantwortung für sich und die Gruppe übernehmen“ Im 51. Jahr ist die Nachfrage nach Konfliktseminaren und Orientierungstagen der Kirchlichen Jugendarbeit höher denn je

 
Seit 1970 engagiert sich das Fachreferat Jugend und Schule des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising in der schulbezogenen Jugendarbeit. Die Angebote des Referats für Klassen aller weiterführenden Schularten setzen auf Partizipation und Kooperation.
 
Schülerinnen und Schüler auf einem KISKO-Seminar
 
Wer im Jahr 2020 ein rundes Jubiläum feiern wollte, wurde durch die Corona-Pandemie besonders schmerzlich ausgebremst. So auch das Fachreferat Jugend und Schule des Erzbischöflichen Jugendamtes. Eigentlich hätte eine Feier zum 50-jährigen Bestehen des Referats angestanden, die dann sang- und klanglos abgeblasen werden musste.

Zwei Jahre später: Diplom-Sozialpädagogin Astrid Reschberger und Diplom-Sozialpädagogin Dr. Julia Szantho von Radnoth freuen sich, dass ihnen die Ausnahmesituation dank eines schnellen Schwenks zu digitalen Formaten weniger zu schaffen machte als befürchtet, vor allem aber über die aktuell hohe Nachfrage der Schulen nach ihren Angeboten.

„Es sind schon jetzt alle Termine unseres KISKO-Angebots (Konflikte in Schulklassen kommunikativ lösen) ausgebucht“, berichtet Astrid Reschberger. Zum einen ist das in ihrer Wahrnehmung auch einem „Nachholeffekt“ geschuldet: Nach der langen Corona-Auszeit würden Schülerinnen und Schüler wie Lehrkräfte darauf brennen, Klassengemeinschaft auch außerhalb des Schulgebäudes zu erleben. Vor allem aber sehen sich die Schulen mit immer größeren Herausforderungen wie Mobbing konfrontiert, die den Klassenfrieden gefährden, und suchen nach externer Unterstützung.

Hier kommt das Team des Fachreferats, zu dem auch der Schulseelsorger Andreas Sang und die Verwaltungsfachangestellte Sabine Fister gehören, ins Spiel. „Schule ist inzwischen zum Lebensort für Schülerinnen und Schüler geworden, also gehen wir dahin, wo die Jugendlichen sind“, macht sich Astrid Reschberger für die schulbezogene Jugendarbeit stark. „Schule ist so wichtig im Sozialraum, und außerschulische Jugendbildung gehört dazu.“

Viele Schulen sind seit Jahren „Stammkunden“ und buchen die Angebote für ihre Klassen immer wieder. Durch Mundpropaganda verbreitet sich das Wissen um die Zufriedenheit der Lehrerinnen und Lehrer mit den Angeboten des Referats Jugend und Schule zusätzlich auch an andere Schulen.

Zeit zum „Durchatmen“ für die Klasse

Das Team des Fachreferats Jugend und Schule: Astrid Reschberger, Dr. Julia Szantho von Radnoth, Sabine Fister und Andreas Sang
Das Team des Fachreferats Jugend und Schule: Astrid Reschberger, Dr. Julia Szantho von Radnoth, Sabine Fister und Andreas Sang
Neben Streitschlichterausbildungen, Schülermitverantwortungsseminaren und Tutorenschulungen besteht das Angebot des Fachreferats hauptsächlich aus den zwei etablierten Reihen KISKO und den Tagen der Orientierung. Bei beiden Angeboten arbeiten engagierte und qualifizierte Referentinnen und Referenten – Honorarkräfte und Studentinnen und Studenten – nicht mit vorgefertigten Abläufen, sondern orientieren sich jeweils am Bedarf der Schülerinnen und Schüler. „Es wird geschaut, was die Klasse braucht“, so die pädagogische Fachreferentin.

Die Tage der Orientierung sind genau das – eine Zeit zum „Durchatmen für die Klasse außerhalb des Schulalltags“. Das Angebot richtet sich hauptsächlich an die 9. Jahrgangsstufen von Gymnasien und Realschulen, die sich mit ihren Anfragen an das Referat Jugend und Schule wenden. Das Referat verwaltet aber inzwischen auch einen Fördertopf für Tage der Orientierung an Mittelschulen und unterstützt Schulen, die in Eigenregie dieses Angebot mit Schulklassen durchführen wollen. Für drei Tage fährt eine Schulklasse in das Jugendhaus Josefstal am Schliersee oder in das Jugendhaus Lechner in Aßling. Gemeinsam mit einer Referentin und einem Referenten bearbeiten die Jugendlichen dort ihre selbst ausgewählten Themen, die sich beim Vorbesuch in der Klasse schon herauskristallisiert haben.

„Uns ist wichtig, dass sich alle Schülerinnen und Schüler in der Bearbeitung eines Themas wiederfinden“, berichtet Julia Szantho von Radnoth, die zusammen mit Andreas Sang die Tage der Orientierung koordiniert. „Es geht darum, dass die Jugendlichen erfahren, dass sie gehört werden, dass es wichtig ist, was sie sagen, und dass sie sehen, wie man sich gegenseitig unterstützen und wertschätzend miteinander umgehen kann.“ Die begleitenden Lehrkräfte bleiben während der Arbeitseinheiten als „stille Beobachter“ im Hintergrund, allerdings nur, wenn die Klasse es wünscht.

Christ-Sein unter jungen und fröhlichen Menschen

Arbeit von Jugendlichen an einer Flipchart auf den Tagen der Orientierung
Arbeit von Jugendlichen an einer Flipchart auf den Tagen der Orientierung
Über das Finden eines Gruppen- und Gemeinschaftsgeistes hinaus vermitteln die Tage der Orientierung die Suche nach Sinn und Orientierung im Leben insgesamt, im Austausch mit Mitschülerinnen und Mitschülern sowie der Referentin und dem Referenten. „Wir möchten die Schülerinnen und Schüler dabei begleiten, Verantwortung für sich selbst und für die Gruppe zu übernehmen“, erklärt Julia Szantho von Radnoth. „Die Referentinnen und Referenten setzen dabei auch spirituelle Akzente. Wir wollen und können hier zeigen, dass wir als Kirche präsent sind, nah am Menschen, und sich Christ-Sein auch unter jungen und fröhlichen Leuten zeigt.“ In der strategischen Zielsetzung zu den Tagen der Orientierung heißt es dazu weiter: „Christ-Sein ist eine Lebenskunst, die jungen Menschen dient, ihr Leben zu verstehen, zu erfahren und zu gestalten.“

Idealerweise folgt auf die Tage der Orientierung eine von der Schule organisierte Nachbearbeitung am Wochenende, in der „wir gemeinsam bilanzieren, ob und was sich verändert hat“, so Julia Szantho von Radnoth. In der Vergangenheit habe sich in dieser „Nachlese“ beispielsweise oft gezeigt, dass vermeintliche Außenseiter inzwischen ihren Platz in der Klassengemeinschaft gefunden hätten.

Aus den Tagen der Orientierung hat sich KISKO entwickelt, das bei Konflikten anlassbezogen von den Schulen angefragt wird. Wie bei den Tagen der Orientierung reist eine Klasse nach einem Vorgespräch mit den Referentinnen und Referenten in der Schule für drei Tage in ein Bildungshaus. Dort suchen die Schülerinnen und Schüler Lösungen für ein besseres Miteinander im Schulalltag. Das Ziel ist laut Astrid Reschberger, die KISKO koordiniert, „die Wiederherstellung einer wertschätzenden, wohlwollenden Haltung zwischen den Konfliktparteien“. Dazu nutzen die jeweils drei Referentinnen und Referenten ressourcenorientiertes Arbeiten, Mediation, Erlebnispädagogik, interkulturelle und geschlechtsspezifische Pädagogik und gewaltfreie Kommunikation.

Den Blick auf die Schülerinnen und Schüler verändern

Jugendliche am Lagerfeuer auf einer KISKO-Tagung
Jugendliche am Lagerfeuer auf einer KISKO-Tagung
„Wichtig ist der enge Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern und den Schulsozialarbeiterinnen und -arbeitern“, meint die pädagogische Fachreferentin. „Die Lehrkräfte sind während des ganzen Prozesses mit dabei, da sie für die Klasse ein wichtiges Unterstützersystem sind und durch ihre Einbindung mehr Nachhaltigkeit gegeben ist. Und für die Lehrkräfte ist KISKO die wertvolle Gelegenheit, den Blick auf die Schülerinnen und Schüler zu verändern und Kompetenzen zu entdecken, die im Schulalltag verborgen bleiben.“

Die Erfahrung zeige, dass sich die Jugendlichen bei diesen Veranstaltungen „offen und ehrlich äußern“ und „vieles direkt auf den Punkt bringen“. Neben dem inhaltlichen Arbeiten gehe es aber auch darum, „einfach mal miteinander etwas zu erleben und Spaß zu haben“. Zu gemeinsamen Aktivitäten gehören unter anderem Wanderungen, bei einem Aufenthalt im Jugendhaus Josefstal zum Beispiel zur Burgruine am Schliersee. „Am Anfang haben die Schülerinnen und Schüler oftmals keine Lust auf Wandern, aber am Ende finden sie es toll“, erzählt Astrid Reschberger.

Die Natur steht bei KISKO Outdoor, das sich 2015 aus KISKO entwickelt hat, noch stärker im Mittelpunkt. Es handelt sich um ein Selbstversorgerseminar mit erlebnispädagogischer Ausrichtung, bei dem eine Klasse für fünf Tage in das im Wald gelegene, abgeschiedene Pfadfinderhaus Thalhäusl in Fischbachau reist. „Die Schülerinnen und Schüler müssen hier selbst einkaufen, kochen und ein Zusammenleben wie in einer Wohngemeinschaft organisieren – jeder hat seinen Part. Wanderungen, Lagerfeuer und Kooperationsaufgaben gehören zu den festen Bestandteilen des Programms“, so Reschberger.

„Wenn man sich die Zeit nimmt, kann man ganz viele Konflikte auffangen“, ist die Diplom-Sozialpädagogin überzeugt. „Wir erleben, wie manche Jugendliche aufblühen und anfangen zu erzählen. Immer mehr Lehrerinnen und Lehrer erkennen das auch und wollen bei uns mitmachen.“ Das zeigt sich auch bei KISKO Outdoor an einer ebenfalls stark gestiegenen Nachfrage: Startete das Fachreferat vor sechs Jahren mit zwei Veranstaltungen jährlich, sind es inzwischen zehn.

Astrid Reschberger ist überzeugt: „Wir leisten hier eine wertvolle Arbeit für die Schülerinnen und Schüler, für die die Schulen dankbar sind. Wenn man die Zeit und die Mittel hat, entwickeln sich tolle Angebote.“
Ralf Augsburg, Online-Redaktion, Stabsstelle Kommunikation, Oktober 2021