Welche Relevanz besitzt der Religionsunterricht heute noch? Was macht eine gute Religionslehrkraft aus? Und welche Kraft können Schülerinnen und Schüler aus diesem Fach ziehen? Das Maximiliansgymnasium in München-Schwabing und die Grundschule an der Turnerstraße in München-Trudering öffneten ihre Türen, um aus ihrer jeweiligen Perspektive Antworten auf diese Fragen zu geben.
"Die Lebenswelt der Kinder in Beziehung bringen mit der christlichen Botschaft"
Gabriele Prügl, Seminarlehrerin für katholische Religionslehre, führt durch das staatliche Maximiliansgymnasium in München-Schwabing. Sie will den schönen, neuen Meditationsraum zeigen, den es dort im ersten Obergeschoss gibt. Doch an der Türe hängt das Schild „Bitte nicht stören“. Der Raum ist gerade von einer der Religionsklassen belegt. Gabriele Prügl schmunzelt. „Der Raum wird häufig genutzt, denn auch im gymnasialen Religionsunterricht soll es Raum für spirituelle Erfahrungen geben“, erklärt die 61-Jährige.
Neben den Meditationen werden am humanistischen „Max“ wie in vielen anderen Schulen auch zum Beispiel Gottesdienste angeboten, Gebete in den Klassen, Frühschichten und „Tage der Orientierung“. Da diese während der Corona-Pandemien ausfallen mussten, gab es im letzten Schuljahr einen „Wallfahrtstag“. Die 10. Klassen liefen von Reichertshausen zum Kloster Scheyern und von dort weiter nach Pfaffenhofen, wo sie die Bahn zurück nach München brachte. Dieser Tag hätte den Jugendlichen so gut gefallen, dass er auch heuer wieder angeboten werde.
Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft
Gabriele Prügl bildet auch angehende Religionslehrkräfte aus. Die Studienreferendar:innen erteilen bereits selbst Unterricht, aber sie ist als Seminarlehrerin noch oft dabei, unterstützt die jungen Lehrkräfte und gibt fachliches Feedback. In der Oberstufe unterrichtet sie meist selbst. Dabei ist ihr wichtig, dass die SchülerInnen lernen, philosophisch-theologisch zu denken. „Damit kann man sich die Welt ganz anders gedanklich erschließen, als wenn man sich ausschließlich auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützt“, weiß die erfahrene Pädagogin.
Für die Vereinbarkeit von Glauben und Vernunft hat sie viele gute Argumente bei Joseph Ratzinger gefunden. Gerade die jungen Erwachsenen in der Oberstufe schätzen den anspruchsvollen Diskurs. „Für einen guten Religionsunterricht muss man theologisch sattelfest sein, gerade in der Oberstufe“, betont Gabriele Prügl. „Und man sollte für sein Fach ‚brennen‘, sonst kann man dessen Inhalte auch nicht gut vermitteln. Unverzichtbar ist auch das Interesse an Kindern und Jugendlichen und ihren Lebensfragen.“
Am Maxgymnasium besuchen etwa 90 Prozent aller katholischen Schülerinnen und Schüler auch den katholischen Religionsunterricht. Nur ein kleiner Teil hat sich für den Ethikunterricht entschieden. Zugleich wird der katholische Religionsunterricht auch von Kindern und Jugendlichen besucht, die ungetauft sind oder einer anderen Konfession angehören, die selbst kein „Reli“ an der Schule anbietet. „Der konfessionelle Religionsunterricht liegt mir persönlich am Herzen“, betont Gabriele Prügl, die selbst kirchlich engagiert ist, etwa früher als Pfarrgemeinderätin in St. Ludwig. Am „Max“ gebe es auch Eltern und Schüler:innen, denen der konfessionelle Religionsunterricht sehr wichtig sei.
Szenenwechsel. Bruno Wittstadt ist kirchlicher Religionslehrer und erteilt an zwei Tagen pro Woche Unterricht an der Grundschule an der Turnerstraße in München-Trudering. In diesem Schuljahr ist er für zwei zweite Klassen sowie je eine dritte und eine vierte Klasse zuständig. Zugleich ist er kirchlicher Schulbeauftragter im Erzbischöflichen Ordinariat für den Religionsunterricht an Grundschulen in einigen Münchner Dekanaten.
„Religionsunterricht ist ein anspruchsvolles Fach, auch an der Grundschule“, weiß der 54-Jährige. „Es geht darum, die Lebenswelt der Kinder in Beziehung zu bringen mit der christlichen Botschaft. Aber das darf natürlich nicht abstrakt erfolgen, sondern immer so, dass es zum Erleben der Kinder passt.“ Der Unterricht ist deshalb ganzheitlich und erfahrungsbezogen aufgebaut.
Kinder dürfen eigene Themen einbringen
„Im Religionsunterricht ist es wichtig, dass die Kinder mit ihren eigenen Sorgen, Ängsten und Hoffnungen zu Wort kommen können. Und da ist auch so: Bei uns sagen die Kinder zum Beispiel, dass ihr Papa schwer krank ist und dass sie in der Gruppe für ihn beten möchten“, berichtet Bruno Wittstadt.
Der Unterricht an der Grundschule kann auch Raum für Bewegung im Zusammenhang mit Musik bieten, falls das Klassenzimmer groß genug dafür ist. So singt Bruno Wittstadt gern mit den Kindern. „Natürlich besteht der Religionsunterricht nicht nur aus ‚Wohlfühlen‘, sondern sie sollen auch etwas lernen“, erklärt der Theologe, der seit 20 Jahren Religionsunterricht erteilt. So lernen die Kinder Jesusgeschichten und andere wichtige Bibelstellen kennen. Sie erfahren, was es mit dem kirchlichen Jahreskreislauf auf sich hat. Sie lernen Gebete wie das Vater Unser. In der dritten Klasse ist die Erstkommunion ein wichtiger Berührungspunkt zwischen schulischem Religionsunterricht und der Kommunion-Vorbereitung in der Gemeinde.
Was macht eigentlich eine gute Religionslehrkraft aus? „Eine wichtige Voraussetzung ist, mit den Kindern in gutem Kontakt zu stehen. Das ist die Basis des Unterrichts“, betont Bruno Wittstadt. „Und dann geht es darum, dass man die Inhalte des Fachs altersentsprechend so aufbereitet, dass sie für Kinder verständlich sind, ohne dass sie dabei banal oder kitschig wirken.“ Die Identifikation mit dem Fach und mit der christlichen Botschaft sei ebenfalls unverzichtbar.
Die meisten katholisch getauften Kinder besuchen an der Grundschule an der Turnerstraße auch den katholischen Religionsunterricht. Nur wenige wurden von den Eltern für den Ethikunterricht angemeldet. Den katholischen Religionsunterricht besuchen auch orthodoxe Schüler und Schülerinnen sowie ungetaufte, deren Eltern dies ausdrücklich wünschen, weil man hier viel über die Grundlagen der abendländischen Kultur erfährt. „Und ich habe noch in jedem Schuljahr die Erfahrung machen können, dass sich Kinder dann taufen haben lassen und zur Erstkommunion gegangen sind, weil sie selbst das so wollten“, freut sich Wittstadt.
Wichtige Impulse für die Themen der Zeit
Diese positiven Beobachtungen decken sich mit den Informationen, die Dr. Alexandra Pfeiffer zur Verfügung stellt. Sie ist die Leiterin der Hauptabteilung „Religionsunterricht und hochschulfachliche Aufgaben“ im Ressort Bildung des Erzbischöflichen Ordinariats München (EOM).
Im vergangenen Schuljahr haben 47 Prozent aller Schüler:innen in allgemeinbildenden Schulen auf dem Gebiet der Erzdiözese München und Freising am katholischen Religionsunterricht teilgenommen. Und das sind sogar mehr Kinder und Jugendliche als katholisch getauft sind. Während sich im letzten Schuljahr rund 8.400 katholisch getaufte Schüler:innen in der Erzdiözese vom Religionsunterricht abgemeldet hätten, seien mehr als 15.700 nicht-katholische Schüler:innen auf Antrag hinzugekommen.
Religionsunterricht sei ein Fach, das nicht nur Wissensvermittlung biete, sondern auch Angebote, die existenziellen Fragen des Lebens zu betrachten, so Alexandra Pfeiffer. Das Besondere am Fach sei die klare Position des Glaubens, die die Lehrkraft vermittle und selbst als Angebot vorlebe. Außerdem könne der Religionsunterricht wichtige Argumente für aktuelle Themen wie die Schöpfungsgerechtigkeit liefern. „Angesichts von Klimakrise und Umweltzerstörung ist der Gedanke der Welt als Schöpfung, für die der Mensch in der Bibel als verantwortlich gezeigt wird, ein wichtiger Impuls aus der Theologie. Das kann man schon in der Grundschule ganz direkt erlebbar machen“, betont Alexandra Pfeiffer.
Text: Gabriele Riffert, Freie Autorin, Februar 2023
Fragen nach dem Woher und Wohin
"Das Christentum prägt für weite Teile der Gesellschaft bis heute das Verständnis von Gott, Mensch und Welt und nicht zuletzt die Zeiten und Räume des Zusammenlebens. Der katholische Religionsunterricht erschließt diese religiös geprägte, von vielen als säkular wahrgenommene Alltagskultur (Sieben-Tage-Woche, Feiertage, Kirchengebäude, Gestaltung der sozialen Räume usw.). In den biblischen Erzählungen, im christlichen Ethos, in den Festen und Feiern, im Kirchengebäude oder in einer caritativen Einrichtung begegnet den Schülerinnen und Schülern die christliche Tradition, die sie sich im Religionsunterricht als Ressource für ihr eigenes Selbst- und Weltverhältnis aneignen können…
Die Religionslehrkräfte nehmen aufmerksam die Fragen der Kinder nach dem Woher, Wohin und Wozu des menschlichen Lebens wahr und suchen mit ihnen gemeinsam nach Antworten. Sie setzen sich mit den Weltdeutungen und Gotteserfahrungen der Kinder konstruktiv auseinander."
Aus: Die Perspektive des Glaubens anbieten. Der Religionsunterricht an der Grundschule. Die Deutschen Bischöfe Nr. 111, 2023
Religionsunterricht und hochschulfachliche Aufgaben
Kapellenstr. 4
80333 München
Hauptabteilungsleiterin:
Dr. Alexandra Elisabeth Pfeiffer, Oberstudiendirektorin i. K.