Der Sozialpädagoge kommt mit dem Mobil Die Jugendarbeit der Erzdiözese ist in München einmalig

Zur Jugendarbeit in der Erzdiözese gehört seit Neuem ein buntes Ungetüm – ein unverwechselbar gestaltetes, umgebautes Wohnmobil. Mit ihm sucht Sozialpädagoge Martin von Necker gezielt Hotspots von Jugendlichen auf: Dieser niedrigschwellige Ansatz für diese Altersgruppe ist einmalig in München – und bedarf viel Fingerspitzengefühl und Geduld. Ein Ortsbesuch.
Jugendmobil des Erzbischöflichen Jugendamtes
Das Jugendmobil im Park vor Ort bei den Jugendlichen: Gemeinsam spielen, reden oder einfach bloß abhängen, alles ist okay.
Mit seinen schrill-bunten Farben sticht das Gefährt schon von Ferne ins Auge: Aus der Nähe entpuppt sich das Mobil von Perspektive 3, der mobilen Jugendarbeit des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising, als Goldmünzen- und Geldscheine -fressendes, grün-rosa Ungetüm, das die Augen überall hat und das Maul nicht voll genug bekommt. Das ist freilich nicht als Hymne auf, sondern als Kritik an einer Überhöhung und Huldigung des Geldes zu sehen. „Luxus Money Eater“ nennt der Münchner Graffiti-Künstler Won ABC, der sich seit vielen Jahren auch gemeinnützig engagiert, sein Werk.

"Luxus Money Eater"

Das Mobil ist unverwechselbar, und genau das ist sein Zweck: Es soll Neugier wecken und wiedererkannt werden. Mit ihm steuert der Sozialpädagoge Martin von Neckar gezielt Orte in München an, an denen junge Menschen „abhängen“, die früher oder später Hilfe brauchen könnten: Jungen und Mädchen aus „ökonomisch schlechter gestellten Familien“, wie von Necker sagt. Für Formulierungen wie „sozial schwach“ oder „aus labilen Familienverhältnissen“ hat er wenig übrig, da nach seiner Erfahrung die Einkommenssituation der Familien einer der ausschlaggebenden Faktoren dafür ist, dass sich die Betreffenden – meist aus Zuwanderung – schwerer tun, in der Gesellschaft ihren Platz zu finden.

An diesem Dienstagnachmittag steht der 46 Jahre alte Münchner mit dem Mobil vor dem Internationalen Jugendzentrum der Inneren Mission in der Einsteinstraße. Drinnen üben etwa 13 oder 14 Jahre alte Jungs eifrig Breakdance, wie durch Glaswände zu sehen ist, zwischendurch kommen sie auch raus, um sich zu unterhalten. Von Necker findet es gut, wenn sich die Jugendlichen schon einmal an seine Anwesenheit gewöhnen, seine eigentliche Zielgruppe ist aber älter: Er hat es auf die 16- bis circa 21-Jährigen abgesehen, die auf den angrenzenden Freiflächen um die Ecke gerne einmal Joints rauchen. Sie sind allerdings noch nicht da.

Vertrauen gewinnen

Das Konzept, gezielt zu den Heranwachsenden zu fahren, um sie bei Bedarf zu unterstützen, ist in München laut Erzbischöflichem Jugendamt einmalig und wird von der Stadt finanziell unterstützt. Die Erzdiözese betritt damit in dieser speziellen Form ebenfalls Neuland: Das Mobil gibt es zwar schon lange, allerdings war es früher in schlichtem Weiß und machte ausschließlich Halt an Berufsschulen, um Auszubildende zu begleiten.

Nachdem der langjährig für die mobile offene Jugendarbeit zuständige Sozialpädagoge, Jochen Koch, 2018 gestorben war, überarbeitete Bereichsleiter Markus Bloch das Angebot und weitete es auf junge Menschen unabhängig vom Ausbildungsstand aus. Das Einsatzgebiet ist in Absprache mit der Stadt der Bezirk 5, er umfasst die Au und Haidhausen. Die Mission lautet „Lebenshilfe“.
Jugendmobil des Erzbischöflichen Jugendamtes
Sie machen für Jugendliche eine neue Tür auf mit der aufsuchenden Jugendarbeit: Der Bereichsleiter "Offene Jugendarbeit" Markus Bloch (l.) und der Leiter der Einrichtung Perspektive 3, Martin von Necker.
Ausschlaggebend dafür ist, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. „Das dauert lange“, sagt von Necker. Das Wichtigste: „Man muss sie als Menschen akzeptieren können, wie sie sind“ – egal, was sie getan hätten – „sie spüren, ob du es ernst mit ihnen meinst.“

"Bist du Cop oder was?"

Von Necker ist seit vergangenem September an Bord. Mit seinem weißblonden, hochtoupierten Schopf, dem Spitzbart und den Tattoos tritt er lässiger als die meisten Mittvierziger auf. Damit weckt er bei den Jugendlichen zunächst allerdings eher Misstrauen als Sympathien. „So laufen auch gerne mal Zivilpolizisten herum“, erklärt er. Doch genau das kann ein Anknüpfungspunkt sein. Wenn ein Jugendlicher kommt und fragt: „Bist du Cop oder was?“, ist ein erster Kontakt hergestellt. „Sie dürfen dich albern finden, doof oder verdächtig. Hauptsache, sie finden dich.“

Er selbst versuche, den Raum, den er „als Gast“ beanspruche, so klein wie möglich zu halten, ergänzt er. Schließlich sei er derjenige, der in ihr Areal eindringe – die Heranwachsenden hätten den Sozialpädagogen nicht eingeladen. Die Annäherung muss daher beiläufig geschehen, Geduld ist gefragt.

"Wichtig ist, dass du mitmachst"

Dabei helfen Getränke, Snacks und Eis sowie jede Menge sportliche Geräte, die von Necker im Mobil dabei hat: Speedminton-Ausrüstung, ein mobiler Basketballkorb, Slackline – alles, was gerade angesagt ist. „Wichtig ist, dass du mitmachst und nicht nur zuschaust“, betont von Necker: „Du musst gar nicht gut darin sein. Dann kann ein Jugendlicher kommen und mir zeigen, wie man das besser macht.“ Natürlich hat er auch jede Menge bunter Give-Aways zu verteilen, die mit dem Instagram-Kontakt von Perspektive 3 bedruckt sind.

Haben sich die Jugendlichen geöffnet, kommt für von Necker neben der Vermittlung an zuständige Stellen als weitere Aufgabe die Unterstützung bei Behördengängen und Telefonaten hinzu: Zu den Hauptproblemen seiner Klientel gehören Schwarzfahren, das als Straftat schnell zu hohen Geldstrafen und Jugendarrest oder Gefängnis führen kann, Schulden und der Konsum von Rauschmitteln. Es geht darum, Stundungsanträge zu stellen, mit Inkassofirmen zu telefonieren und zu klären, ob Forderungen von Seiten der Krankenkasse oder des Jobcenters legitim sind – oft fehlen ihm zufolge schlicht Unterlagen, die das Gegenteil beweisen.

Ein angesagtes Smartphone macht nicht glücklich

Daneben gilt es, die jungen Menschen davon zu überzeugen, ihr Verhalten zu ändern, damit sie nicht wieder in die Bredouille kommen. „Der pädagogische ist der herausfordernde Part“, so von Necker. Denn sie wüssten genau, dass sie sich beispielsweise das neue Smartphone nicht leisten können – und trotzdem nähmen sie, womöglich mithilfe falscher Angaben, einen Kredit dafür auf. „Ich versuche, ihnen aufzuzeigen, dass ein angesagtes Smartphone nicht glücklich macht“, erklärt von Necker. „In neun von zehn Fällen klappt es nicht, aber für den oder die eine lohnt es sich.“
Jugendmobil des Erzbischöflichen Jugendamtes
Die 20-jährige Kadiya konnte mit Unterstützung durch Sozialarbeiter im Leben wieder Halt finden. Jetzt strebt sie eine Ausbildung als Kauffrau für E-Commerce an.
So wie bei Khadiya. Die lebhafte 20-Jährige schaut an diesem Nachmittag mit ihrem Freund Said bei von Necker vorbei. Beide kennen ihn noch von früher, als er städtischer Streetworker am nahe gelegenen Johannisplatz war. Damals habe er ihr bei allen Problemen geholfen, erzählt sie begeistert: sei es mit Schulden, den Behörden oder der Familie, von der sie mehrere Jahre getrennt lebte.

Viele Abende lang führte von Necker mit ihr Gespräche über ihr Konsumverhalten, und er zeigte ihr Möglichkeiten auf, wie sie ihr Leben gestalten und selbst in die Hand nehmen könnte. Inzwischen ist sie in der Buchhaltung angestellt, demnächst will sie eine Ausbildung zur Kauffrau für E-Commerce beginnen.

"Wenn ich etwas brauche, ist er für mich da"

„Egal, was es ist, wenn ich etwas brauche, ist er für mich da“, sagt Khadiya. Auch heute noch. Seit Kurzem hat die junge Frau wieder Ärger mit den Behörden – wegen Mietzahlungen, die das Jobcenter einst in einer Notlage übernommen hatte und die sie nun zurückzahlen soll. Die Forderungen trafen sie völlig unvorbereitet und sind ihres Erachtens zu hoch angesetzt.

„Ich kann manchmal sehr impulsiv werden, wenn es mir reicht“, räumt Khadiya ein. Nun habe von Necker die Korrespondenz übernommen, und es sehe so aus, dass sie tatsächlich nicht den gesamten Betrag zahlen müsse. „Er ist für mich wie ein Therapeut“, beschreibt sie, „er baut mich immer wieder auf.“ Und er sei immer ehrlich zu ihr, sage ihr auch, wenn sie Fehler mache: „Aber so, dass ich mich nicht angegriffen fühle.“

Immer wieder späht von Necker auf die Freiflächen, die an das Jugendzentrum grenzen. Von den Jugendlichen seiner Zielgruppe gibt es keine Spur. „Corona hat einen seltsamen Effekt mit sich gebracht“, stellt von Necker fest, „die jungen Erwachsenen sind aus ihren sozialen Räumen verdrängt worden.“ Zunehmend hätten Chöre und Sportgruppen die Plätze und Parks eingenommen: „Das ist unattraktiv für die Kids aus der Hood.“

Von Corona ausgebremst

Nun suchten sie stärker städtische Plätze auf – oder sie kämen später, wenn die anderen verschwunden seien. Deshalb geht Martin von Necker jetzt zweimal die Woche erst am späteren Abend mit dem Bus auf Tour, zunächst probeweise.

Die Corona-Krise hat die mobile Jugendarbeit überhaupt gehörig ausgebremst. Kurz nachdem mit der Stadt alles besprochen war und alle Berechtigungen Ende Februar vorlagen, mussten die Fahrten auch schon wieder eingestellt werden. „Uns fehlen drei Monate“, bedauert von Necker. Er hielt während der Zeit zwar mit den Jugendlichen, die er bereits kannte, Kontakt, vor allem telefonisch und digital, bei Streifgängen durch die Stadt begegnete man sich auch mal. Trotzdem befürchtet von Necker, dass „drei oder vier Jugendliche verloren gingen“. Ob er die Verbindung wiederbeleben kann, weiß er noch nicht: „Wenn sie subjektiv das Gefühl haben, im Stich gelassen worden zu sein, wird es schwierig.“

Inzwischen hat Regen eingesetzt. Die Heranwachsenden vom Grundstück nebenan werden nun mit Sicherheit nicht mehr kommen. Martin von Necker nimmt es gelassen. Er weiß, dass Geduld nötig ist in der Jugendarbeit. Nach seiner Erfahrung kann es locker ein halbes Jahr dauern, bis eine Beziehung aufgebaut ist. Da kommt es auf einen Nachmittag auch nicht an.

Text: Sandra Tjong

Infos zum Künstler WonABC
Sein Engagement für das Clemens-Maria-Kinderheim in Putzbrunn, einer Einrichtung der Katholischen Jugendfürsorge der Erzdiözese München und Freising

Bereichsleitung Offene Jugendarbeit und Schulsozialarbeit
Erzbischöfliches Jugendamt
KorbiniansHaus der Kirchlichen Jugendarbeit
Preysingstraße 93
81667 München
Tel.: 089 / 48092-2131
http://www.eja-muenchen.de/wir-ueber-uns/bereichsleitungen
http://www.perspektive-3.de

Leiter: Markus Bloch
Mail:MBloch(at)eja-muenchen.de

Ansprechpartner Perspektive 3: Martin von Necker
Mail: MvonNecker(at)eomuc.de
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