"Schritte, die uns wieder auf sicheren Boden führen" Krisenseelsorge in Schulen

Ein Todesfall oder Unfall in der Klasse, aus dem Kollegium oder in der Familie. In Zeiten von Krisen und Trauerfällen können Schulen vor großen Herausforderungen stehen. Es erfordert oft eine professionelle Unterstützung und eine einfühlsame Begleitung, um solche Momente durchzustehen. Das Kriseninterventionsteam des Erzbistums München und Freising kann helfen.
 
Krisenseelsorger im Einsatz mit Rettungs- und Notarztwagen
"In dem Moment ist Schule die einzige Normalität“
Der plötzliche Todesfall von Schülern oder Lehrern, ein schwerer Unfall oder Gewalttaten - das alles sind Situationen, die den Schulalltag vor große Herausforderungen stellen. In solchen Moment sind sie da, die Kriseninterventionsteams. Es gibt sie in allen Erzdiözesen. Gegründet wurden sie zwischen 2004 bis 2006. Ausschlaggebend war der Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt im Jahr 2002. „Da wurde erst deutlich, wie viele Menschen aus dem schulischen Kontext betroffen sind, wenn eine solche Tat passiert“, erklärt Martina Reiner, die in diesem Schuljahr die Diözesanleiterin für den schulischen Bereich ist, die Beweggründe der Gründung.

Das Team der Erzdiözese besteht aus 24 Krisenseelsorger:innen. Dabei handelt es sich ausschließlich um Religionslehrkräfte aus dem staatlichen oder kirchlichen Bereich, die bereits seit fünf Jahren im schulischen Dienst tätig sind. Die Lehrerteams stammen aus allen Schulformen wie Gymnasium, Grundschule, Gesamtschule und Realschule. Nach einer zweiwöchigen intensiven Ausbildung sind sie Krisenseelsorger. Die Ausbildung wird von der Erzdiözese bezahlt.

Zu dem Hauptaufgabengebiet der Seelsorger:innen gehört die Intervention im Akutfall, eine telefonische Beratung, der Einsatz in Schulen und das Angebot der Begleitung und Unterstützung aller Betroffenen im Umfeld Schule. Beauftragt werden die Krisenseelsorger:innen direkt von der Schulleitung. Diese ist mit einer Situation konfrontiert, die ihre Kapazitäten übersteigt, oder einfach dankbar, wenn jemand von außerhalb kommt, der mehr Abstand zu der Situation hat.

"Manchmal möchten die Betroffenen nicht reden"

Werden die Krisenseelsorger:innen zum Einsatz gerufen, dürfen sie sofort ihren eigenen Unterricht verlassen. „Dann stehen wir bei und versuchen mit Empathievermögen den Weg zu begleiten. Wir betreiben dann meistens Krisenmanagement und stoßen die Krisenseelsorge an“, beschreibt Martina Reiner ihre Aufgabe. Es handelt sich um eine kurzzeitige Intervention. Eine klassische Seelsorge und Begleitung über einen längeren Zeitraum oder außerhalb des Schulalltags ist bei ihrer Arbeit nicht vorgesehen.
 
Krisenseelsorgerin Martina Reiner
Martina Reiner
Nachdem die Schulleitung die Krisenseelsorge eingeschaltet hat, informiert sie ausführlich über das Geschehen. „Bei dem Gespräch muss auch beschlossen werden, welche Informationen weiter gegeben werden dürfen und wie wir den Tag gemeinsam angehen.“ Wenn die Lehrerinnen und Lehrer stärker von der Situation betroffen sind, kann es vorkommen, dass die Krisenseelsorger:innen auch in der Klasse beim Übermitteln der Nachricht dabei sind. „Falls notwendig, führen wir danach mit den betroffenen Personen auch Einzelgespräche, damit sie sich ein Stückweit ihre Sicherheit und Handlungsfähigkeit zurück bekommen“, ergänzt Reiner. Das Ziel solle dabei immer sein: „Wir kriegen das jetzt hin! Auch wenn es schwierig ist und überfordert, gibt es Schritte, die wir gehen können, die uns auf sicheren Boden führen.“

Martina Reiner ist es bei ihrer Arbeit ein Anliegen, sensibel und wachsam zu sein. „Ich gehe mit den Betroffenen die Optionen durch und frage sie, ob sie mit mir oder jemand anderem reden möchten. Manchmal möchten die Betroffenen nicht reden, weil in dem Moment die Schule die einzige Normalität ist.“

Der Glaube spielt bei ihrer Arbeit im schulischen Kontext erst mal nur am Rand eine Rolle. Meistens wenn es darum geht, einen Trauerraum einzurichten. „Da stellt sich beispielsweise die Frage: Ob in diesem Raum ein Kreuz aufgehängt werden soll oder ob sich dadurch andere Mitschüler gestört und nicht angesprochen fühlen“, beschreibt sie die sensible Thematik. Fragen, die den Glauben betreffe, stellen die Schüler:innen meistens direkt an die Lehrkräfte.

Die Stille aushalten

Für das eigene Handeln ist der Glaube aus der Sicht von Martina Reiner allerdings ein Anker. Für sie ist er die Basis, um die Herausforderungen und Aufgaben zu bewältigen. Oft gebe es Momente, in denen man selbst so herausgefordert werde, dass man an seine Grenzen stoße: „Eine Grenze ist es oft, die Trauer zu spüren, der wir ausgeliefert sind in diesen akuten Situationen. Es macht etwas mit einem vor einer fremden Klasse junger Menschen zu stehen und ihnen eine Todesnachricht zu überbringen, die für manche in dem Moment einen Weltuntergang bedeutet.“ Die Stille aushalten und zu erleben, wie Menschen weinen und traurig sind, mache einen betroffen.

Wenn sich eine Krisenseelsorgerin oder ein Krisenseelsorger für einen Einsatz nicht bereit fühlt, darf das jederzeit kommuniziert werden. Gleichzeitig haben die Krisenseelsorger:innen nach jedem Einsatz Anspruch auf Supervision. Martina Reiner ergänzt: „Wir tauschen uns aber auch immer im Team intensiv aus und haben nach unseren Einsätzen immer eine gemeinsame Nachbesprechung.“

Wie viele Einsätze und beratende Telefonate es im Durchschnitt sind, kann Martina Reiner nicht sagen. Ihr fällt positiv auf, dass die Anzahl zurück geht. Es habe Zeiten gegeben, da waren es wöchentliche Einsätze und Telefonate. Wenn es jetzt im Jahr 30 sind, sei das schon viel. Wenn es sich um zehn handele, sei dies normal.
 
Text: Pauline Erdmann, Volontärin beim Sankt Michaelsbund, April 2024

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