Wenn du plötzlich wie Luft behandelt wirst Wie Mobbing an Schulen wirksam entgegengetreten wird

Es ist perfide und für Außenstehende oft schwierig zu erkennen: Jeder sechste Schüler war schon Opfer von Mobbing. Umso wichtiger ist es, früh zu sensibilisieren und entschieden einzuschreiten.
Jungen beim Mobbing
Es fing damit an, dass ein paar Mädchen sie ignorierten. Dann antwortete niemand mehr, wenn Tanja [Name frei gewählt, Anm. d. Red.] morgens ins Klassenzimmer kam und grüßte. Schließlich drehten sich Mitschülerinnen sogar weg, wenn sie etwas sagte. „Sie ist taktisch geächtet worden“, sagt Andrea Wallner von der Beratungsstelle der Caritas im Berchtesgadener Land. „Beim Mobbing muss nicht immer jemand aktiv gepiesackt werden. Es funktioniert auch subtiler, in diesem Fall über Nichtbeachtung.“

Die Achtklässlerin hatte diese Demütigung lange ausgehalten, rund ein halbes Jahr. Genug Zeit, damit das Selbstbewusstsein in der sensiblen Phase der Pubertät auf ein Minimum schrumpft und zerfleischende Selbstvorwürfe („Ich bin hässlich, ich bin langweilig. Kein Wunder, das mich niemand mag“) anfangen, die jegliche Lebensfreude rauben. Irgendwann offenbarte sich Tanja ihrer Mutter, die wiederum Andrea Wallner in ihrer Beratungsstunde aufsuchte – mit dem Auftrag, dass ihre Tochter stärker werden müsse, um sich besser zu wehren. Der Sozialpädagogin war allerdings schnell klar, dass hier nicht nur Arbeit mit dem Mädchen angesagt war, sondern im gesamten Klassenverband.

Aufklärung ist das A und O – für Schüler, Lehrer und Eltern

Kinder und Jugendliche, die gemobbt werden, können ihr ganzes Leben an den Folgen leiden. Wie viele Schüler schikaniert werden, ist schwer zu beziffern. Eine Befragung im Rahmen der Pisa-Bildungsstudie 2017 ergab, dass in Deutschland fast jeder sechste 15-Jährige regelmäßig Opfer von körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler wird.
Schülerin tröstet Mitschülerin auf Schulflur
Mobbingopfer werden meist stark isoliert. Mitschüler so früh wie möglich für das Thema zu sensibilisieren, ist daher sehr wichtig.
Fachleute halten allerdings höhere Zahlen für möglich. Umso wichtiger ist es, dass Schüler, Eltern und Lehrer früh sensibilisiert werden für das Thema.

An Schulen wird deshalb verstärkt aufgeklärt. An den Einrichtungen des Erzbistums gibt es beispielsweise Vorträge für Eltern, wie jüngst an der Erzbischöflichen Fachoberschule und der Mädchen-Realschule in Freilassing. An der St.-Ursula-Mädchenrealschule in Lenggries wird die „Zeit für uns“ – pädagogische Stunden zur freien Gestaltung – auch für Rollenspiele zur Mobbingprävention genutzt. Und Lehrerkräfte der Pater-Rupert-Mayer-Realschule in Pullach haben gerade eine dreitägige Fortbildung gemacht, eine Erzieherin wird fortan Ansprechpartnerin für Mobbingfälle sein.

Mobbing beginnt schon in der Grundschule

Per Definition erfolgt Mobbing wiederholt und über einen längeren Zeitraum durch eine Gruppe. In der Praxis ist die Grenze zu „normalen“ Auseinandersetzungen unter Heranwachsenden schwierig zu ziehen. So kommt es vor, dass besorgte Eltern schon über Mobbing klagen, wenn sich ihr Kind mit einem anderen streitet. Umgekehrt dauert es meist lange, bis Lehrer merken, dass ein Kind ausgegrenzt oder anhaltend gequält wird. „Im Unterricht sind Mobber oft soziale Kinder, interessiert und aufgeschlossen“, erklärt Wallner.

Die Schikanen passieren zwischen den Stunden, auf dem Nachhauseweg – und über die sozialen Netzwerke. Letztere haben dazu geführt, dass Kinder auch nach Schulschluss keine Ruhe mehr haben. Stichwort Cybermobbing. „Das geht vormittags los und nachmittags über das Handy weiter“, so Wallner.

„Mobbing wird noch immer unterschätzt“, sagt Klara Zierer. Als langjährige Mobbingbeauftragte beim Schulpastoral Erding kümmerte sie sich schwerpunktmäßig um Grundschulen. Denn schon dort finden entscheidende Entwicklungen statt. „In der zweiten Klasse ist die Gruppenbildung am stärksten. Es beginnt bereits die Mobbingdynamik, nur wird sie noch nicht erkannt“, erklärt sie. Ein Beispiel: Alle Jungen spielen Fußball, nur einen interessiert das nicht, er steht daneben. Womöglich ist er auch noch besonders schüchtern. Es fallen Bemerkungen, kleine Gehässigkeiten. „Das mag noch im normalen Bereich liegen. Aber die Gruppendynamik bleibt bestehen, und in der dritten und vierten Klasse verfestigt sie sich. Die nächste Stufe sind körperliche Grenzüberschreitungen.“ 

Konflikte spielerisch lösen, nicht mit Moral

Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, ging Zierer mit einem Kollegen in die Schulen, um den Kindern zu vermitteln, dass es gut ist, unterschiedlich zu sein. Und um sie spüren zu lassen, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen zu sein. „Das geschieht alles über Spiele. Man darf den Kindern nicht mit Moral kommen“, sagt sie.
Schüler sitzen in einer Gruppe im Klassenzimmer
Kinder selbst können oft gut formulieren, was sich ändern muss.
Kommt es zu Vorfällen, sind Klassleiter, Beratungslehrer und Schulpsychologen erste Anlaufstellen für Schüler und Eltern. Spätestens wenn sich ein Fall tatsächlich als Mobbing herausstellt, wird die Schulleitung eingebunden, die gegebenenfalls externe Fachleute zur Auflösung der Konflikte hinzuzieht.

Klara Zierer wurde auch schon zur Intervention in Klassen geholt. Auch hier ist der Ansatz spielerisch: Die Schüler sammeln sich beispielsweise an Punkten im Zimmer, um zu signalisieren, ob sie sich wohl fühlen in der Klasse oder nicht. Dann wird darüber gesprochen.

Die Kinder seien dabei sehr offen, sagt Zierer, und es entwickle sich bei vielen Schülern eine ehrliche Betroffenheit darüber, was in ihrer Klasse passiert. Am Ende definieren die Schüler selbst, was sich ändern muss. Dazu gehört, dass sowohl das gemobbte Kind als auch der oder die Täter „Helfer“ zur Seite gestellt bekommen, die aufpassen, dass die Abmachungen eingehalten werden. „Das entwickelt sich aus dem Verantwortungsbewusstsein der Klasse heraus“, sagt Zierer.

Erst einmal aufgedeckt, finden sich schnell Fürsprecher für die Opfer

Auch im Falle von Tanja gab es eine Intervention in der Klasse. Die übernahm die Schulpsychologin, während Andrea Wallner mit dem Mädchen arbeitete, um das Selbstwertgefühl zu stärken und mögliche Reaktionen auf Ausgrenzung aufzuzeigen. Gemeinsam mit der Schulleitung wurde das Gespräch mit den „Drahtzieherinnen“ und ihren Eltern gesucht. Die Schulleitung machte unmissverständlich klar, dass sich das Verhalten der Mädchen ändern muss – sonst könne passieren, dass sie die Schule verlassen müssen.

Tatsächlich habe sich der Konflikt dann recht bald aufgelöst, erzählt Wallner. „Wenn das Mobbing erst mal aufgedeckt ist, finden sich viele Fürsprecher für das Opfer.“ Vorher seien diese – oft ruhige und empathische Schüler – einfach unsicher, wie sie sich verhalten sollen. Oder sie hätten Angst, selbst Mobbingopfer zu werden. Verlassen habe in diesem Falle letztlich niemand die Klasse. Nicht das Opfer – wie es häufig der Fall ist – und nicht die Täterinnen. Auch dank des entschiedenen Einschreitens der Schulleitung.

Text: Sandra Tjong

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