Zwischen Spaß und ernster Vergangenheit: In Dachau treffen sich Jugendliche aus der ganzen Welt, um bei der Internationalen Jugendbegegnung Dachau über die NS-Zeit zu sprechen. Ein Angebot, das nicht nur Erinnerungsarbeit leistet.
Workshop "Resistance" auf der 40. Internationalen Jugendbegegnung Dachau
„Ich bin eigentlich ein IJB-Kind“, sagt Julia und muss lachen. Die 19-Jährige sitzt auf der Terrasse im Innenhof des Max Mannheimer Hauses und Studienzentrums in Dachau und erzählt von ihren Eltern. Die haben sich vor mehr als zwei Jahrzehnten auf der Internationalen Jugendbegegnung (IJB) Dachau kennengelernt. Die IJB ist ein Bildungsangebot für Jugendliche zum Thema Nationalsozialismus. „Es ist so cool zu wissen, dass sie hier die Liebe ihres Lebens getroffen haben und ich jetzt hier bin“, freut sich die Jugendliche.
Treffen für Jugendliche aus der ganzen Welt
40 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende aus Deutschland, der Türkei, Spanien, Kolumbien, Serbien, Ukraine, Mexiko, Frankreich und Tschechien sind mit dabei. Dieses Jahr feiert die IJB sogar Jubiläum. „Die Tradition dahinter ist, dass seit 40 Jahren Menschen aus der ganzen Welt nach Dachau kommen, sich dort mit der NS-Vergangenheit beschäftigen und so ein gemeinsames Erinnern ermöglichen“, erklärt Jana Wulf. Sie ist BDKJ-Diözesanvorsitzende und Teil des Organisationsteams. Wulf freut sich an diesem Dienstag schon auf die Jubiläumsfeier, die am Ende der Woche stattfindet und bei der auch die russische Punkband Pussy Riot auftritt.
Das 40-jährige Jubiläum wurde unter anderem mit einem Gartenfest und Musik gefeiert. Besonderes Highlight war das Konzert der Punkrockband Pussy Riot aus Russland. Deren Auftritte sind audiovisuelle Erlebnisse, in denen die Band ihre Geschichte und ihren Widerstand als Konzert, künstlerische Performance und gleichzeitigen Aufschrei darstellt. Bereits im Vorfeld hatte es eine Podiumsdiskussion über „Kunst und Widerstand in Russland“ mit Pussy Riot gegeben. Text: zim
Besuch der KZ-Gedenkstätte
IJB-Projektleiterin Stefanie Steinbauer
Von allen Seiten sind unterschiedliche Sprachen zu hören. Die meisten sprechen Englisch. Und wenn die Jugendlichen sich nicht gerade kennenlernen und austauschen, ist jede Menge Programm geboten. „Es gibt Führungen zu diversen Gedenkstätten im Landkreis, Freizeitangebote, Stadtführungen in München, Wander- oder Biergartenausflüge, und wir haben einen Bayerischen Tanzabend“, erzählt IJB-Projektleiterin Stefanie Steinbauer.
Darüber hinaus stehen unterschiedliche Workshops und mehrtägige Seminare zum Thema Nationalsozialismus und dem Holocaust im Fokus. „Die Grundidee ist, einen Diskurs in dem Themenfeld Erinnerungsarbeit zu schaffen. Dabei spielt vor allem der Besuch in der KZ-Gedenkstätte eine Rolle“, sagt Steinbauer. Thematisiert wird nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart, zum Beispiel zum Thema Empowerment und mit Kursen zu Ausgrenzung und Diskriminierung in heutiger Zeit.
Zeitzeuge Ernst Grube erzählt einer Gruppe von Jugendlichen seine Lebensgeschichte. Anschließend konnten die Jugendlichen bei Kaffee und Kuchen das persönliche Gespräch suchen.
Diskurs und Biografiearbeit
Dieses Jahr gibt es Workshops zu vier Themen: Third Reich (Drittes Reich), Resistance (Widerstand), Culture of Remembrance (Erinnerungskultur) und Yiddish (Jüdische Sprache). Die jeweiligen Teamleiterinnen und Teamleiter geben den Jugendlichen Inhalte an die Hand, mit denen sie kleine Aufgaben erarbeiten und sich darüber austauschen können. In einem Stuhlkreis umgeben von Flipcharts sitzen sie je zusammen. Aus einem Raum sind immer wieder die Namen Constanze Hallgarten, Liselotte Herrmann, Edith Wolff oder Elisabeth von Thadden zu hören. Diese Frauen vereint der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. „Welche Art von Widerstand hat Edith Wolff geleistet?“, fragt Emma Schunter auf Englisch in die Runde.
Die 20-Jährige leitet im Rahmen ihres Bundesfreiwilligendienstes den Kurs, in dem sie mit zwei weiteren Ehrenamtlichen Widerstandskämpfer und Gruppierungen in der NS-Zeit vorstellt. „Der Hauptteil des Workshops ist die Biografien-Arbeit. Wir haben kleine Archive zusammengestellt, wo die Teilnehmenden selbst Biografien erarbeiten können“, erzählt Schunter. Ein Besuch bei der Gedenkstätte der Weißen Rose soll zum Abschluss dieses Workshops das Highlight sein.
Zeitzeugengespräche im Fokus
Ein zentraler Teil des Programms sind die Zeitzeugengespräche, weshalb etwa Ernst Grube oder Peter Gardosch zu Gast sind. „Die Geschichte des Konzentrationslagers in Dachau nicht vergessen, die NS-Vergangenheit ins Gedächtnis rufen und in der Gesellschaft sichtbar machen – all das ist uns wichtig“, sagt Andrea Heller, Geschäftsführerin des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung und Gedenkstättenarbeit in Dachau. Die Gespräche mit den Überlebenden seien aber immer schwieriger, führt Steinbauer an: „Langsam ist ein Generationenwechsel zu spüren, sodass wir auch auf die zweite und dritte Generation zurückgreifen müssen.“
Zwischen den inhaltlichen Einheiten darf auch der Spaß nicht zu kurz kommen
IJB hofft auf Sponsoren
Eine weitere Herausforderung mit Blick auf die Zukunft ist die finanzielle Unterstützung der Internationalen Jugendbegegnung, räumen Steinbauer und Heller ein. Die Finanzierung stehe auf wackeligen Beinen, stellte die IJB-Projektleiterin klar. Um weiterhin ein vielseitiges Programm anbieten zu können, brauche es neben den bestehenden Kooperationspartnern weitere Sponsoren. Die IJB „gelingt nur, indem wir dauerhafte Unterstützung bekommen“, so Steinbauer.
Lernen, Spaß haben und Freunde finden
Denn hinter dem Angebot steckt großer Planungsaufwand. Dem Organisationsteam ist dabei wichtig, trotz der schweren Themen auch die Lebenswirklichkeit der Jugendlichen zu berücksichtigen. „Ab dem Moment, an dem die Jugendlichen da sind, beginnt großer Spaß. Man lernt Menschen aus der ganzen Welt kennen. Am ersten Tag hat mir ein Ukrainer schon gesagt: 'Boah, ist das toll! Ich habe das erste Mal mit Serben und Polen gesprochen'“, sagt Heller und betont, dass auch Austausch, Freude, Party und Sightseeing nicht zu kurz kommen dürfen. Und das kommt bei den Jugendlichen gut an.
Allein in der Mittagspause ist es keine Sekunde ruhig am Tisch. Angeregt und interessiert tauschen sich die Teilnehmenden über ihre Heimatländer aus und lernen sich kennen: „Ich habe hier richtig gute Freunde gefunden. Wir haben auch schon ausgemacht, dass wir uns gegenseitig besuchen kommen. Es macht so Spaß hier“, sagt Julia, die am Tisch mit Nicola sitzt. Er kommt aus Italien und ist das erste Mal dabei. "Ich finde es richtig toll hier. Wir haben lustige Momente, wo wir viel Spaß haben und lachen, aber es gibt auch Momente, in denen wir ernste Themen besprechen, zum Beispiel als wir die KZ-Gedenkstätte besuchten“, berichtet der 19-jährige Italiener auf Englisch und ist von der 40. Internationalen Jugendbegegnung begeistert.
Text: Anna Parschan, Redakteur beim Sankt Michaelsbund, August 2022