Persönlich wachsen und Demokratie einüben Wie katholische Jugendarbeit junge Menschen und gesellschaftliches Engagement fördert - ein Gespräch mit Diözesanjugendseelsorgerin Johanna Gressung

Johanna Gressung ist die erste Diözesanjugendseelsorgerin der Erzdiözese München und Freising. Mit der 31-Jährigen wurde die Position, die bisher ein Priester innehatte, erstmals mit einer Laiin besetzt. Die Pastoralreferentin erzählt, was sie in ihrem ersten Amtsjahr bewegt hat, warum katholische Jugendarbeit nach wie vor so beliebt ist und wie Kinder und Jugendliche dort nicht nur für sich persönlich etwas lernen, sondern auch Gesellschaft selbstbewusst mitgestalten.
 
Johanna Gressung
Johanna Gressung
Frau Gressung, wie sind Sie zur kirchlichen Jugendarbeit gekommen?
 
Johanna Gressung: Der Glaube hatte bei uns zuhause schon immer eine Rolle gespielt. Mit knapp zehn Jahren begann ich zu ministrieren. Dann bin ich den „klassischen Weg“ gegangen, wurde Gruppenleiterin, war auch verbandlich in der Katholischen jungen Gemeinde aktiv. Später habe ich die Möglichkeit eines Freiwilligen Sozialen Jahres an einer Katholischen Jugendstelle für mich entdeckt. Das hat mich stark geprägt und ich habe mich daraufhin entschlossen, katholische Theologie zu studieren.
 
Was hat man als Diözesanjugendseelsorgerin alles zu tun?
 
Johanna Gressung: Es ist ein äußerst vielfältiges Tätigkeitsfeld. Zuallererst versuche ich viel bei den jungen Menschen und Ehrenamtlichen zu sein, ob bei Aktionen der Jugendverbände oder Angeboten des Erzbischöflichen Jugendamts, das ich leite und auch bei repräsentativen Anlässen vertrete. Ich bin auch mit unserem Erzbischof, Kardinal Marx, unterwegs, zum Beispiel bei der diözesanen Partnerschaftsreise im April nach Ecuador. Der Austausch dort war für mich sehr spannend und ich habe viele Anregungen für unser weltkirchliches Engagement in der Jugendpastoral mitgenommen.

Zu meiner Aufgabe gehören aber auch die Personal- und Finanzverantwortung für die Jugendpastoral der Erzdiözese. Mit einer Hälfte meiner Stelle bin ich zudem die gewählte geistliche Verbandsleitung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Erzbistum. Das bedeutet, dass ich auch für die seelsorgliche Begleitung derjenigen zuständig bin, die mit verbandlich engagierten jungen Menschen unterwegs sind.
 
Ministrantengruppe auf der Piazza Navona in Rom
Ministrantengruppe auf der Piazza Navona in Rom
Welche neuen Akzente wollen Sie als Diözesanjugendseelsorgerin setzen?
 
Johanna Gressung: Ich habe im ersten Jahr versucht, die Erzdiözese möglichst gut kennenzulernen, um zu sehen und hinzuhören, wo Dinge bereits gut laufen und wo ich etwas anstoßen möchte. Mir ist es ein Anliegen, dass Jugendpastoral dialogisch und demokratisch gestaltet wird. Immer wieder beeindruckt es mich, mit welcher Leidenschaft Jugendliche zum Beispiel in der Leitung von Kinder- und Jugendgruppen Verantwortung übernehmen oder sich als gewählte Mandatsträgerinnen und -träger in den Verbänden politisch engagieren.

Zugleich gibt es natürlich, wie in vielen Bereich der Gesellschaft, auch unter Jugendlichen unterschiedliche Sichtweisen und Strömungen. Ich merke, dass in der Jugendpastoral – nicht immer ganz spannungsfrei – verschiedene Kulturen aufeinandertreffen mit den liberaleren Jugendverbänden und den eher konservativeren Jugendbewegungen. Mir ist es wichtig, miteinander im Gespräch zu bleiben und jeder Spiritualität Raum zu geben. Diesen Dialog möchte ich gerne gestalten und dazu beitragen, dass Brücken gebaut werden, damit ein prinzipieller Zusammenhalt – auch bei unterschiedlichen Ansichten – bestehen bleibt.

Laut der jüngsten Kirchenmitgliedschaftsstudie ist die kirchliche Jugendarbeit nach wie vor stark nachgefragt. Können Sie das auch für die Jugendpastoral in der Erzdiözese München und Freising bestätigen?
 
Johanna Gressung: Dass die Nachfrage nach Jugendangeboten in unserer Erzdiözese in jedem Fall hoch ist, zeigen etwa die beiden Großprojekte allein in diesem Jahr: Bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ haben sich diözesanweit mehr als 1.600 Jugendliche in 90 Gruppen für einen gemeinnützigen Zweck engagiert und zum Beispiel Spielplätze renoviert, einen Begegnungsnachmittag für Senioren organisiert oder einen Gedenkort für Sternenkinder angelegt.

In knapp zwei Wochen findet die Internationale Wallfahrt der Ministrantinnen und Ministranten nach Rom statt. Daran nehmen 4.800 Kinder und Jugendliche aus unserem Erzbistum teil. Diese Zahl hat uns positiv überrascht und sehr gefreut, auch wenn wir viel Arbeit in die Vorbereitung stecken mussten, zum Beispiel um genügend Schlafplätze zu organisieren.

Auch die Verbände haben in unserer Erzdiözese weitgehend stabile Mitgliederzahlen. Der erst 2017 gegründete Ministrantenverband ist schnell gewachsen und von der Tausendermarke nicht mehr weit entfernt. In der Katholischen Landjugendbewegung hat sich kürzlich am Petersberg im Landkreis Dachau eine neue Ortsgruppe gegründet. Kirchliche Jugendarbeit erschließt sich also immer wieder neue Räume, auch mit teils bundesweit gefragten digitalen Angeboten.
 
Welches Netzwerk bietet die Jugendpastoral in der Erzdiözese, um dieser Nachfrage durch die Jugendlichen zu begegnen?
 
Johanna Gressung: Wir vereinen im Erzbischöflichen Jugendamt die hauptamtlich getragene und unterstützte Jugendpastoral sowie im BDKJ die verbandlich organisierte Jugendarbeit in allen Facetten. Dabei versteht sich das Jugendamt vor allem als Fach- und Servicestelle. Hier gibt es unsere Fachreferate etwa für Jugend und Arbeit oder Kinderpastoral, sie gestalten beispielsweise Materialien für Schulungen oder geben Praxisanregungen für Haupt- und Ehrenamtliche.

Zudem haben wir unser flächendeckendes Netzwerk der Katholischen Jugendstellen und „Bases“. Dort sind Seelsorgerinnen und Seelsorger sowie pädagogische Mitarbeitende tätig, neuerdings unterstützt von Mitarbeitenden auf meist dezentral angesiedelten Funktionsstellen für Jugendpastoral. Wir haben so eine starke mittlere Ebene geschaffen. Damit können wir Seelsorger und Ehrenamtliche in den Pfarreien und Verbänden in ihrer Jugendarbeit vor Ort unterstützen und vernetzen. Die Mitarbeitenden achten fokussiert darauf, was im jeweiligen Sozialraum benötigt wird, und richten ihre Angebote entsprechend darauf aus – ob Gruppenleiterausbildungskurse, Unterstützung in der Firmvorbereitung oder dekanatsweite Jugendgottesdienste und Sommercamps.

Unsere offenen Jugendeinrichtungen fördern oft benachteiligte Jugendliche mit Hausaufgabenbetreuung, Hilfe bei der beruflichen Qualifizierung und aktivierender Freizeitgestaltung.
 
Bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ haben Ministranten aus Anzing einen Spielplatz auf Vordermann gebracht.
Bei der 72-Stunden-Aktion des BDKJ haben Ministranten aus Anzing einen Spielplatz auf Vordermann gebracht
Weshalb braucht es Hauptamtliche in der Jugendpastoral?

Johanna Gressung: Es geht nicht ohne Ehrenamtliche und es geht auch nicht ohne Hauptamtliche. Es ist unverzichtbar, dass unsere vielen Ehrenamtlichen qualifiziert und fachlich begleitet werden in dem, was sie tun. Eine seelsorgliche Betreuung ist ebenfalls wichtig, denn die Ehrenamtlichen können auch mit Situationen konfrontiert werden, die sie beschäftigen und über die sie mit jemandem sprechen müssen, der dies professionell auffangen kann. Die Hauptamtlichen entlasten Ehrenamtliche zudem, wenn sie ihnen Verwaltungsarbeit abnehmen, etwa das Stellen von Zuschussanträgen.

Ich möchte auch die Arbeit unseres Präventionsreferats nennen, das Schutzkonzepte und Schulungsprogramme entwickelt. Diese Arbeit ist immens wichtig und trägt dazu bei, sichere Räume für Kinder und Jugendliche zu schaffen.
 
Welche Erfahrungen können Kinder und Jugendliche in der kirchlichen Jugendarbeit sammeln?
 
Johanna Gressung: Kinder und Jugendliche können sich bei uns in geschütztem Rahmen kreativ ausprobieren, persönlich wachsen und Kompetenzen fürs Leben erwerben. Vor allem in den Verbandsgruppen üben sie praktisch ein, wie Dialog und Demokratie funktionieren. Die Mitglieder entscheiden zum Beispiel von klein auf mit, welche Themen sie im Jahresprogramm aufgreifen. Dazu gehört zu lernen, wie man mit Konflikten umgeht und sich im demokratischen Diskurs einigt. Sie wählen auch ihre eigene Leitung, von der Ortsgruppe bis zum Diözesanverband. Das ist ein großes Lernfeld für Toleranz und Teilhabe und somit fruchtbar für die gesamte Gesellschaft.

Im Bereich Liturgie und Spiritualität sind junge Menschen nicht nur beim Ministrieren präsent. Sie sind auch eingeladen, bei Jugendgottesdiensten wie dem „Holywood“ in der Münchner Jugendkirche oder bei der Jugendkorbinianswallfahrt in Freising teilzunehmen und diese mitzugestalten. Oder sie lernen bei einer Fahrt nach Taizé andere Arten von Spiritualität kennen. Die Kinder und Jugendlichen bringen aus ihrem eigenen Erleben auch Themen wie Nachhaltigkeit, Ökologie oder Tierschutz mit. Diese werden ganz selbstverständlich in die gemeinsame Arbeit implementiert. So stimmen wir bei Veranstaltungen etwa darüber ab, ob es eine Verpflegung mit oder ohne Fleisch geben soll.

Kurzum: Wir stärken junge Menschen darin, sich mit ihren Talenten und ihrer Stimme einzubringen und Zukunft zu bauen – ihre eigene, die unserer Kirche und unserer Gesellschaft.
 
Ministrantinnen und Ministranten auf dem Petersplatz in Rom
Ministrant:innen auf dem Petersplatz in Rom
Welchen besonderen Bedarf nehmen Sie aktuell bei Jugendlichen wahr und wie reagieren Sie darauf?
 
Johanna Gressung: Ich merke, dass viele schwere Themen Kinder und Jugendliche derzeit beschäftigen und psychisch belasten. Das hängt zum Teil immer noch mit den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Vernachlässigungen zusammen. Krieg, Inflation und die Situation der Umwelt sind ebenfalls mitverantwortlich. Auch die Einsamkeit ist – trotz aller digitaler Vernetzung – oft ein Thema, bei den Jüngeren wie bei den Älteren.

Deshalb ermutigen wir unsere Mitarbeitenden, sich mit dem Programm „Mental Health First Aid!“ (Erste Hilfe für die psychische Gesundheit) des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit Mannheim fortzubilden. Hier haben wir ein Netz gespannt, damit flächendeckend Kompetenz vorhanden ist. Gerade, wenn Kinder und Jugendliche wie jetzt in den anstehenden Ferienzeltlagern eine Woche lang mit unseren Gruppen unterwegs sind, werden psychische Belastungen sichtbar. Dann ist es gut, wenn unsere Haupt- und Ehrenamtlichen geschult sind und wissen, was sie tun können und wo es weiterführende Hilfe gibt.
 
Lassen Sie uns noch einmal über die Ministrantenwallfahrt sprechen. Worauf freuen Sie sich am meisten?
 
Johanna Gressung: Es gibt Highlights, auf die ich mich sehr freue. Zum Beispiel dürfen wir unseren Eröffnungsgottesdienst gemeinsam im Petersdom feiern. Diese Nachricht aus dem Vatikan hat uns überwältigt. Wir werden auch an der Papstaudienz teilnehmen. Diese großen Audienzen können sehr beeindrucken, wie ich selbst weiß. Ich durfte einmal bei einer Papstaudienz auf dem Petersplatz im Chor mitsingen, der direkt hinter Franziskus stand. Es ist auch bewegend, in der riesigen Menge der Ministranten zu stehen, denn wir sind ganz viele Minis aus der ganzen Welt. Ich wünsche den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, dass diese gemeinsam erlebten, besonderen Momente sie genauso nachhaltig für ihr Leben prägen wie mich damals.
 
Text: Gabriele Riffert, Freie Mitarbeiterin, Juli 2024

Die Jugendpastoral der Erzdiözese München und Freising in Zahlen


Teilnehmer und junge Ehrenamtliche

·        101.000 Teilnehmende bei Angeboten der Jugendpastoral
·        Davon nehmen 20.000 Kinder und Jugendliche regelmäßig an Gruppenangeboten teil: 8.800 Ministrantengruppen, 4.000 Verbandliche Jugendgruppen, 2.400 sonstige Jugendgruppen, 2.300 Pfarrjugend, 2.300 Jugendchöre- und bands
·        12.900 Mitglieder in den Mitgliedsverbänden des BDKJ
·        100 absolvieren jährlich ein Freiwilliges Soziales Jahr über den BDKJ
·        15.000 Ehrenamtliche Leitungen von Gruppen und anderen Angeboten
 
Einrichtungen und Mitarbeitende des Erzbischöflichen Jugendamtes (EJA)
·        16 Jugendstellen in den Dekanaten der Seelsorgsregionen Nord und Süd und 3 Zentren für kirchliche Jugendarbeit (Bases) in der Seelsorgsregion München
·        6 Einrichtungen der offenen Jugendarbeit
·        6 Jugendübernachtungshäuser
·        7 Fachreferate und 3 Stabsstellen
 
In diesen Einrichtungen sowie für die Jugendverbände sind aktuell in Voll- oder Teilzeit tätig:
·        31 pastorale Mitarbeitende (davon 3 im Zentralbereich des EJA einschl. Referate, 5 bei den Verbänden, 23 in den Jugendstellen/Bases und dezentralen Funktionsstellen)
·        85 pädagogische Mitarbeitende (davon 17 im Zentralbereich des EJA einschl. Referate, 24 in den Offenen Jugendeinrichtungen, 22 bei den Verbänden, 22 in den Jugendstellen/Bases)
·        53 Verwaltungskräfte