Im Sommer 2021 ist Paola Tarco als Freiwillige über das Austauschprogramm des Erzbistums München und Freising von Ecuador nach München gekommen. Ein Jahr lang war sie im Einsatz bei der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof. Die Erfahrungen, die sie dort gemacht hat, prägen nun die Entscheidungen für ihre weitere Zukunft.
Paola Tarco vor dem Eingang der Bahnhofsmission
Die 27-Jährige stammt aus Latacunga, einer Kleinstadt ca. 90 Kilometer südlich der Hauptstadt Quito im Andenhochland. In ihrer ecuadorianischen Heimat scheint Paolas Lebensweg vorgezeichnet zu sein. Sie studiert Umwelt-Biotechnologie und macht schließlich ihren Abschluss als Ingenieurin. Gleichzeitig engagiert sie sich in der katholischen Kirche als Mitglied der nationalen Jugend-Pastoral.
Eines Tages sind bei einem Treffen der jungen Erwachsenen auch junge Leute aus dem Erzbistum München und Freising eingeladen, die gerade ihren Freiwilligendienst in Ecuador absolvieren. Von ihnen erfährt Paola, dass der Austausch im Rahmen der Partnerschaft zwischen dem Erzbistum und der Kirche in Ecuador keine Einbahnstraße ist. Auch Freiwillige aus Ecuador sollen für ein Jahr nach Oberbayern gehen. Paola zögert nicht lange. „Ich hatte gerade mein Studium beendet und deshalb Zeit, nach Deutschland zu gehen“.
Paola Tarco (1. von rechts) bei ihrer Ankunft am Münchner Flughafen
Kein Tag in der Bahnhofsmission ist wie der andere
Zunächst macht ihr aber Corona einen Strich durch die Rechnung. Ursprünglich sollte ihr Freiwilligendienst Ende August 2020 beginnen. Wegen der Pandemie wird daraus aber nichts. Erst ein Jahr später ist es dann so weit: Gemeinsam mit weiteren Freiwilligen landet Paola am Flughafen München. Ihren Einsatzort kennt sie auch schon: die Bahnhofsmission am Gleis 11 des Münchner Hauptbahnhofs. Eigentlich wollte sie als Freiwillige gerne in einem Projekt mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Paola entscheidet sich dennoch für die Bahnhofsmission, weil sie in Kontakt mit Menschen kommen möchte, die am Rande der Gesellschaft stehen.
Ihren Entschluss hat Paola nicht bereut. „Kein Tag in der Bahnhofsmission ist gleich und das gefällt mir sehr gut. Mich beeindrucken auch die vielen Spenden, mit der die Arbeit hier finanziert wird“. In Ecuador gebe es auf Bahnhöfen keine vergleichbare Anlaufstelle für arme Menschen. Sie müssten auf der Straße schlafen und blieben oft sich selbst überlassen.
Paola Tarco (l.) und Bettina Spahn, die katholische Leiterin der Bahnhofsmission
Kaffee kochen, Brote schmieren, Bettzeug waschen
Dass es in München auch viel Armut gebe, habe sie erstaunt. „Erst hier in Deutschland habe ich die Realität kennengelernt. Es hat mich traurig gemacht, so viele arme Menschen kennenzulernen, die etwas zu essen oder eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen“. Nichtsdestotrotz stürzt sich Paola in die Arbeit. Sie absolviert eine 39-Stunden-Woche im Schichtdienst und nimmt die Aufgaben an, die ihr zugewiesen werden.
Sie schmiert Brote, kocht Kaffee und verteilt beides am Eingang durch ein Ausgabefenster der Bahnhofsmission an die wartenden Bedürftigen. „Das ist meine Lieblingsaktivität, weil ich in Kontakt mit den Leuten komme“. Sie hilft blinden Menschen und Kindern beim Umsteigen. Und auch die Solidarität mit hilfesuchenden Frauen ist ihr wichtig. Sie wäscht die Bettdecken für die Schlafplätze, die die Bahnhofsmission für Frauen bereitstellt.
Einsatz bewirkt Umdenken
Die Arbeit in der Bahnhofsmission lässt Paola mit der Zeit nachdenklich werden. „Wenn jemand sagt, ich bin arm oder arbeitslos, dann denke ich, was sollen diese Leute jetzt bloß machen“. Mitleid hat sie auch, wenn sie mit bedürftigen Familien in der Bahnhofsgegend in Berührung kommt. „Ich habe mich gefragt, wieso hat diese Familie so viele Kinder, und die Kinder haben kein Essen, keine Schuhe und vielleicht auch keinen Übernachtungsplatz“.
Paolas Erlebnisse in der Bahnhofsmission lösen schließlich in ihr den Wunsch aus, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. „Wenn ich anderen Leuten helfen kann, geht es mir einfach gut“, erklärt die junge Ecuadorianerin. Zusammen mit ihrer Chefin und Mentorin Bettina Spahn überlegt sie, wie es nach ihrem Freiwilligendienst weitergehen soll.
Schließlich trifft Paola die Entscheidung, dass sie vorerst nicht zurück nach Ecuador gehen will. Sie möchte eine Ausbildung machen. Dass sie neben ihrem Vollzeitjob in der Bahnhofsmission die Kraft gehabt hat, sich eine Ausbildungsstelle zu suchen und sich dafür zu bewerben, „davor habe ich wirklich großen Respekt, das ist eine Leistung“, so Spahn. Paola sei eine gefestigte Frau, die ihren Weg gehen werde. Der führt die Ecuadorianerin nun nach Wasserburg am Inn. Dort wird Paola im August an der Berufsfachschule eine einjährige Krankenpflegehilfe-Ausbildung beginnen.
Text: Paul Hasel, Radio-Redakteur beim Sankt Michaelsbund, August 2022
Filmbeitrag über unsere Freiwilligen aus Ecuador bei einem Besuch auf der Zugspitze