Leben (dr)innen neu entdecken Impuls für Dienstag, 21. April 2020, von Pfarrer Rainer Hepler

Mich hat in diesen Tagen berührt, zu sehen, wie plötzlich überall – an Litfaßsäulen, Hauseingängen, Fensterscheiben… – handgeschriebene Zettel zu finden waren, auf denen Menschen anderen ihre Hilfe anboten: Zeichen von Mitgefühl und Nähe inmitten erzwungener Distanz. Das erinnert mich an die Situation der Urgemeinde, wie sie in der heutigen Tageslesung aus der Apostelgeschichte anklingt: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam … Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Denn alle, die Grundstücke oder Häuser besaßen, verkauften ihren Besitz, brachten den Erlös und legten ihn den Aposteln zu Füßen. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.“ (Apg 4,32-35)
Zettel an Mast mit Telefonnummern zum Abreißen
Foto: Pfr. Rainer Hepler / EOM
Natürlich folgt in der Bibel gleich im Anschluss auch die Ernüchterung von wegen Heuchelei, die es offenbar von Anfang an gab. Ja, und auch ich hab mich geärgert über Leute, die demonstrativ nicht ausweichen wollen oder die „Hamsterkäufer“. Und mich dann selbst dabei ertappt, wie schnell man, wenn man Angst bekommt, mit Überlebensmustern reagiert. Aber zweifellos überwiegt das Positive, die gegenseitige Achtsamkeit und Rücksichtnahme, was auch durch aktuelle Umfragen bestätigt wird: Der Schutz aller, besonders der Schwachen und Alten, ist für die Allermeisten wichtiger als die derzeitigen persönlichen Einschränkungen.

Prediger neigen dazu, jetzt schon eine ganz „neue Gesellschaft nach der Krise“ herbeizufantasieren. Daran glaube ich nicht. Wohl aber glaube ich, dass die Erlebnisse in dieser Zeit etwas mit mir persönlich machen, vielleicht dauerhaft meine Wahrnehmung, meine Achtsamkeit verändern … und meinen Glauben an die Menschen stärken: Sie sind ja gar nicht so egoistisch, selbstbezogen, wie man immer denkt! Im Zweifelsfall kann man ein bisschen Urgemeinde auch in der unmittelbaren Nachbarschaft erleben … Und diese Erfahrung wünsche ich auch Ihnen.

Text: Pfr. Rainer Hepler

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